Sie sind jung, dynamisch, sympathisch und sehen mit ihren leicht gegelten Haaren und sportlichen Bodys eher so aus, als kämen sie direkt aus dem Fitnessstudio. Ihre Sprache ist flapsig, manchmal auch „voll krass“, jedenfalls alles andere als lehrerhaft. „Und das sollen Mathe-Cracks sein oder gar seriöse Nachhilfelehrer?“, mögen sich Eltern fragen, die Alex Giesecke und Nico Schork zum ersten Mal auf ihrem YouTube-Nachhilfekanal TheSimpleClub in Aktion sehen. Aber was Eltern irritiert, kommt bei ihren Teenager-Kindern umso besser an. Denn mit über einer Million Abonnenten sind die beiden 21-jährigen Studenten in nur vier Jahren zu Deutschlands beliebtesten Online-Nachhilfelehrern avanciert.
Onlinevideos sind die Ausdrucksform der jungen Generation. Von Urlaubserlebnissen bis zu Nachrichten, von der simplen Blödelei bis eben zum Schulstoff passt alles irgendwie in ein paar Minuten Film. Die Aufnahmetechnik steckt heute in jedem Smartphone: Drehen, schneiden, veröffentlichen –wenn es sein muss, hat man seine Zielgruppe in wenigen Minuten erreicht. „Demokratisiert“ nennen Experten es, wenn der Zugang zu einer Technik, die noch vor wenigen Jahren teuer und elitär war, plötzlich jedermann möglich ist. Und das nutzen die Jugendlichen, wie es ihre Art ist: kreativ, naiv und konsequent.
Wir hatten Bock, gute Videos zu drehen, und waren zufällig auch noch gut in Mathe und konnten gut erklärenAlex Giesecke, The SimpleClub
„Eigentlich sind wir einfach nur zwei Typen, die in der 11. Klasse Bock hatten, gute Videos zu drehen, und die zufällig auch noch gut in Mathe waren und gut erklären konnten“, sagt TheSimpleClub-Macher Alex Giesecke. Genau diese unprätentiöse und authentische Mischung ist es offenbar, die bei den Schülern so gut ankommt. Mittlerweile haben die beiden Schulfreunde ihr Nachhilfeangebot mit Physik, Chemie, Biologie, Wirtschaft und demnächst Geografie, Informatik und Geschichte auf acht Fächer ausgeweitet. Sie haben eine GmbH gegründet, beschäftigen 20 Mitarbeiter und werden ab September zu den mittlerweile über 1 000 kostenlosen Videos auf ihrer Lernplattform das Zusatzangebot „TheSimpleClub+“ anbieten, auf der Abonnenten dann für rund zehn Euro pro Monat auch Lernmaterial runterladen oder Übungsaufgaben lösen können. Alex und Nico sind sicher, dass auch dieses Angebot ein Erfolg wird. „Schon nach der kurzen Testphase im März hatten wir 240 000 Downloads der App“, so die Gründer.
Natürlich sind die beiden nicht allein auf dem Markt. Diverse Video-Nachhilfechannels gibt es inzwischen auf YouTube, auch die großen Schulbuchverlage und Nachhilfeketten haben das Thema entdeckt. So kann man sich Mathe vorsingen lassen, in 100 Sekunden schwierige physikalische Sachverhalte zu erfassen versuchen oder minimalistisch reduzierten Matherechenwegen folgen. Meist aber steht nur jemand vor einem Whiteboard und erklärt – verständlich und fachlich korrekt, aber selten unterhaltsam. Weil YouTube und Unterhaltung für Schüler jedoch untrennbar sind, hat TheSimpleClub einen Platzhirsch-Status.
Die Welt der Video-Tutorials
Wer keine Ahnung hat, youtubt einfach: Zahlreiche Nachhilfechannel bieten inzwischen alternative Zugangswegen für so ziemlich jeden Schulstoff. Hier sind einige Beispiele:
DorFuchs
2,2 Millionen Mal ist das Video inzwischen geklickt worden, in dem Johann Beurich alias DorFuchs binomische Formeln singt und rappt. „Mathe + Musik“: Die Kombination kommt bei Schülern an.
100SekundenPhysik
Manche würden Einsteins Relativitätstheorie auch in 100 Jahren nicht verstehen. Leon Baar erklärt sie in 100 Sekunden. Mit seinem schnellen Erklärformat erreicht Baar auf YouTube über 400.000 Abonnenten.
sofatutor.com
Schon seit dem Jahr 2007 wächst dieses multimediale Lernportal, das aus dem studentischen Bereich kommt. Inzwischen ist es eine feste Größe im Nachhilfemarkt und kooperiert sogar mit Schulbuchverlagen.
Beckuplearning
Ein Whiteboard, ein Stift und viel Nachhilfeerfahrung: Dieses Erfolgsrezept hat Daniel Jung zu einem der bekanntesten Mathe-YouTuber gemacht. Seine Firma beck-up vermittelt auch klassische Nachhilfe.
JeanHilftDir
Puristischer geht es kaum: Der YouTube-Kanal JeanHilftDir erklärt mathematische Rechenwege auf weißem Hintergrund – nicht mehr, nicht weniger. Das reicht trotzdem für fünfstellige Zugriffszahlen.
Zwei Schüler ohne jede Didaktikerfahrung haben den Nerv einer ganzen Schülergeneration getroffen. Nicht nur finden sie den richtigen Ton für ihre Zuschauer, sie können sich auch in die Sichtweise zum Beispiel eines an Mathe verzweifelnden Schülers versetzen und ihm auf diese Weise Schritt für Schritt selbst komplizierte Themen leicht und locker erklären. „Als wir in der 11. Klasse angefangen haben, wussten wir aus eigener Erfahrung, was die Leute brauchen, wir waren schließlich unsere eigene Zielgruppe“, erklärt Alex.
Befreundet sind die beiden schon, seit sie in Mosbach bei Heidelberg aufs Gymnasium kamen. In der 11. Klasse waren beide gut in Mathe, besserten ihr Taschengeld als Nachhilfelehrer auf und waren, wie alle anderen Schüler, begeisterte YouTube-Gucker. Irgendwann nervte es sie, jedem Schüler einzeln immer wieder das Gleiche erklären zu müssen. Und dann war da ja auch noch die Idee, einen eigenen YouTube-Kanal einzurichten. „Wir hatten gehört, dass man mit YouTube Geld verdienen kann, und hatten die Vorstellung, dass wir uns mit Mathe-Nachhilfevideos vielleicht unser Studium finanzieren könnten“, lacht Alex Giesecke. Doch nach einem halben Jahr war klar, reich wird man auch als YouTube-Star nicht: „Da hatten wir nach Abzug aller Kosten gerade mal zehn Dollar verdient.“
Der Bedarf scheint immer noch unendlichAlex von TheSimpleClub
Andere hätten an diesem Punkt wohl aufgehört, räumt Alex ein. „Aber da hatten wir schon derart viel Zuspruch, dass wir einfach weitermachen wollten.“ Ohnehin ist den beiden Studenten wichtig klarzustellen, dass sie nicht „Kohle scheffeln“ möchten, sondern möglichst vielen Schülern für wenig Geld bei ihrem Schulstress helfen wollen. „Irgendwie scheint der Bedarf so unendlich, dass wir unsere Einnahmen bislang immer in die Erweiterung investiert haben“, sagt Alex. Mittlerweile leben die beiden Jungunternehmer in Berlin, lernen ihren Studienstoff übers Internet und fahren nur noch zu den Klausuren an ihre jeweiligen Unis. Dank eines Joint Ventures mit dem YouTube-Netzwerk Mediakraft sitzen TheSimpleClub und die sieben festangestellten Videodesigner nun in dessen Hauptstadtbüro.
Bis heute spricht Alex sämtliche Texte der Videos selbst, aber das Fachwissen und die Skripte für die Videos steuern freie Autoren bei. Die studieren fast alle in den ersten Semestern des jeweiligen Fachs und wissen daher genau, wie Schüler ticken, betont Alex. Denn, so seine Erfahrung, wer in den „Null Bock“-Jahren der 8. und 9. Klasse wichtigen Stoff verpennt hat, erlebt in der Oberstufe oft böse Überraschungen. „Wir setzen daher da an, wofür im Unterricht meistens keine Zeit bleibt, nämlich bei den Lücken.“ Ein Video kann punktuell nachhelfen, und es hat den Vorteil, dass man es immer wieder anschauen kann.
Bislang waren vor allem Oberstufenschüler die Hauptnutzer, aber ab September soll die Seite in neuem Look auch für jüngere Jahrgangsstufen leichter zu bedienen sein. Und noch etwas ändert sich: „Zwar kommen die meisten Schüler immer noch über Tipps ihrer Kumpel zu uns, aber an zweiter Stelle stehen schon die Lehrer“, weiß Alex aus vielen E-Mail- und Facebook-Kommentaren. „Immer mehr Kollegen nutzen die Videos sogar im Unterricht“, bestätigt auch Andrea Hufnagl, Biologie- und Chemielehrerin am Gymnasium Markt Indersdorf. „Die Videos sind fachlich solide, und sie sind witzig. Manches mag ein wenig flapsig erscheinen, aber den Schülern gefällt’s.“ In ihrem Biologieunterricht hat sie kürzlich ein Video über Genetik gezeigt und kritisch besprochen, manche ihrer Kollegen würden die Videos sogar für die Hausaufgaben nutzen.
Selbst die Eltern haben uns mittlerweile entdeckt“, sagt Alex Giesecke und erzählt von „unzähligen E-Mails, in denen sich viele enthusiastisch dafür bedanken, dass es weniger Stress in der Familie gibt und sie durch unser Angebot auch finanziell entlastet werden.“ Während sonst oft Eltern Lernhilfen kaufen, die ihre Kinder ablehnen, funktioniert es hier genau andersherum: „Viele Eltern wussten gar nicht, dass es uns gibt, und sind erst von ihren Kindern auf die Lernplattform aufmerksam gemacht worden“, schließt Alex aus dem Feedback. Möglicherweise ist genau das der kleine, aber feine Unterschied, der das Erfolgsgeheimnis von TheSimpleClub ausmacht: „Wir sind so wie ihr“ lautet die Botschaft, die offenbar ankommt.