Ein Abend, zwei Welten. Zunächst Elternabend im Fußballverein des Sohnes. Dann Elternvertretersitzung in der Gesamtschule meiner beiden Kinder. Zwei Institutionen, die sich um meine Kinder kümmern, sie ausbilden und dabei unterschiedlicher nicht sein könnten – in Anspruch, Vorgehen, den Rahmenbedingungen und im Ergebnis. Mit dem Fußballverein, den sich mein Sohn selbst ausgesucht hat, bin ich sehr zufrieden. Und ich glaube, Schulen könnten viel vom Fußball lernen. Schließlich ist Deutschland in dieser Disziplin Weltmeister.
Immer im Team trainieren
Jeder erfahrene Fußballtrainer würde es ablehnen, eine Mannschaft aus 16 Jugendlichen dauerhaft allein zu trainieren. Selbst in den untersten Klassen des Jugendfußballs sind Trainerteams die Regel. Unabhängig vom Anspruch des Vereins und der Leistungsfähigkeit der Spieler. Weil sonst kein strukturiertes und hochwertiges Training möglich ist. Selbst bei einer im Schulklassenvergleich homogenen Gruppe wie einer Fußballmannschaft kann eine Person allein beaufsichtigen, aber nicht anspruchsvolle Übungen durchführen und mit dem Blick auf einzelne Spieler Team und Individualfähigkeiten verbessern. Warum erwartet man also, dass im hochkomplexen Schulkontext eine Lehrkraft, auf sich gestellt, 25 oder noch mehr Schülern zum Teil sehr anspruchsvolle Lehrinhalte vermitteln kann?
Erfolg – und Anerkennung
Mit Neid müsste jeder Lehrer auf einen Fußballtrainer schauen, dessen Mannschaft überraschend gegen eine eigentlich deutlich bessere gewinnt. Der staunt, wie das in den letzten Wochen eingeübte Positions- und das schnelle Passspiel auf einmal auch unter Wettkampfbedingungen gelingt. Der sich freut, wenn einer seiner schwächsten Spieler sein erstes Tor schießt.
Die meisten Schulen setzen ihren Lehrkräften keine klaren Ziele, an denen sich Erfolg messen lassen könnte. Was will, was kann ein Lehrer mit seinem Klassenteam erreichen? Welche gemeinsamen Siege kann eine Klasse feiern? Oft geht es im Unterricht um kaum mehr als den einigermaßen geordneten Ablauf des Schulalltags. Doch wie haben Lehrkräfte dann die Möglichkeit, Erfolge zu erleben? Wo und von wem bekommen sie Bestätigung, Zuspruch, Anerkennung oder Lob? Welche Mutter oder welcher Vater hat einem Lehrer schon einmal anerkennend auf die Schulter geklopft und sich für die Lernfortschritte des Kindes bedankt?
Währenddessen stehen an Herbstwochenenden über eine Million ehrenamtliche Fußballtrainer im Regen am Spielfeldrand, erstellen Trainingspläne, organisieren Mitfahrgelegenheiten zu Spielen, pflegen Internet-Seiten zur Kommunikation mit Spielern und Eltern. Im wöchentlichen Turnus kann ein Trainer sehen, wo seine Mannschaft steht, können Spieler zeigen, was sie können, und fiebern Eltern mit ihren Kindern. Natürlich läuft auch beim Fußball nicht immer alles glatt, aber die Stimmung ist vielfach positiver als im und ums Klassenzimmer.
Feedback und individuelle Förderung
Vermutlich bekommen Jugendliche nirgends so viel und so regelmäßiges Feedback wie in den wöchentlichen Trainingseinheiten ihres Vereins. Es gibt Hinweise bei Trainingsübungen, Zurufe von der Seitenlinie, Mannschaftsbesprechungen nach Spielen und viele Einzelgespräche. Die meisten Trainer sind keine Pädagogen, und die Art des Feedbacks könnte vielfach konstruktiver, anleitender und motivierender sein. Da ist häufig zu wenig Distanz und zu viel Leidenschaft. Aber die Spieler erhalten viel individuelle Kritik und Wertschätzung. Sie bekommen in der Mannschaft ihren Fähigkeiten entsprechende Aufgaben, schwächere Spieler profitieren vom Zusammenspiel mit stärkeren. Mit anderen Worten: Gutes Fußballtraining kommt dem schulischen Wunschbild nach individueller Förderung und gemeinsamem, leistungsübergreifendem Lernen schon sehr nahe.
Wer im Fußball nicht mitkommt, bleibt zu Hause. Das geht in der Schule nicht
Allerdings nutzen Vereine eine Möglichkeit, die die Arbeit der Trainer deutlich vereinfacht: Es gibt erste, zweite und dritte Mannschaften. Man trainiert gemeinsam als Jahrgang, aber auch manchmal nur als Mannschaft. Die Gruppen sind dadurch kleiner. Leistung und Verlässlichkeit werden durch den Aufstieg in die bessere Mannschaft belohnt, wo man durch stärkere Gegner mehr gefordert ist.
Hier ist ein weiterer Unterschied zur Schule offensichtlich: Wer auch in der schwächsten Mannschaft auf Dauer nicht mitkommt, bleibt irgendwann zu Hause. Das geht in der Schule nicht.
Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit und klare Regeln
Es ist zynisch zu argumentieren, dass das Gute am Schuleschwänzen der Umstand ist, dass meistens diejenigen Kinder unerlaubt dem Unterricht fernbleiben, die, wenn sie da sind, am meisten stören.
Auch in Fußballvereinen wird geschwänzt. Aber meist mit direkten Folgen: einem Straflauf von zwei Runden um das Spielfeld, einem Platz auf der Ersatzbank, einer Ausladung vom nächsten Punktspiel oder gar dem Rauswurf aus der Mannschaft. Denn wie in einer Schulklasse auch, reichen zwei Störenfriede, um mit der Atmosphäre auch den Ertrag eines Trainings zu ruinieren. Gute Trainer erwarten von ihren Spielern daher Engagement und Zuverlässigkeit, Konzentration und Beteiligung. Wer dazu nicht bereit ist, muss sich gar nicht entscheiden – für den wird entschieden. Diese Möglichkeit besteht für Schulen natürlich nur in sehr begrenztem Umfang. Dort werden Klassen regelmäßig zu Geiseln von wenigen Schülern. Umso wichtiger wäre ein Instrumentarium, mit dem Lehrkräfte die Einhaltung von Grundregeln durch Kinder – wie auch deren Eltern! – wirksam einfordern könnten.
Transparenz
Schule ist für Eltern eine Blackbox. Unterrichtet wird hinter verschlossenen Türen. Was dort genau passiert, wissen Eltern nur vom Hörensagen. Die Klasse ist das Reich der Pädagogen, in dem sie weitgehend frei von fachlichem Feedback walten. In gewisser Weise ist das verständlich, weil es neben den Eltern, die gar nicht in Erscheinung treten, immer mehr Eltern gibt, die den schulischen Werdegang ihrer Kinder mit Druck auf die Lehrer bis hin zu juristischen Maßnahmen unterstützen. Einmischung kann jedoch kein Totschlagargument gegen Transparenz sein.
Der Trainer braucht die Unterstützung der Eltern. Und die Eltern werden einen guten Trainer nicht vergraulen
Beim Fußball sind Eltern präsent. Sie stehen am Spielfeldrand, schauen zu, holen ihre Kinder ab. In einem gut geführten Fußballverein kommunizieren alle viel miteinander: Trainer und Eltern sowie beide untereinander. Für jeden ist sichtbar, wie trainiert wird, wie die Trainer die Kinder ansprechen, wie deren Leistungsstand ist, auch im Vergleich mit anderen.
Auch auf dem Fußballplatz bringen sich die einen Eltern kaum, die anderen vielleicht zu viel ein. Aber man diskutiert miteinander, und man respektiert sich gegenseitig: Der Trainer braucht die Unterstützung der Eltern, um mit den Kindern gut arbeiten zu können; und die Eltern haben kein Interesse, einen guten Trainer durch übertriebene Einmischung zu vergraulen. Fest steht für mich jedenfalls: Echtes Qualitätsmanagement kann es in einer Schule mit verschlossenen Türen und fehlenden Handlungsmöglichkeiten des Schulleiters nicht geben.
Neue Bälle
Wäre ein Fußballverein eine Schule, dann müssten die Kinder mit ein paar alten Bällen und ohne Tore trainieren.
Was Ball und Tor im Fußball, sind Buch und Aufgaben in der Schule. An der Gemeinschaftsschule meiner Kinder gibt es in den meisten Fächern keine Fachbücher mehr. Stattdessen werden wenig ansprechende Schwarz-Weiß-Kopien aus unterschiedlichen Büchern und Lehrmaterialien verteilt. Was die Kinder dann als Lernunterlage erhalten, ist eine zwangsläufig lückenhafte, unstrukturierte und methodisch wie optisch sehr heterogene Blättersammlung. Zusätzliche Aufgaben zum Üben fehlen ganz.
Wer als Mutter oder Vater mit seinen Kindern lernen oder im Unterricht unverstanden Gebliebenes erklären möchte, ist komplett verloren. Das sind auch unsere Kinder selbst, die nichts Brauchbares an die Hand bekommen, um selbstständig zu lernen und sich in neue Themen einzuarbeiten. YouTube und Wikipedia werden dann zur Notlösung, wie ein mit zwei Sporttaschen abgestecktes Tor auf dem Bolzplatz.
Auch in Vereinen gibt es Elternabende, zusätzlich zu den vielen Gesprächen am Spielfeldrand. Aber es gibt keine Fach-, Elternbeirats-, Zeugnis- und andere Zeitverschwendungskonferenzen. Als wenn es nicht schon überall an Mitarbeitern und Zeit fehlen würde, müssen Lehrkräfte immer mehr Zeit für bürokratisch-administrative Aufgaben aufbringen. Dabei sollten sie sich darauf konzentrieren können, mit den Kindern zu arbeiten, anstatt in Verwaltungsaufgaben zu ersticken.
Einfach und ideologiefrei
Schulen sind heute Orte nicht mehr bewältigbarer Komplexität und Mängelverwaltung. Sie sind das Produkt schulpolitischer Irrtümer, parteipolitischer Entscheidungswillkür und langjähriger Investitionsversäumnisse.
Meine Kinder gehen auf eine Gemeinschaftsschule mit Inklusionsschülern. Eine Klasse deckt dabei die gesamte Skala schulischer Leistungsfähigkeit ab: von guten Gymnasialschülern über mittelmäßige Realschüler bis hin zu Kindern mit deutlicher Lernbehinderung. Auch für zwei Lehrkräfte, wie sie bei uns immerhin oft eingesetzt werden, ist das eine kaum zu meisternde Herausforderung. Eine einzelne Lehrkraft kann, wenn überhaupt, nur den Schülern in der Mitte des Spektrums gerecht werden.
Als Schüler hat man es heute am einfachsten, wenn man zum Mittelmaß gehört
Als Schüler hat man es heute am einfachsten, wenn man zum Mittelmaß gehört. Damit passt man am besten in die bestehenden Strukturen: nicht zu gut, nicht zu schlecht. Einigermaßen eigenständig. Nicht zu lebendig. Gehorsam. Fällt ein Schüler nicht in dieses Raster, dann wird er zum Stressfaktor eines überforderten Systems. Schule entfernt sich als Organisation immer weiter von den Menschen, für die sie ursprünglich geschaffen wurde.
Wie froh bin ich da, wenn ich in unseren Fußballverein komme. Der ist einfach, unbürokratisch, klar fokussiert auf die Arbeit mit Kindern und weitgehend unberührt von ideologischen Modethemen und ständigen Richtungswechseln. Ich habe den Eindruck: Wenn die Schule dem nicht wieder ähnlicher wird, ist unser Klassenerhalt in Gefahr. Und es droht der Abstieg eines ganzen Landes.