Singen Schule
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Singen – die beste Medizin gegen Coronafolgen

Im Zuge der Coronakrise sprechen alle von der Vereinzelung und Isolierung unserer Kinder. Singen in der Gemeinschaft kann hier die soziale Kompetenz fördern. Lehrvideos zum Singen erleichtern fachfremden Lehrkräften das Singen mit ihren Klassen. In der Schule wird Musikmachen so zu einem wesentlichen Faktor von Integration und Gemeinschaftsbildung. Von Wolfgang Pfeiffer


Corona ist zwar noch nicht ganz verschwunden, der Alltag nimmt wieder seinen gewohnten Gang, wenn auch mit kleinen Einschränkungen. Aber die Krise hat Wunden hinterlassen, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Zeiten des Lockdowns, der Isolierung in Quarantäne, Familien, die die enge Wohnung nicht verlassen durften, das alles bleibt nicht ohne negative Einflüsse auf die Psyche und die seelische Gesundheit unserer Kinder. Kinderärzte und Psychiater weisen in deutlicher Regelmäßigkeit auf die Folgen der Coronabeschränkungen bei Kindern und Jugendlichen hin: Ängste, Depressionen und Vereinsamung haben in den letzten zwei Jahren in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Der fehlende Kontakt und Umgang mit Gleichaltrigen und Freunden hat bestehende Tendenzen und Anlagen wesentlich verstärkt.

Es gibt kein Fach in der Schule, das mehr Potential hat, Gemeinschaft zu fördern als Musik. Sie verbindet Menschen und gerade deshalb kann sie helfen, die durch Corona geschlagenen Wunden wieder zu heilen. Das einfachste und natürlichste Musikinstrument, das Menschen besitzen ist die Stimme. Sie ist seine Verbindung zur Welt und mit seinem Innersten eng verbunden. Aber die meisten Menschen singen nur noch, wenn sie unbeobachtet sind, in der Badewanne oder beim Duschen. Dieses körpereigene Instrument behandeln wir so stiefmütterlich: zu Hause wird nicht mehr gesungen, in der Schule stehlen sich viele Lehrkräfte aus ihrer Verantwortung, mit den Kindern zu singen. Sie unterrichten dafür lieber noch eine Stunde Mathematik oder Deutsch, „das ist schließlich wichtiger“. Als Folge dieser langjährigen Vermeidung gehen die vielseitigen stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten verloren: ist der Umgang mit der eigenen Stimme nur rudimentär entwickelt, kann die Stimme auch nicht bewusst bzw. differenziert eingesetzt werden.

Singen ist Ausdruck der Persönlichkeit

Singen ist ein ursprüngliches und emotionales Ausdruckmittel des Menschen, vom Schlaflied bis zum Liebeslied kann die Stimme alle Nuancen der emotionalen Verfassung widerspiegeln (Kreutz 2020). Beim Singen wird der ganze Körper involviert: die Atmung wird intensiviert, die Körperspannung angepasst, der ganze Körper schwingt, der Mensch stellt seine Persönlichkeit mit seinem Gesang dar. Zum geschulten Singen gehört auch das Bilden von Resonanzräumen, von Vokalen und Konsonanten, von Klangfärbung und Intonation, also ein differenzierter, gezielter und bewusster Umgang mit der Stimme. Wissenschaftliche Studien weisen nach, dass Singen eine sichere, nachhaltige und über die gesamte Lebensspanne verfügbare Strategie zur Verbesserung des psychischen und körperlichen Wohlbefindens bietet (Georgi, Bötsch & Fedorov 2016, Kreutz &Georgi 2018).

MIT Musik

Singen mit der Klasse

In der Schule hat das aktive Musizieren und besonders das Singen auch das Ziel der Förderung der sozialen Integration. Es dient der Bildung von Gemeinschaft, es erzeugt Harmonie und Integration: nur wer in der Harmonie bleibt, sich in den Gesamtklang einfügt und im Rhythmus schwingt, der kann sich in die singende Gemeinschaft integrieren. Obwohl die Effekte von Musik eindeutig sichtbar sind, wird das Potential in der Schule bei weitem nicht ausgeschöpft: es fehlen Lehrkräfte, die mit ihren Klassen singen wollen und können.

Für fachfremde Lehrkräfte: digitale Unterstützung zum Singen

Um den fachfremd unterrichtenden Lehrkräften die Möglichkeit zum Singen zu geben, wurden an der Friedrich-Alexander- Universität Videos entwickelt, die Lehrkräfte beim Singen mit Klassen unterstützen. Wir sind überzeugt, dass Singen gelingen kann, wenn eine Person als Modell die wesentlichen Aspekte demonstriert und das Lied schrittweise vorsingt. Das Unterrichtsprinzip verknüpft alltägliches Lernen von Kindern und Jugendlichen mit der Theorie des dialogischen Lernens (Ruf, Gallin 2014): die Lehrperson dient als Modell und Lernbegleiter*in, sie animiert die Klasse und unterstützt sie beim Lernen.

Lied „Zwei kleine Wölfe“ zum Ausprobieren

Das Unterrichten mit Video können alle Lehrkräfte mit ihren Klassen durchführen: unter www.mit-musik.com wurde das Lied „Zwei kleine Wölfe“ zum kostenlosen Streaming bereitgestellt. Notwendig dazu ist lediglich ein Beamer, gut wäre eine gute Wiedergabequalität des Tons.

Zwei kleine Wölfe - MIT Musik

Das Video beginn mit Übungen zur körperlichen Lockerungen, es folgen Atem- und Stimmbildungsübungen, der Einstieg in das Lied geschieht mit dem schrittweisen Erlernen von Text und Melodie. Durch genaue Beobachtung der Reaktionen der Schüler*innen, durch genaues Zuhören überprüft die Lehrkraft den Lernfortschritt, sie stellt fest, ob die vorgesprochenen oder vorgesungenen Texte und Melodien adäquat wiedergegeben wurden. Sie entscheidet, ob ein Lernschritt gut bewältigt wurde oder ob die Sequenz noch einmal wiederholt werden soll. Schritt für Schritt kontrolliert sie die Lernfortschritte und steuert beständig nach. Am Ende singt die Klasse das gesamte Lied alleine zum Playback, wobei die Modellperson nur mehr nonverbal führt. Wird das Lied sicher beherrscht kann es auch in weiteren Stunden immer wieder zur Auffrischung eingebaut werden. Anspruchsvolleres Singen ist das mehrstimmige Singen: hier muss die eigenen Stimme beibehalten werden, auch wenn andere Kinder eine andere Melodie singen. Kanons eignen sich hier zur Einführung und zum Üben von Mehrstimmigkeit: hier werden die einzelnen Gruppen von verschiedenen Personen angeleitet, so werden die Schüler*innen von ihrer Person durch ihre Stimme geführt.

Boca Chica - MIT Musik

Zum aktiven Musikmachen gehören auch Percussion und Tanz. Deshalb wurden Videos entwickelt, die ähnlich wie beim Singen, Schritt für Schritt das Erlernen eines Tanzes bzw. eines Percussionsstücks anführen. Damit wird ein vielseitiges und abwechslungsreiches musikalisches Lernangebot sichergestellt. Gerade für fachfremd unterrichtende Lehrkräfte bietet sich so die Möglichkeit, mit ihren Kindern im Unterricht die Welt der Musik in kleinen Schritten auf vielfältige Weise zu erschließen. So können Hand, Herz und Verstand durch Musik gleichzeitig entwickelt werden. Haben die Schüler*innen die einzelnen Schritte gut bewältigt, steht einem lustvollen und intensiven Singen bzw. Musizieren nichts mehr im Wege.

Der Weg aus der Pandemie, die Bewältigung ihrer Folgen sind eine große Aufgabe für Gesellschaft und Schule. Werden die Möglichkeiten des aktiven Musikmachens genutzt, dann ist Musik kein Fach, das eine Randfunktion im Schulalltag einnimmt. Das vielseitige Potential kann einen erheblichen Beitrag für eine gute und menschliche Schule bieten, indem es gezielt und breit gefächert genutzt wird. Geben wir unseren Kindern die Möglichkeit, im Singen, Tanzen und Trommeln wieder Gemeinschaft und Musik zu erfahren.

Prof. Dr. Wolfgang Pfeiffer
Wolfgang Pfeiffer, Professor für Musikpädagogik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, realisiert immer wieder Projekte für die Förderung von praktischem Musikunterricht, wie das bayernweit erfolgreiche Projekt ”klasse.im.puls” oder die bundesweit größten universitären Musicalproduktionen

Literatur:
Kreutz, Gunter: Warum Singen glücklich macht. Gießen 2020
Kreutz, Gunter, von Georgi, Richard (2018): Musikhören, Singen, Tanzen und Musizieren: Beiträge zum Wohlbefinden. S. 641 -662. In: Lehmann, Andreas,C., Kopiez, Reinhard (Hrsg.): Handbuch Musikpsychologie, Hogrefe, Bern
U. Ruf, P. Gallin: Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik. Band 1: Austausch unter Ungleichen. 5. Auflage. Kallmeyer, Seelze-Velber 2014,
Von Georgi, Richard, Bötsch, Isabell &Fedorov Katrin: Singen und subjektives Wohlbefinden: Ein Vergleich von Musik- und Sportschwerpunktschulen. Musikpsychologie Bd. 26, 34- 70 Hogrefe Göttingen 2016
www.mit-musik.com



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