Suboptimal ist der Ruf, den die Pubertät bei Erwachsenen hat. Sie scheint uns eine unnötig aufreibende Phase zu sein, in der unsere Kinder in erster Linie vergessen und verlernen, was sie vorher wussten und konnten. Pubertät und Schule – das kann doch nicht gutgehen!
Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlich sind wir alle durch die Pubertät vor allem eines geworden: erwachsen. Und auf dem Weg dorthin verändern sich eben nicht nur Geschlechtsmerkmale und Körperproportionen, sondern gerade auch das Gehirn. Es wird effizienter, schneller, insgesamt leistungsfähiger.
Leider gilt aber für jeden Umbau, der im laufenden Betrieb erfolgen muss: Währenddessen ist mit Einschränkungen zu rechnen. Da nicht alle Bereiche des Gehirns gleichzeitig ausreifen (können), sind immer wieder einige Funktionen ausgesetzt. Umgekehrt gewinnen die Teenies jedoch auch neue Fähigkeiten und Interessen.
Pubertät und Schule passen durchaus zusammen
Wer weiß, wie sich die Biologie auf die verschiedenen Phasen der Pubertät auswirkt, kann sie sogar für sich nutzen. Das gilt gerade auch für der Schule. Gute Lehrkräfte passen ihre Methoden und – so weit es der Lehrplan erlaubt – ihre Lehrinhalte an die Fähigkeiten und Interessen der Jugendlichen an. Kontroverse Diskussionen, anspruchsvolle Projekte, kreative Lösungen: Mit Jugendlichen ist durchaus spannender Unterricht möglich.
Und auch zu Hause haben Eltern viele Möglichkeiten, die Neugierde und den Tatendrang der Jugendlichen in sinnvolle Bahnen zu lenken. Dafür sollte man allerdings wissen, was in ihren Köpfen vor sich geht – und das ist je nach Pubertätsphase unterschiedlich:
01 – Frühe Phase (10–12 Jahre)
Letzte Chance für neue Regeln nutzen
Zwischen zehn und zwölf Jahren bekommen Diskussionen mit dem Nachwuchs eine neue Qualität: Die Kinder sind jetzt nicht nur hartnäckig, sie argumentieren auch besser und finden schnell heraus, wenn eine Ansage schwach begründet ist. Gehen Sie solchen Diskussionen nicht aus dem Weg: Überzeugende Argumente bringen Kinder in dieser Phase noch dazu, Regeln zu akzeptieren. Hausaufgaben gleich nach der Schule machen, Lernen geht vor Zocken, am Abend bleibt das Smartphone aus: Wenn sich solche Leitlinien für Pubertät und Schule festigen sollen, ist jetzt die letzte Chance dafür.
Rausjagen
Jungs und Mädchen haben in der Vorpubertät noch einen starken Bewegungsdrang – auch wenn es ihnen selbst oft nicht bewusst ist. Achten Sie auf körperlichen Ausgleich, besonders in Lernphasen. Das beste Mittel gegen hibbelige Füße sind nicht strenge Worte, sondern zwei flotte Runden um den Block.
Ausdampfen lassen
Vor allem in den Monaten vor der ersten Menstruation leiden Mädchen oft unter Stimmungsschwankungen. „Leiden“ ist das richtige Wort, denn meist sind die Kinder davon selbst verunsichert – und daher umso empfindlicher. In solchen Momenten sind Grundsatzdiskussionen über Lernverhalten oder schulische Leistungen sinnlos – da hilft nur durchatmen, ausdampfen lassen, abwarten. Nach einer Stunde sind sie meist wieder zugänglich. Das gilt auch für aufbrausende Jungs.
Selbstständigkeit fördern
Ihr Kind weiß plötzlich alles besser? Ist doch klasse! Der typische Drang nach Selbstständigkeit in der Vorpubertät ist eine gute (und vorerst letzte) Gelegenheit, dem Kind die Verantwortung für seinen Lernerfolg zu übertragen. Bleiben Sie stets gut informiert, aber erlauben Sie Ihrem Kind, seinen Lernprozess zunehmend selbst zu steuern. Ob Lernstrategien ausprobieren, online üben oder Lernzeiten verändern: Wenn sie das Gefühl haben, selbst (mit-)entscheiden zu können, testen Schüler in diesem Alter gern vieles, was später nützlich ist.
02 – Hochpubertät (12 – 16 Jahre)
Chillen lassen
Wer etwas über Massenträgheit erfahren will, braucht kein Physikstudium, sondern nur eine achte Klasse vor Augen. Nichts können Hochpubertierende so gut wie chillen. Es ist, als würde das im Umbau begriffene Gehirn seinen Mensch kurz auf Stand-by setzen – und da ist tatsächlich etwas Wahres dran. Zudem sind viele Jugendliche schlicht müde, weil sich ihr Biorhythmus verschiebt: 14-Jährige sind einfach nicht um 21.30 Uhr müde und um 6.30 Uhr fit. Da trotz aller Appelle von Wissenschaftlern der Unterricht weiterhin um acht Uhr beginnt, sollten Eltern ihren Pubertieren gönnen, sich zwischendurch Auszeiten zu nehmen und am Wochenende Schlaf nachzuholen. Prioritäten setzen: Hausaufgaben und Üben müssen sein, der Verwandtenbesuch darf auch mal ausfallen.
Reizen, stressen – und belohnen
Während der Pubertät reagiert das Gehirn ungewöhnlich schwach auf den Botenstoff Dopamin, der für Motivation und Antrieb verantwortlich ist. Jugendliche brauchen daher stärkere Reize als Kinder und Erwachsene, um sich zu motivieren: Teenies lernen besser, wenn sie leichten Stress empfinden. Auch die Suche nach Abenteuer und (gefährlichen) Erfahrungen hat darin ihren Ursprung. Das pubertierende Gehirn ist im Grunde immer auf der Suche nach bestätigenden Reizen – und reagiert daher auch stärker auf Belohnung als auf Bestrafung. Das sollten Eltern und Lehrkräfte berücksichtigen.
Dem Denken Zeit geben
Ebenfalls den Umbauten im Kopf geschuldet ist die typische „lange Leitung“: Weil die Gehirnbereiche nicht optimal miteinander kommunizieren, fällt es Jugendlichen schwer, um Ecken zu denken und komplexen Gedankengängen zu folgen. Probleme und Aufgaben sollten daher klar gegliedert sein; ein Lernplan hilft, sich beispielsweise die Arbeit auf eine Prüfung hin zu strukturieren. Aus dem gleichen Grund brauchen Teenies länger für Abwägungsprozesse. Oft wirkt es Wunder, ihnen vor einer Antwort oder Entscheidung etwas mehr Zeit zum Überlegen zu lassen.
Leidenschaft wecken
Haben sich Jugendliche aber einmal entschieden und sind die positiven Reize groß genug, können sie sehr engagiert und ausdauernd sein. Viele beginnen, sich ehrenamtlich zu betätigen, etwa im Verein oder der Schülervertretung. Solche Leidenschaften lohnt es zu fördern: Die Schüler ziehen daraus Bestätigung und Selbstvertrauen. Logisches Denken schult man beim Trainingspläneaufstellen ganz nebenbei auch noch.
Loslassen, aber nah bleiben
Pubertät heißt für uns Eltern, loslassen zu lernen – oder möchten Sie einen Nesthocker zu Hause haben, der mit 30 noch sein Kinderzimmer vollmüllt? Trotzdem verbergen sich unter den coolen Gesichtern noch verletzliche Seelen. Wenn sie in der Schule über- oder auch unterfordert sind oder gar gemobbt werden, überspielen das viele Schüler lieber, als sich ihren Freunden oder Eltern zu offenbaren. Im Gespräch zu bleiben ist daher oft ebenso schwierig wie wichtig. Tipp: Jugendliche sind meist leichter zugänglich, wenn man sie nach ihren Empfindungen anstatt nach Tatsachen oder Vorgängen fragt – und sich Wertungen im Gespräch komplett spart. Manche Lehrkräfte erfolgreich etwas ältere Mitschüler bei kritischen Themen ein.
03 – Spätphase (ab 16 Jahren)
Größenwahn einhegen
Wenn Sie etwas nicht wissen, fragen Sie 17-Jährige. Die wissen alles. Vor allem besser. Das Selbstbild Spätpubertierender liegt oft atemberaubend weit von ihrem Weisheitsstand entfernt. Doch auch diese Selbstüberschätzung ist nur ein Werkzeug, um eine eigene Identität als Erwachsener herauszubilden – mit aller Macht, über alle Einwände und Hindernisse hinweg.
Dass die Bioklausur sich dieser Autosuggestionskraft nicht unterwirft, kommt für sie leider oft überraschend – hier stehen sich Pubertät und Schule tatsächlich im Weg. Wir Eltern können da kaum helfen: Am Tag vor der Prüfung sind wir motivationstötende Schwarzmaler, am Tag danach gehässige Besserwisser. Lassen Sie Ihr großes Kind daher ruhig mal auf die Nase fallen, aber helfen Sie ihm anschließend gesichtswahrend wieder auf die Beine. Danach ist es vielleicht zugänglich für einen Plan, nach dem man immer wieder einmal Ziele und tatsächlich Erreichtes gemeinsam abgleicht. Ansonsten immer feste dran denken: Irr- und Umwege erhöhen die Ortskenntnis.
Herausfordern – und Rückzugsraum bieten
In der späten Pubertät weitet sich der Blick nach draußen: Wohin will ich gehen, was kommt auf mich zu? Die Welt ist dazu da, entdeckt und erobert zu werden! Eine Reise allein, ein anspruchsvolles Praktikum, eine Zeit im Ausland, solche Herausforderungen und Erfahrungen stärken junge Erwachsene und erleichtern ihnen oft die schwierige Berufsorientierung. Eltern sollten das fördern – auch wenn es manchmal schwerfällt, sein Kind in die Welt zu schicken.
Denn ganz weg sind sie noch lange nicht: Die ganze Pubertät über, oft bis Mitte 20, bleiben die meisten jungen Menschen unter der Fassade unsicher und verletzlich. Sie brauchen ihr Zuhause: als Schutzraum bei Rückschlägen, in dem es okay ist, nicht perfekt zu sein.
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