Denken & Diskutieren

Hotel Mama forever?

Da denkt man, man hat sie groß – und dann bringen sie doch noch jedes Wochenende die Schmutzwäsche nach Hause. Kochen können sie auch nicht. Sind unsere Kinder nicht selbstständig genug?


Meine Nachbarn haben einen neuen Mitbewohner. Ihren Sohn Arndt. Arndt ist 22 Jahre alt und war fürs Studium eigentlich schon längst ausgezogen. Die Eltern hatten sich gefreut. „Der Junge geht jetzt seinen Weg“, sagte mein Nachbar einmal stolz zu mir. Nun sitzt Arndt wieder am Küchentisch und isst Salamibrote, von der Mama geschmiert. Das Studium ist abgebrochen, jetzt ist eine Ausbildung in der Nähe geplant. Seine Mutter kocht und wäscht für ihn. „Arndt kann das auch alles noch nicht“, sagt meine Nachbarin resigniert. „Hätte ich ihm mehr beibringen müssen?“

Gute Frage! Wer ist schuld, wenn 20-Jährige noch keine Nudeln kochen können? Die Eltern? Gehört die Ausbildung an der Waschmaschine zur Erziehung? Genauso Fenster putzen oder eine Steuererklärung machen? Die Erfahrung ist doch so: Je stärker Eltern ihre Kinder zur Mithilfe im Haushalt drängen, desto unwilliger werden diese. Aufräumen? Keinen Bock! Druck scheint nicht die richtige Methode für die Erziehung zur Selbstständigkeit zu sein. Aber welche ist es dann?

Blicken wir auf die Zeit zurück, in der wir selbst Anfang 20 waren. Wir wollten es uns einfach machen. Als ich nach dem Abitur mit zwei Freundinnen eine Wohngemeinschaft gründete, ernährten wir uns überwiegend von Nudeln. Kartoffeln schälen? Viel zu aufwendig. Nach dem Wochenende in der Heimat erzählten wir uns begeistert, was es zu Hause Leckeres zu essen gegeben hatte. Rotkohl mit Klößen! Schnitzel! Kartoffelgratin!

Einmal keimten Pflanzen in einer feuchten Socke im Gemeinschaftsbad. Das war ein Brüller, änderte aber nichts. Immer wieder lag nasse Wäsche tagelang rum, bis sie mal aufgehängt wurde. Auch Staub auf dem Regal, trübe Fenster oder schimmelige Tomaten interessierten uns nicht wirklich. Wir räumten auf, wenn wir Lust hatten. Aber meistens hatten wir Besseres zu tun. Unselbstständig habe ich mich dabei nicht gefühlt. Ich bin satt geworden, hatte was zum Anziehen, wusste, wie man den Busfahrplan liest und saß meist pünktlich in der Uni. Und wenn ich mal wissen wollte, wie man einen Geburtstagskuchen zusammenrührt, rief ich meine Mutter an. Für mich lief die Sache mit der Selbstständigkeit. Aus Sicht meiner Eltern war da sicher noch eine ganze Menge Luft nach oben.

Als junger Erwachsener will man die Welt entdecken und nicht den Staub auf der Türkante

Die Generationen setzen eben unterschiedliche Prioritäten. Eltern wollen gebügelte Hemden und einen gemähten Rasen. Für sie gehört zur Selbstständigkeit, dass man samstags das Auto saugt und immer Milch im Kühlschrank hat. Jugendliche sehen Selbstorganisation noch wesentlich flexibler. Sie kaufen ein, wenn sie Hunger haben, und putzen den PC-Bildschirm erst, wenn ihr Actionheld schwammig aussieht. „Für Jugendliche und junge Erwachsene sind andere Dinge viel wichtiger“, sagt der Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater und Autor Michael Schulte-Markwort („Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert“). Partys, Freunde, Computer, Musik, Sport – als junger Erwachsener will man die Welt entdecken und nicht den Staub auf der Türkante.

„Eltern sollen sich mal entspannen“, fordert Schulte-Markwort deshalb. Er ist überzeugt: „Die Sache mit der Selbstständigkeit kommt von ganz allein.“ Irgendwann ist die letzte Hose getragen und der Wäschekorb voll: „Dann muss sich der junge Mensch kümmern und mal einen Blick auf die Waschmaschine werfen.“ Genauso sei es mit allen anderen Dingen des alltäglichen Lebens: Wer Hunger hat, muss kochen lernen. Wer Geld verdient, eine Steuererklärung machen. „Und dann sammeln die jungen Menschen Schritt für Schritt die notwendigen Erfahrungen, machen dabei natürlich auch Fehler und entwickeln sich weiter – so ist der Lauf des Lebens“, sagt der Experte. Eltern sollten ihnen dabei unterstützend zur Seite stehen: „Seien Sie da, wenn es Fragen und Probleme gibt, aber schenken Sie auch Vertrauen, dass Ihr Kind schon alles auf die Reihe bekommt.“ Die Erfahrung vieler Eltern zeige letzlich doch: Die Kinder können, wenn sie wollen.

Selbstständigkeit bemisst sich zum Glück nicht an der Fähigkeit, ob jemand ein Paket Nudeln in kochendes Wasser schmeißen kann oder den Staubsauger in Gang bekommt. Selbstständigkeit beschreibt die Fähigkeit, sich um die eigenen Bedürfnisse kümmern zu können, sich selbstverantwortlich neuen Herausforderungen zu stellen und auch nicht um Schwierigkeiten gleich einen Bogen zu machen. Manche Männer haben bis ins Rentenalter noch kein Spiegelei gebraten. Unselbstständig sind sie deshalb nicht unbedingt. Es kann auch klug sein, die Annehmlichkeiten des sozialen Umfelds zu nutzen.

So auch bei Nachbarssohn Arndt: Solange seine Mutter kocht und putzt, hat er mehr Zeit zum Rennradschrauben. Eltern, die wollen, dass ihre Kinder zupackender werden, sollten gewohnte Rollen deshalb auch ganz bewusst mal verlassen. Meine Nachbarin will das nun ausprobieren: „Arndt kocht mit meiner Unterstützung eine Lasagne, dafür erklärt er mir irgendwann, wie man einen Fahrradreifen flickt. Das habe ich nämlich auch noch nie gemacht.“



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