Meinen & Sagen

Weihnachts-Wahnsinn

Die Gans ist roh, die Katze hysterisch und die Großmutter beleidigt: Pünktlich zum Weihnachtsfest drehen in Lisa Meyers Familie alle durch


Es gibt tatsächlich noch Flüge: 1863 Euro München-Bangkok-Koh Samui für ein Weihnachten ohne Stress, dafür unter Palmen, eingelullt vom Meeresrauschen, dem Jetlag und mit einem Mai Tai in der Hand. Allerdings sind wir zu dritt, mein Sohn, mein Mann und ich, da kommen 5589 Euro zusammen. Ich seufze und klappe den Laptop zu.

Wir werden also wie immer bei der Schwiegermutter feiern, meine eigene Mutter ist nämlich beleidigt. Das muss keinen bekümmern, denn das ist sie schon seit Jahren, und niemand erinnert sich an den Grund, den auch sie nie thematisiert. Stattdessen behauptet Mama, zu kränklich zu sein, um Festlichkeiten auszurichten oder auch nur beizuwohnen. Meine Schwiegermutter fühlt sich mit 82 auch nicht fit, und weil der Bruder meines Mannes mit seiner Familie 350 Kilometer entfernt lebt, müssen wir hier alles vorbereiten. „Zum Glück habt ihr es nicht weit“, flötet Schwägerin Melanie am Telefon, und dann fragt sie, was sie zum Essen mitbringen soll. „Ach, lass mal, Oma hat längst alles da“, lüge ich. Es gibt nämlich die familieninterne Absprache, Melanie nie und unter keinen Umständen in die Küche zu lassen, und zwar seit jenem ersten Weihnachtsfeiertag mit aufgelösten Knödeln und ungarer Gans. Darum lege nun immer ich bei dem Geflügel Hand an.

Es ist wahr, uns trennen nur 60 Kilometer in Richtung Norden von der Schwiegermutter. Das erste Mal gondelt mein Mann am 21. Dezember nach dem Büro hin, um den Weihnachtsbaum aufzustellen, tags drauf zum Putzen und Dekorieren, und am 23. nimmt er ganz frei und fährt schon früh los, unter anderem, um die am Vortag gereinigte Küche bei der rituellen Herstellung von ungefähr zehn Fonduesaucen für Heiligabend wieder zu verwüsten, während ich zu Hause die letzten Vorbereitungen treffe: Gans abholen, gefühlte 18 Tüten Lebensmittel einkaufen und ALLE Geschenke einpacken. (An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass ich nicht nur besorge und verpacke, was ich selbst verschenken möchte, sondern auch alles, womit meine Mutter und meine Schwiegermutter meinen Sohn Max beglücken wollen, zudem die Präsente, die sie meinem Mann überreichen werden, und nicht zuletzt, was sie sich gegenseitig schenken. Da kommt was zusammen!)

Wenn mein Mann gegen 23 Uhr, besudelt von Mayonnaise und Rinderblut (vom Fonduefleisch-Schneiden), nach Hause taumelt, kämpfe ich immer noch mit Glitzerpapier und Kräuselband und blicke bedrückt. „Sie hat’s getan, oder? Wie immer!“, erregt er sich. Und ich beschwichtige: „Nur zum Kaffee … immerhin ist Weihnachten!“

Sie ahnen es vielleicht: Meine Mutter hat uns nun doch noch für morgen eingeladen, später wird sie zu meiner Schwester gehen. Ihr Unwohlsein – wie weggeblasen. Und: Nein, ich bin nicht gekränkt oder genervt, nur weihnachtsmüde. Schon jetzt!

An Heiligabend in aller Frühe packen wir das Auto randvoll mit Geschenken, damit’s später schneller geht, und düsen dann zu Mama (25 Kilometer nach Süden). Dort trinken wir Kaffee und essen Stollen, und mein Mann scharrt mit den Füßen. Er hat Angst, sein Bruder könnte früher als er bei meiner Schwiegermutter ankommen, es schwelt nämlich ein uralter Konkurrenzkampf darüber, wer der brave und wer der nicht so brave Sohn ist. Also hetzen wir zurück zu uns, laden nun auch die Lebensmittel ein, und dann – ja, dann kommt das Allerschwierigste. Wir haben nämlich zwei Katzen, die können wir schlecht drei Tage allein lassen, deswegen nehmen wir sie mit, und dazu müssen sie ins Transportkörbchen. Aber das mögen sie nicht. Darum rennen wir zu dritt mit Handtüchern bewaffnet durch die Wohnung und werfen uns damit abwechselnd auf die schockierten Haustiere, und ich frage mich, ob wir eigentlich verrückt sind oder ob es bei anderen Leuten auch so zugeht wie bei uns. Danach muss mein Mann das Hemd wechseln, weil es durchgeschwitzt ist, und schließlich rasen wir in solch nervzerreißender Geschwindigkeit mit zwei hysterisch miauenden Katzen im Fond zu meiner Schwiegermutter, dass auch mir der Schweiß unterm Wintermantel ausbricht.

Dafür ist der brave Sohn (mein Mann) fortan in bester Weihnachtsstimmung, öffnet schon mal ein Bierchen und lässt sich’s gutgehen. Ich beziehe derweilen den Ort, den ich die nächsten Tage kaum verlassen werde – die Küche –, und weiß jetzt schon, was ich im nächsten Leben garantiert nicht lernen möchte: kochen!

5589 Euro nur Flug, Hotel nicht mitgerechnet. Aber trotzdem ganz sicher die Sache wert. Fürs nächste Jahr fange ich schon mal an zu sparen!



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