Spätestens wenn es im Herbst morgens beim Aufstehen wieder dunkel ist, fordern Eltern, Schülerinnen und Schlafforscher wieder, dass der Unterricht an deutschlands Schulen später beginnen sollte. Viele gute Argumente sprechen dafür, auch das Magazin SCHULE hat darüber schon berichtet. Doch in konkreten Umfragen äußern sich Schülerinnen und Schüler längst nicht so eindeutig: Oftmals wählen sie doch lieber einen frühen Schulbeginn – um mehr freie Zeit am Nachmittag zu haben. Was sagt der Ehrenpräsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, dazu?
Herr Meidinger, hat sind Sie überrascht, dass Schülerinnen und Schüler teils selbst für einen frühen Unterrchtsbeginn plädieren?
Nein, überhaupt nicht. Wir debattieren das Thema oft mit Schülern.
Und, kommen Sie dabei zu ähnlichen Ergebnissen?
Wenn vorne eine Stunde weggenommen wird, muss hinten auch eine angehängt werden
Jawohl. Die Schüler wissen sehr genau: Wenn vorne eine Stunde weggenommen wird, muss hinten auch eine angehängt werden. Sie stehen lieber früher auf, als nachmittags länger in der Schule sitzen zu müssen. Freizeit hat einen enormen Stellenwert für sie. Bei einem Schultag mit acht Schulstunden wählten 69 Prozent der befragten Neuntklässler die Option „von 8 bis 15 Uhr“. Verständlich. Wie sollen sie es sonst noch zum Fußball oder in die Klavierstunde schaffen? Von den Hausaufgaben ganz zu schweigen.
Trotzdem tickt die innere Uhr von Jugendlichen ja anders als bei Erwachsenen. Morgens fühlen sich viele, als sei es mitten in der Nacht. Deshalb wird auch vorgeschlagen, dass Jugendliche ab 16 Jahren vor 11 Uhr keine Prüfungen schreiben müssen. Was halten Sie davon?
Nichts. Die meisten Schüler ziehen es vor, Prüfungen schnell hinter sich zu bringen. Wie soll man sich auch auf Englisch oder Deutsch konzentrieren, wenn man weiß, dass in der fünften Stunde noch eine Matheklausur bevorsteht? Außerdem käme es zu erheblichen schulorganisatorischen Problemen. Was ist, wenn Mathe in einer Klasse immer nur vor 11 Uhr unterrichtet wird? Da müssten im Falle einer Arbeit dann Stunden getauscht werden, was für die ohnehin schwierige Stundenplan-Koordination eine Katastrophe wäre.
Viele Bundesländer stellen ihren Schulen im Rahmen einer Anfangsgleitzeit von 7.30 bis 8.30 Uhr längst frei, wann sie morgens beginnen möchten. Warum wird diese Freiheit so wenig genutzt?
Auf dem Land sind 80 Prozent der Schüler ohnehin viel früher da
Ich habe vor einiger Zeit eine Schule in Hessen besucht, die erst um 8.30 Uhr anfängt. Der Rektor sagte mir, dass 80 Prozent aller Schüler aber schon sehr viel früher da sind. Ein Grund ist, dass ein späterer Unterrichtsbeginn mit der Arbeitswelt der meisten Eltern nicht vereinbar ist. Auf dem Lande können zudem nur die wenigsten Kinder eine Schule zu Fuß, per Rad oder mit der Straßenbahn erreichen. Die meisten kommen mit dem Bus, der deshalb recht früh fährt, weil er mehrere Schulen anfährt und weitere Fahrgäste zur Arbeit bringen muss. Zusätzliche Busse würden zusätzliche Kosten bedeuten.
Was raten Sie Jugendlichen, die morgens nicht in die Puschen kommen?
Früher ins Bett gehen, ein Buch zur Entspannung lesen, Handy und Tablet ausschalten. Keine späten Gamer-Partys. Vor dem Schlafen eine Auszeit von den sozialen Netzwerken nehmen. Ich weiß, das ist schwer und unpopulär, hilft aber enorm.
„Später zur Schule? Doch lieber nicht“ – Interview mit Heinz-Peter Meidinger – Foto: gpointstudio/freepik