Nachbars Ulrike hatte zwei Geschwister, die Familienkasse war notorisch leer. In den Sommerferien der 80er-Jahre blieb Ulrikes Mutter mitsamt Baby zu Hause, Vater radelte mit den Großen durch das Bergische Land bei Köln. Dieses Ferienschicksal wollte ich meinen Kindern ersparen. Sommers brutzeln wir deshalb zwischen 100 000 Deutschen am adriatischen Strand, während die Kids eine Burg nach der anderen in den Sand matschen.
Doch Meinungen ändern sich. Wir haben die Nase voll von Italia: zu voll, zu heiß, zu langweilig. Arrivederci, wir werden im Sommer mit der Familie durch Deutschland radeln. Ich träume: entspannte Eltern, unberührte Landschaft. Und ja, fröhliche Kinder, die Freiheit und Abenteuer genießen, während sie stramm in die Pedale treten. Dass wir die Kids vorab auf Tourtauglichkeit testen, ist reine Formsache.
„Mann, ich hab keine Lust mehr“, schnauzt der Neunjährige und steigt in die Bremsen. Rums-bum-schepper! Ninas Drahtesel zerschellt am brüderlichen Hinterrad. Die Siebenjährige sinkt schluchzend zu Boden, der Sohn stapft wütend in den Wald. „Hurra, hurra!“, krächzt der Kassetten-Pumuckel aus dem Fahrradanhänger. Insassin Kira, 3, überbrüllt ihn, weil sie – „jähätzt!“ – aussteigen will, um den heulenden Blechhaufen aus der Nähe zu begutachten.
Rad fahren allein ist für Kinder nicht sehr spannend. Pausen und Abwechslung nicht vergessen!
Das Desaster endet im bayerischen Nichts, die S-Bahn bringt uns nach Hause, und wir haben gelernt: Rad fahren allein ist für Kinder nicht sehr interessant. Mehr als 20 bis 40 Kilometer pro Tag sind je nach Kondition und Alter nicht drin. Deshalb: Spare nicht mit Pausen am Wegesrand. Der Sohn muss eine Raupe untersuchen? Soll er! Die Kinder wollen in den Fluss hüpfen? Gern! Halte Essen, Getränke und „Wohlfühldinge“ wie Bücher, Ball und Kuscheltier parat, denn der erste Unlustanfall kann die gesamte Motivation zunichte machen (Steigungen und verkehrsreiche Wege auch). Die Bahn sollte in Reichweite fahren, damit die Tour jederzeit beendet werden kann. Vorbereitung ist alles!
Erste Anlaufstelle: der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Hier erfahren wir, welche Wege kindertauglich sind. Der Routenfinder listet 60 Eltern-Kind-Touren in ganz Deutschland auf. Wir entscheiden, in den großen Ferien auf dem Altmühltal-Radweg zu radeln: Ebenes Gelände, die verträumte Landschaft, Fossiliensteinbrüche zum Buddeln und Gepäcktransfer entlang der Strecke geben den Ausschlag. Das Tourismusamt informiert uns über Kinderattraktionen am Wegesrand, und im Web steckt mir ein Vater die Adresse eines Heu-Hotels zu, in dem wir zum Start der Tour übernachten wollen. Der Sommer kann kommen!
Auf den folgenden Seiten stellen wir drei Touren in Deutschland vor – von Deggendorf im Süden über die Mosel bis ins Emsland im Nordwesten.
8 Tipps für stressfreie Touren und hilfreiche Websites
Familien-Radtour geplant? Diese Seiten helfen weiter:
www.adfc.de: erste Anlaufstelle für Touren- und Etappen-
planung, nützliche Tipps und Adressen für Übernachtungen
www.cycling-family.info: Vater Pagendarm radelt mit seinen vier Kindern regelmäßig durch Deutschland und teilt wertvolle Erfahrungen mit der Netzgemeinde
www.deutschland-tourismus.de: hilft bei der Suche nach Tourismusämtern und regionalen Attraktionen
Der Plan: Tüfteln Sie die Tour zusammen mit den Kindern aus. Ein Rundum-sorglos-Paket bieten organisierte Fahrten. Radwanderungen und Kombifahrten (Radeln/Wandern) sind schwerer zu planen, versprechen aber Abenteuer.
Die Radkarte: Eine gute Karte (z. B. Bikeline) informiert über Tourverlauf, Steigungen, Sehenswürdigkeiten, Reparaturstätten, Gaststätten – und passt in jede Lenkertasche.
Der Check: Gute Bremsen, Licht und pannensichere Reifen sind wichtig; Lenker und Sattel müssen so eingestellt sein, dass das Kind bequem sitzt.
Der Weg: Verkehrsreiche Strecken, Steigungen, steiles Gefälle stressen nur. Bus und Bahn an der Strecke beruhigen.
Die Etappen: Geübte Kinder radeln 20–40 Kilometer pro Tag.
Die Pause: Stopps im Stundentakt und nette Pausenziele (Badesee, Eisdiele) machen Laune. Essen und trinken, bevor Hunger und Durst kommen!
Das Gepäck: Warme Kleidung, Regenzeug, Helm und Sonnencreme, Erste-Hilfe-Tasche und Werkzeug werden in wasserdichte Radtaschen verpackt.
Die Nacht: Für die Ferien sollten Jugendherbergen und Hotels bis zu sechs Monate im Voraus gebucht sein. Spontanübernachter zelten auf Campingplätzen.
Titelbild: Emsland-Touristik