Stottern in der Schule: „Wichtig ist es, das Stigma aufzubrechen“
Angela Nelde, Stottertherapeutin und Lehrerin für Sonderpädagogik, erklärt, warum stotternde Kinder oft Probleme in der Schule haben und was ihnen helfen kann
Warum haben es stotternde Kinder in der Schule manchmal so schwer?
Viele stotternde Kinder haben schon in der Grundschule Horror-Erlebnisse. Manchmal äffen andere Kinder sie nach, und nicht immer bekommen Lehrer das mit oder greifen ein. Natürlich gehen alle Kinder anders mit solchen Erfahrungen um: Manche selbstbewusster, manche schweigen, andere werden wütend und lösen das mit Fäusten. Und dann haben sie nicht nur ein Stotterproblem, sondern gelten plötzlich auch als Kind mit einem Aggressionsproblem.
Was bedeutet das für die schulische Leistung?
Stottern kann sich katastrophal auf die Noten auswirken. Viele Kinder wollen ihr Stottern in der Schule nicht preisgeben. Sie schweigen, sagen nur sehr wenig und werden als besonders schüchtern wahrgenommen. Andere sind wahre Meister im Kaschieren ihrer Schwäche und vermeiden bestimmte Wörter oder komplizierte Sätze. Bei großen Klassen kann es sein, dass ein Lehrer denkt, das Kind will einfach nicht mitmachen, und zunächst nicht merkt, dass das Kind stottert.
Aber wäre es nicht besser, das Problem sofort anzusprechen?
Offenheit ist sehr wichtig, aber oft bitten Kinder ihre Eltern, nicht mit dem Lehrer zu sprechen, weil ihnen das Stottern peinlich ist. Aber es ist wichtig, das Stigma aufzubrechen, zu erklären, dass man nicht doof ist, nur weil man stottert. Nicht jeder Lehrer weiß, wie er auf stotternde Kinder reagieren soll und was getan werden kann, um zu helfen. Da kann es hilfreich sein, Kontakt zu Experten aufzunehmen oder auch Therapeuten in die Schule einzuladen.
Was hilft Stotterern in der Schule?
Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Lehrer, Schüler und Eltern sollten zusammen überlegen, wie die Teilnahme am Unterricht leichter wird. So könnten Lehrer zum Beispiel anbieten, dass die Kinder sich selbst melden, wenn sie vorlesen möchten, anstatt sie aufzurufen. Oder Kinder werden unter vier Augen ausgefragt und nicht vor der ganzen Klasse. Und: Jedem Schüler steht die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs zu. Je nach Bundesland sind die Bedingungen aber unterschiedlich – und oft muss man in Schulen erst einmal Überzeugungsarbeit leisten.
Wie kann man stotternde Kinder sonst noch unterstützen?
Es ist enorm wichtig, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken. Ich hole in meine neuen Klassen oft ehemalige Schüler von mir rein, die stottern. Und dann sehen die neuen Kinder, die ihre Schwäche vielleicht noch nicht akzeptiert haben, dass auch andere eine Sprachstörung haben und es trotzdem geschafft haben. Und: Es ist wichtig zu sehen, was das Kind gut kann, was es für Interessen hat. So kommt man weg vom Bild des stotternden Kindes.
Webtipps
- Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e. V. (BVSS) bietet Infos zu Themen wie Therapie und Selbsthilfe an, außerdem Seminare und Fortbildungen.
bvss.de
Themen wie „Was bringt eine Selbsthilfegruppe?“ im YouTube-Kanal der BVSS:
youtube.com/user/stotternvideos - Infos für Schüler, Lehrer, Azubis und Studierende, auch zum Nachteilsausgleich:
www.stottern-und-schule.de - Beratungsstelle am Forschungsinstitut für Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie:
www.edu.lmu.de/shp/beratungsstelle/stottern/index.html - Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V.:
dbl-ev.de - Infos und Tipps zum Thema Mobbing:
bildungsserver.berlin-brandenburg.de/mobbing - Am 22. Oktober ist Welttag des Stotterns:
isastutter.org/what-we-do/isad
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