An den Burgmauern rankt sich der Efeu empor. Im Tal schlängelt sich der Rhein. An den Hängen wachsen weiße Rebsorten wie Riesling, Kerner und Schöneburger. „Hier würde ich auch gerne eine Sprache lernen – ganz egal welche“, denke ich mir, als ich meinen zehn Jahre alten Sohn Kilian und seinen gleichaltrigen (und gleichnamigen) Freund auf der Schönburg bei Oberwesel in Rheinland-Pfalz abliefere.
Die Schönburg stammt aus dem 12. Jahrhundert und gehört zum UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal. Eine Woche lang werden die beiden Jungs mit rund 40 anderen Kindern und sechs Lehrern und Betreuern hier Ferien im Sprachcamp machen – mit Lerneffekt. Der Plan: vormittags Englisch üben, nachmittags Ausflüge machen. Die beiden Jungs sind aufgeregt und begeistert: „Und wir wohnen wirklich auch in der Burg?“ Lachend schleppen sie ihre Taschen eine steile Wendeltreppe nach oben und bekommen im Turm ein kleines Zimmer zugewiesen – ganz für sich allein. Vom Fenster aus blickt man auf den Rhein. „Willst du das linke oder das reche Bett?“, fragt mein Kilian seinen ehemaligen Kindergartenfreund. Dann hechten sie mit einem lauten Juchzer auf ihre Betten.
Am ersten Abend ist die Kreativität der Kinder gefragt. Während der ganzen Woche werden einzelne Gruppen à la Harry Potter miteinander wetteifern. Wer hat die besten Ideen? Wer ist besonders einfallsreich? Wer bringt sich ein? Wer unterstützt die anderen? Kilian und Kilian sind bei den „Foxes“ (Füchse), es gibt noch die „Lions“ (Löwen) und die „Eagles“ (Adler). Am ersten Abend entwerfen die Gruppen eigene Flaggen, bemalen und bedrucken alte Betttücher. „Was soll auf die Flagge drauf?“, fragt Englischlehrer Chris – auf Englisch, of course! Ebenso wie die Betreuer sollen auch die Kinder von Anfang an Englisch sprechen. Sie pinseln, was das Zeug hält, und lernen dabei die Farben auf Englisch und die richtigen Wörter für Flagge, Burg, Ritter. Es wird diskutiert und viel gelacht.
Anders als in der Schule geht es in diesem Sprachcamp nicht um Noten, nicht um den nächsten Test oder gar um Zeugnisse. Es geht einzig und allein um den Spaß an der Sprache und den Umgang mit ihr. Einige Kinder genieren sich am Anfang noch, sprechen ganz leise oder lieber gar nicht. Aber schon nach ein, zwei Tagen verlieren sie ihre Scheu. Ganz selbstverständlich stellen sie Fragen und erzählen, wenn auch manchmal etwas holprig und natürlich mit dem einen oder anderen Grammatikfehler. Aber sie trauen sich zu sprechen und haben – manche vermutlich zum ersten Mal – Freude daran.
Nur ganz am Anfang des ersten Unterrichtstags erinnert das Sprachcamp ein klein wenig an die Schule. In einem Multiple-Choice-Test und durch Gespräche wird das Englischniveau der Kinder festgestellt, um sie je nach Leistungsstand in Gruppen einteilen zu können. Im Unterricht sitzen die Jungen und Mädchen dann in kleinen Grüppchen zusammen.
Infos zu Sprachcamps- und reisen
Offaehrte bietet Sprachcamps in Deutschland sowie Schülersprachreisen im Ausland an. Das Camp auf der mittelalterlichen Schönburg in Oberwesel eignet sich für Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren. Einwöchiges Camp ab 554 Euro inklusive Unterricht, Unterkunft, Verpflegung und Aktivitäten: www.offaehrte.de
Berlitz: Englisch-Sprachcamps u. a. in Deutschland, Großbritannien und Irland. Berlitz bietet auch Familiensprachreisen an, bei denen Kinder und Eltern getrennt vonein-ander Unterricht erhalten: www.berlitz.de/sprachcamps
Ruf Reisen: Englisch-Sprachreisen für Kinder ab 11 Jahren in Deutschland, für Jugend-liche ab 13 Jahren z. B. in England oder auf Malta. 8-tägige Sprachreise auf Föhr/Deutschland ab 569 Euro: www.ruf.de
Travelworks: Neben der Vermittlung etwa von Work & Travel oder Au-pair-Stellen organisiert Travelworks auch Schüler-Sprachkurse für Englisch, Französisch und Spanisch im Ausland. Unterkunft in Gastfamilien oder Schulwohnheimen:
www.travelworks.deZebra-Tours: Schülersprachcamps für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren auf einem Schiff auf der Nord- und Ostsee, 6 Tage ab 499 Euro. Weitere Angebote für Sprachreisen auch für ältere Teenager: www.zebra-tours.de
„Hallo, ich bin Chris. Ich komme aus Kentucky, das ist in den USA, und ich fahre gern Mountainbike. Allerdings bin ich nicht sehr gut, letztes Jahr habe ich mir das Bein gebrochen“, stellt sich der Englischlehrer vor. Die Kinder schmunzeln. Nun sind sie selbst an der Reihe. Sie treten vor die Miniklasse und erzählen auf Englisch von sich selbst. Da ist zum Beispiel ein Mädchen aus Moskau, das gut Klavier spielt, eine 13-Jährige aus Bulgarien, die gern tanzt, ein Mädchen aus Frankfurt, das Querflöte spielt, und die beiden Kilians aus München, die Kung-Fu und Capoeira machen. Falls jemandem ein Wort nicht einfällt, helfen die anderen aus. Konkurrenzdruck wie in der Schule – Fehlanzeige. Niemand muss sich beweisen. Die Kinder stellen Fragen: „Ist Moskau schön?“, „Wie lange tanzt du schon?“, „Was für einen Gürtel hast du bei Kung-Fu?“ Ganz nebenbei wird das Thema Fragewörter besprochen. Chris: „Wer kennt Fragewörter?“ „How, when, what, where . . .“, kommen die Antworten. Chris schreibt die Wörter an die Tafel, und schon üben die Kinder Fragesätze.
„Well done! Good idea! Good point!“ Der Englischlehrer weiß, wie er die Ferienschüler motiviert. Er unterbricht die Kinder nicht sofort, wenn sie einen Fehler machen, sondern wiederholt den Satz noch einmal korrekt und erklärt die dazugehörige Regel. „Wir schauen nicht so sehr darauf, was die Kinder nicht können“, erläutert Chris. „Wir versuchen herauszufinden, wo sie stehen und was sie noch brauchen könnten. Den Jüngeren geben wir Vokabeln an die Hand, mit den Größeren üben wir Grammatik ein und sprechen viel. Das kommt in der Schule oft zu kurz.“
Tatsächlich lernen die Kinder nicht nur vormittags ein paar Stunden Englisch. Mit ihren Lehrern und Betreuern, die aus England, den USA, Polen und Venezuela kommen, unterhalten sie sich auch nach dem Unterricht ausschließlich auf Englisch. Auch mit vielen ihrer neuen Freunde können sie sich nur auf Englisch verständigen, denn einige Kinder sind aus Russland, Bulgarien oder Frankreich angereist. Englisch ist also die einzige gemeinsame Sprache.
Darf ich nächstes Jahr zwei Wochen ins Camp?Kilian, zehn Jahre
Auch das Nachmittagsprogramm motiviert: Die Gruppen spielen oder unternehmen Ausflüge. Mal veranstalten sie eine Schnitzeljagd durch Oberwesel, schauen sich die begehbare Stadtmauer und die Türme der alten Mauer an. Oder sie fahren mit dem Bus nach Bingen. Abends singen die Kinder Karaoke, machen ein Lagerfeuer oder üben Sketche für die Abschlussparty.
Nach einer Woche hole ich meinen Sohn und seinen Freund wieder ab. Wie eine große, neue Gemeinschaft stehen alle Kinder beisammen, tauschen Nummern aus, umarmen sich und ihre Betreuer. Und der erste Satz, den ich von meinem Sohn höre, lautet: „Darf ich nächstes Jahr zwei Wochen ins Camp?“