Den Urlaub seiner Söhne hat Paul Omta im November eingereicht: Im Februar haben Stan und Merlijn eine Woche frei, danach noch einmal länger im Juni. Im Mai muss die Familie dann den Urlaub für den Rest des Jahres anmelden. An Ferienzeiten braucht sie sich dabei nicht zu halten, denn die gibt es an der Sterrenschool im niederländischen Apeldoorn nicht. Verreisen können die Omtas deshalb das ganze Jahr über zusammen, auch außerhalb der Hochsaison. „Das ist fantastisch“, sagt Paul Omta.
In den offiziellen Ferien zur Schule, danach in den Urlaub: An der Sterrenschool ist das möglich. 50 von 52 Wochen im Jahr ist die Grundschule geöffnet, flexible Ferien für ihre Kinder können Eltern nach eigener Vorstellung verteilen. Sie sei zum Beispiel im Oktober mit ihrer Familie in Österreich gewesen, erzählt die zehnjährige Safira. In der Woche zuvor, als andere Schulen Herbstferien hatten, war sie dagegen im Unterricht. „Dann ist es hier schön ruhig, und meine beste Freundin war auch da.“
Warum das alles? Schulleiter Hans van der Most hat darauf eine so einfache wie umfassende Antwort: „Wegen der gesellschaftlichen Entwicklung.“ Unterrichts- und Ferienzeiten vorzugeben findet er nicht mehr zeitgemäß. Lange, festgelegte Sommerferien etwa seien ein Überbleibsel aus einer Zeit, als Kinder und Jugendliche im Sommer noch auf den Feldern helfen mussten. In der Gegend um Apeldoorn verdienen heute viele Eltern ihr Geld in Hotels oder Restaurants. „Die müssen arbeiten oder ihre eigenen Betriebe führen, wenn Kinder im Sommer sechs Wochen lang freihaben. Bei uns dagegen können sie die Ferienzeit selbst wählen und so doch mit der ganzen Familie in den Urlaub fahren.“
2008 hatte das Kollegium begonnen, die Schule neu zu erfinden. Und Hans van der Most betont, dass die flexible Ferien dabei nur einer von mehreren Bausteinen waren. Sein Team hat den Unterricht eng mit der Hortbetreuung verzahnt, sodass die Schule jeden Tag von 7 bis 19 Uhr geöffnet ist. Stuhlreihen sucht man hier in den Unterrichtsräumen vergeblich. Stattdessen gibt es mehrere Gruppentische, Regale voll mit Materialien, Türen direkt zu den benachbarten Räumen. Die Schüler beginnen den Tag in ihrer Gruppe, danach können sie auch mit Kindern aus anderen Jahrgangsstufen lernen – je nachdem, auf welchem Niveau sie in einem Fach sind. Unterricht, zugeschnitten auf das einzelne Kind. Und das gilt eben auch für die Ferien.
Die Schule will Grenzen einreißen, in vielerlei Hinsicht
Ein Experiment des niederländischen Bildungsministeriums ermöglicht diese Freiheit. Elf Grundschulen haben seit 2011 die Erlaubnis, die festen Unterrichts- und Ferienzeiten aufzuheben. Wie weit sie dabei gehen, können sie selbst bestimmen. Angestoßen hatte die Sache die Grundschule De School in Zandvoort. In der Stadt an der Nordseeküste gründete die Bildungsberaterin Marjolein Ploegman mit einer Bürgerinitiative 2008 die Schule. Ihr Ziel: Grenzen einreißen, in vielerlei Hinsicht. Alle Kinder lernen dort projektorientiert zusammen, nicht getrennt nach Jahrgangsstufen und Fächern. Jeder Schüler hat einen individuellen Lernplan, den die Lehrer gemeinsam mit dem Kind und seinen Eltern erstellen.
Flexible Ferien sind kein Ziel an sich. Sondern ein Mittel
Die freie Ferienwahl sei kein Ziel an sich, sondern ein Mittel, betont Ploegman. In erster Linie gehe es darum, dass Kinder selbstständiger und motivierter lernen. Oder einfach mehr: Eltern, die das monatlich 470 Euro kostende Vollpaket bezahlen, können ihre Kinder in Zandvoort auch häufiger zur Schule schicken als an den gesetzlich vorgeschriebenen 940 Stunden pro Jahr.
So weit geht die Sterrenschool in Apeldoorn nicht. Hier haben die Schüler etwa so viele freie Tage wie Gleichaltrige an anderen Schulen. „Kinder haben das Recht auf zwölf Wochen Ferien, auch bei uns“, sagt Hans van der Most. Weil das neue Konzept nicht viel mehr Personal erfordert als zuvor, ist die Sterrenschool auch nicht teurer als andere Grundschulen. Zweimal im Jahr müssen die Eltern für einen Zeitraum von sechs Monaten angeben, wann ihre Kinder Urlaub nehmen. Dann organisiert die Schule den Dienstplan für Lehrer und Erzieher. Stehen in einer Woche wichtige Prüfungen an, nehmen die Eltern in den allermeisten Fällen zu dieser Zeit keinen Urlaub.
Trotzdem kommt es vor, dass ein Kind verreist ist, wenn seine Lerngruppe eine Klassenarbeit schreibt. Dann muss es den Test vorher oder nachher machen. Der Lernstoff, den ein Schüler während seines Urlaubs verpasst, wird in einer persönlichen Mappe gesammelt. Dreimal im Jahr führen die Lehrer ein Gespräch mit Schülern und Eltern: Was soll das Kind in den nächsten Monaten schaffen, wie viel Zeit hat es dafür? „Wir gehen vor allem von den Lernzielen aus. Wichtig ist, dass das Kind sie erreicht. Wann genau, ist eher zweitrangig.“
Ich selbst muss ja auch planen könnenSchulleiter Hans van der Most
Der regelmäßige und frühzeitige Austausch ist dem Schulleiter wichtig. „Es ist nicht so, dass Eltern hier reinkommen und sagen, dass die Familie am nächsten Tag wegfahren will. Ich selbst muss ja auch planen können.“ Wie an anderen niederländischen Schulen haben Familien aber pro Jahr vier Tage zur Verfügung, an denen das Kind nicht in die Schule kommen muss. Von „Schnipseltagen“ sprechen die Niederländer. So kann sich die Familie ab und zu ein langes Wochenende gönnen.
Ob die Schüler auch weiterhin flexible Ferien haben werden, ist allerdings noch unklar. Eigentlich sollte das Experiment bis 2014 laufen. Dann wollte das Bildungsministerium in Den Haag entscheiden, ob das Modell auf alle Schulen übertragen oder das Experiment wieder beendet wird. Aber die Politik konnte sich noch nicht zu einer Entscheidung durchringen, das Ministerium verlängerte die Testphase. Zunächst bis 2016 und dann noch einmal bis Mitte 2018.
Ist Flexibilität ein Wert an sich? Oder zählt nur der Lernerfolg?
Wissenschaftler der Universität Nijmegen haben das Experiment begleitet. Kurzgefasst lautet ihre Erkenntnis: Flexible Ferien ermöglichen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber sie heben bisher keinen deutlichen Einfluss auf den Lernerfolg. Das Bildungsministerium hat an den Testschulen die Notenschnitte der Grundschulabschlussprüfungen verglichen, die in den Niederlanden jedes Kind ablegen muss: vor und nach Einführung der Flexibilität. Bis auf die Schule in Zandvoort waren die Noten an allen zehn Testschulen etwas schlechter geworden.
Manche Kinder sind an klassischen Schulen besser aufgehobenHans van der Most
Hans van der Most hält nichts von diesem Vergleich. „Das ist, wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen, denn wir haben inzwischen mehr Schüler. Vorher hatten wir 60, inzwischen sind es 160.“ Darunter seien zudem mehr Kinder, die es an anderen Häusern deutlich schwerer hätten. Zum Beispiel, weil sie ADHS oder einen Entwicklungsrückstand haben. Oder aber ein Junge mit Asperger-Syndrom, für den der Schulbesuch Stress bedeutet. „Für ihn ist es gut, wenn er nach vier oder fünf Wochen Schule regelmäßig freihat und sich eine Woche erholen kann.“ Und natürlich, so Hans van der Most, gebe es andererseits auch Kinder, die an einer Schule mit klassischem Unterricht besser aufgehoben seien.
Marjolein Ploegman war von Beginn an nicht ganz glücklich mit der Zusammenstellung der elf Testschulen. Darunter seien auch einige, die die freie Ferienwahl vor allem anbieten, um neue Schüler zu gewinnen, ansonsten aber wenig verändert haben. Ganz wichtig ist ihrer Meinung nach jedoch, dass die Schule auch ihren Unterricht umstellt, jedem Kind sein eigenes Lerntempo ermöglicht. „Wenn man nur klassischen Frontalunterricht macht und dann kommt ein Kind einfach nicht, weil es im Urlaub ist – das funktioniert natürlich nicht.“
Etwas Zeit haben sie und die Pädagogen der Testschulen noch, die Politik von dem Konzept zu überzeugen. Für Ploegmans Geschmack sollte es weitergehen, auch über das Grundschulalter hinaus: Ein entsprechendes Konzept auch für weiterführende Schulen liegt schon fertig in ihrer Schublade.
Wären flexible Ferienzeiten auch in Deutschland denkbar? Lesen Sie hier die Einschätzung von Bildungsforscher Wilfried Bos.
Fotos: Privat; Sterrenschool