Der Kursraum ist winzig, doch den sechs Robotikexperten macht das nichts aus. Die Zehntklässler Conrad, Anika, Annabelle, Florian und Julian sowie Tim aus der 7. Klasse stehen am Rand eines hüfthohen Hindernisparcours voller Lego-Konstruktionen und erzählen begeistert von Motorenkalibirierung, beweglichen Schwenkarmen und den Vorzügen noppenloser Gummiräder. So sieht Robotik-Unterricht am Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium in Dresden aus.
Die sechs bilden das Team SAP Rockets und haben es mit ihrem handoptimierten Roboter bis ins Finale der First Lego League (FLL) geschafft. An diesen internationalen Roboterwettspielen nehmen jedes Jahr fast 1 000 Mannschaften aus aller Welt teil. Dabei gilt es, in mehreren Disziplinen zu glänzen: Im Robot Game beispielsweise muss ein selbst gebauter und programmierter Roboter aus der Lego-Mindstorms-Serie autonom auf einem Spielfeld agieren – das Team darf ihn nur in einer Ecke des Spielfelds berühren, um ihn etwa mit neuen Werkzeugen zu beladen. Zu den Aufgaben, die sich jedes Jahr ändern, zählt das Ansteuern vorgegebener Ziele oder das Absetzen von Steinen in genau definierten Arealen. Dafür gibt es jeweils Punkte, ebenso wie für die Leistungen in anderen Disziplinen, etwa dem Forschungsauftrag, der dann vor Publikum präsentiert werden muss. Dadurch zeigen die Teams neben technischen Fähigkeiten auch ihr Können beim Recherchieren und Präsentieren.
Ihr Siegeszug führte die Rockets vom Regionalwettbewerb über Semi- und Europafinale bis zum World Festival in St. Louis, wo sie schließlich einen ersten Preis für Mechanical Design ergatterten und auch im Robot Game genug Punkte für einen hervorragenden vierten Platz abräumten.
Robotik-Unterricht hört nicht mit dem Schulgong auf
So gut zu werden kostet Zeit. Hier im Nebenraum Informatik verbrachte das Team ganze Nachmittage. Vor jedem der vier Wettkämpfe kamen viele weitere Stunden, Schulpausen und Wochenenden hinzu, außerdem noch gemeinsame Film- und Pizza-Abende. Es herrschte Start-up-Stimmung. Auch wenn man noch so gern Lego-Steine zusammensteckt, bastelt und programmiert: Wenn man so viel Zeit zusammen verbringt, geht man entweder bald wieder getrennter Wege oder man rauft sich zusammen. „Sechs Leute, drei Stühle, da wird man zwangsläufig zum Team“, scherzt Conrad, der die meiste Erfahrung hat und zusammen mit Anika so etwas wie den Motor der Gruppe bildet. Oft waren sie es, die die anderen zum Dableiben anstachelten.




Jeder sollte seine Stärken einbringen können, daher teilen die Rockets die Arbeiten auf: Anika und Annabelle übernahmen die Forschungsaufgabe und entwickelten ein pädagogisches Spiel. Conrad und Florian konstruierten Roboter und Werkzeuge und optimierten so lange, bis der passende Kompromiss aus Schnelligkeit und Präzision für jede Aufgabe gefunden war. Julian widmete sich mit Tim, dem Jüngsten im Team, der Programmierung und testete gemeinsam mit den anderen in langwierigen Versuchsreihen Motoren, Batterien und Radtypen.
Gemischte Teams aus Mädchen und Jungs sind erfolgreicher
Wie in der IT-Wirtschaft sind auch bei Robotikwettbewerben gemischtgeschlechtliche Gruppen meist erfolgreicher, weil sie über eine größere Vielfalt an Fähigkeiten verfügen, im Umgang besser harmonieren und damit auch als Team leichter zu führen sind. Das bestätigen auch die Erfahrungen der Rockets: „Wir haben in der Robotik-AG alle unglaublich viel gelernt“, sagt Annabelle. „Und wir fühlen uns super in dem Team, das passt einfach.“ Grundsätzlich ist es nicht einfach, Mädchen für Robotik-Unterricht zu begeistern und sie bei der Stange zu halten. In den Einsteigerkursen ist der Mädchenanteil meist noch vergleichsweise hoch, doch später, etwa ab der 9. Klasse, haben viele andere Interessen. Entsprechend gering ist auch der Frauenanteil in naturwissenschaftlich-technischen Berufen.
Dieses ungenutzte Potenzial will Open Roberta, eine gemeinsame Initiative vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) und Google, mit einer offenen Programmierplattform fördern. Die Initiative begann 2002 mit gendergerechten Robotikkursen für Mädchen und Jungs und vermittelt jährlich 30 000 Kindern auf spielerische Weise Grundlagen des Programmierens. Wer die Startseite lab.open-roberta.org aufruft, kann zwischen verschiedenen Systemen auswählen und sofort im Browserfenster anfangen, Programme zu schreiben, zu speichern und zu testen.
Den Computer gibt es ab 35 Euro
Neben Lego Mindstorms ist auch Calliope mini mit von der Partie, ein Kleinstcomputer für Grundschüler ab der 3. Klasse, der für unter 35 Euro zu haben ist und bereits vieles von dem bietet, was bei anderen Robotikplattformen das Zehnfache kostet: Sensoren, Display und zahlreiche Anschlussmöglichkeiten. Ziel der von der Bundesregierung geförderten Initiative ist es, jedem Grundschüler flächendeckend einen Calliope mini zur Verfügung zu stellen. Bisher sind einige Tausend davon in Saarländer und Berliner Schulen im Einsatz, doch für eine weiter reichende Verbreitung scheint es vor allem an ausgebildeten Lehrkräften zu fehlen. Denn auch wenn das System kinderleicht zu programmieren ist, sind dennoch Lehrkräfte nötig, die es sinnvoll im Unterricht einsetzen können.
Der Trend zu Informatik- und Robotik-Unterricht ist aber klar erkennbar: Open Roberta, Calliope mini und viele andere Initiativen und Plattformen haben in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen, nicht zuletzt auf Drängen der IT-Branche, die sich digital gut ausgebildete Arbeitskräfte wünscht. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka hat Ende 2016 den DigitalPakt#D ausgerufen, eine Bildungsoffensive, die eine leistungsfähige digitale Lerninfrastruktur aufbauen soll und über einen Zeitraum von fünf Jahren mit rund fünf Milliarden Euro etwa 40 000 Schulen mit Internetanschluss und Geräten versorgen soll.
Derzeit fußen die meisten konkreten Lernerlebnisse im Bereich Coding und Robotik auf dem Engagement einzelner Lehrer und privater Organisationen. Nur in neun von 16 Bundesländern ist Informatik im Lehrplan verankert, und ein Vergleich mit 18 Industrieländern zeigte kürzlich: Nirgendwo kommen im Unterricht von Achtklässlern Computer so selten zum Einsatz wie in Deutschland. Dabei ist gerade der spielerische Umgang mit Programmen und technischen Herausforderungen der beste Prüfstein für Tüftlerqualitäten, die Deutschlands Arbeitsmarkt der Zukunft so nötig hätte. „Sobald bei Robotik das Knobeln anfängt, scheidet sich die Spreu vom Weizen“, sagt Ehrlich. Manche Schüler probieren eine Weile herum, sehen, dass es so nicht funktioniert, und verlieren das Interesse. Andere beißen sich fest und arbeiten so lange weiter, bis sie eine Lösung gefunden haben. „Solche versuchen wir zu halten“, sagt Ehrlich, „denn das sind die Ingenieure von morgen.“ Auswahl hat er genug, denn sein Robotik-Unterricht ist beliebt: Bei der Einschreibung für die Robotikeinstiegskurse rennen ihm die Schüler die Türen ein. Wenn nach den ersten fünf Minuten die Listen für die 15 Robotik-Sets voll sind, muss er den Rest wieder wegschicken.
Hier wächst beständig herausragender Nachwuchs heran
Das ist insofern schade, als gerade am Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium mit seiner vertieften technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung und einer Ausbildung für die 5. Klassen eigentlich sehr viele Schülerinnen und Schüler mit entsprechendem Interesse vorhanden sein müssten. Die Schule wird von den meisten nur „die MANOS“ genannt und bringt trotz Weltkriegen und DDR-Zeiten seit über einem Jahrhundert unbeirrt technisch herausragenden Nachwuchs hervor, pflegt langjährige Kontakte zu Industrie, Forschungszentren und Hochschulen und setzt pädagogisch vor allem auf Lernkompetenz. Dadurch sind die Schüler bald relativ selbstständig, lernen in kürzerer Zeit mehr und haben so Raum, besondere Interessen zu vertiefen, eben beispielsweise in einem Robotikkurs.
Dabei ist der Einstieg nicht grundlegend anders als in anderen Schulen: Die meisten nutzen „Lego Mindstorms EV3“-Sets – daraus entstehen zunächst simple Konstruktionen, denen ganz einfache Programmierschritte das erste Leben einhauchen. Wer dabei gut ist, qualifiziert sich für ein kleines Team aus Fortgeschrittenen, das bald anspruchsvollere Aufgaben löst. Daraus wiederum rekrutiert sich eine Robotikelite wie die Rockets.
Die rettende Idee kommt oft über Nacht
„Oft grübeln wir monatelang herum, dann kommt uns plötzlich über Nacht die rettende Idee“, sagt Julian. Er steuert den Roboter längst nicht mehr mit der „Klötzchen-Programmiersprache“, die zur Einführung im Robotik-Unterricht zum Einsatz kommt. Die Rockets haben eine eigene Zwischensprache entwickelt, die es ihnen ermöglicht, alle Befehle übersichtlich in einer Excel-Tabelle zu sehen, zu verändern und auf den Programmierstein zu übertragen. Das spart Zeit und erlaubt es ihnen, mehr Varianten zu testen. „Auch hier zeigt sich die Auswirkung einer vertieften technischen Ausbildung: „An der MANOS ist Programmieren Pflicht für alle, egal ob Mädchen oder Jungen“, bestätigt Anika. Sie begann wie alle in der 5. Klasse mit einer einfachen grafischen Programmieroberfläche und lernte ab der 8. Klasse Java, eine der am weitesten verbreiteten Programmiersprachen, die beispielsweise Anwendungen wie Twitter oder „Minecraft“ zugrunde liegen. Die Besten bekommen zusätzlich noch eine Stunde Förderunterricht in Informatik.
Das Robotikteam hat darüber hinaus noch den Vorteil, dass es einen Teil der FLL-Vorbereitung in fachverbindenden Projektwochen absolvieren kann. Da hier sowohl Sprachen als auch mehrere naturwissenschaftliche Fächer gefragt sind, gilt das Engagement zu Recht als fächerübergreifend, und die Schüler werden dafür freigestellt. Für die aktuelle Rockets-Mannschaft ist die Laufbahn in der First Lego League nun allerdings vorbei. Die Altersgrenze von 16 Jahren bedingt, dass im nächsten Jahr fast alle ausscheiden. Tim wird die Erfahrung an die nächste Generation weitertragen, Conrad will ihn als Co-Coach dabei unterstützen. Und Peter Ehrlich wird dafür sorgen, dass wertvolles Wissen nicht verloren geht: darüber, wie Juroren ticken, wo sich die Strategie noch verbessern lässt und wie – das muss jetzt aber wirklich unter uns bleiben – aus Original-Lego-Teilen noppenfreie unverformbare Gummiräder entstehen.
Robotik-Unterricht: Mehr als spielen – Fotos: Stephan Pramme/Magazin SCHULE
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