Work and Travel in Australien: Erfahrungen - Magazin SCHULE
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Warum heißt es eigentlich „Work and Travel“ und nicht „Pay and Chill“?

Was tun im Gap-Year, dem „Lückenjahr“ zwischen Abi und Studium? Das fragt sich der Stiefsohn von Autorin und Lehrerin ­Martina Hagemann. Nach langer Überlegung fliegt Ole schließlich für „Work and Travel“ nach Australien. Dass dort nicht alles nach Plan läuft, nimmt er gelassen  . . .


Ole, mein großer Stiefsohn, macht es sich auf dem Sofa gemütlich. Der reguläre Unter­richt ist beendet, und ­außer der mündlichen Prüfung sind alle Hürden auf dem Weg zum Abitur geschafft. Zeit, einfach mal zu chillen – wenn nicht so lästige Erwachsenenfragen kämen. „Was willst du nach dem Abitur denn eigentlich machen?“, erkundige ich mich. „Erst einmal ein Jahr vom Abistress erholen“, erklärt mir Ole. Ich bin ein wenig überrascht. Ole hat sich in meinen Augen nicht sonderlich vom Abitur stressen lassen, sondern recht entspannt einige Tage vor der Abiklausur seine Mitschüler befragt, was denn nun genau zu lernen sei.

Das Gap Year liegt im Trend – und das Konzept „Work and Travel“ auch

Mit seinen Vorsätzen für „the year after“ ist Ole mitnichten eine Ausnahme. Auch meine Abiturienten sind fast alle der Meinung, dass es nach dreizehn Jahren Lernen Zeit ist für ein wenig Entspannung. Und während ich vor 20 Jahren überlegte, ob ich mein freiwilliges ökologisches Jahr an der Nordsee oder doch lieber im Bayerischen Wald ­verbringen möchte, tauschen sich meine Schülerinnen und Schüler über die Vor- und Nachteile von Austra­lien und Neuseeland aus – „Work and Travel“ erfreut sich großer Beliebtheit. Ich frage mich, wie die Farmer in Down Under es früher nur ohne die jungen Leute aus dem Ausland geschafft haben, ihre Ernte einzubringen.

Bislang war Ole zwar an „Travel“, aber weniger an „Work“ interessiert

Auch Ole ist von der Idee begeistert, ein halbes Jahr auf diversen australischen Bauernhöfen zu arbeiten, um sich vom Verdienst das anschließende Reisen zu finan­zieren. Dieser Wunsch überrascht mich ein wenig, denn bislang zeigte er sich zwar durchaus an „Travel“, aber doch deutlich weniger an „Work“ interessiert. Ich finde, er kann zum Üben in unserem Garten anfangen, was mir vergleichbar erscheint mit einem Ernteeinsatz in Australien. Ole findet, er kann zum Üben erst einmal eine Woche nach Mallorca fliegen, und um sich nicht zu überfordern, lässt er den Aspekt „Work“ dabei lieber weg.

Nach dem mündlichen Abitur macht Ole Party, und das nahezu durchgehend. Fast täglich gilt es, jemanden aus seiner Klasse zu verabschieden: Ein Mädchen wird ein freiwilliges soziales Jahr in München absolvieren, eine weitere Mitschülerin geht als Au-pair nach Amerika, ein Kumpel fliegt mit einem „Around the World Ticket“ nach Asien, und sein bester Freund hat es sich zum Ziel gesetzt, ein Jahr lang bedrohte Schildkröten auf Sansibar zu schützen. Er habe dabei echt Glück gehabt, erklärt mir dessen Mutter, die ich beim Einkaufen treffe – bei seiner Organisa­tion müsse man dafür gar nichts zahlen, im Gegensatz zu ­anderen Anbietern.

Engagierte wählen das Konzept „Work and Pay“ – und haben leider manchmal wenig Arbeit

Diese Freude kann ich verstehen. Lina, die ­große Tochter meines ­Mannes, macht nämlich statt „Work and Travel“ gerade „Work and Pay“ in Malawi. ­Malawi ist ein Land in Afrika, das mi­r bislang komplett unbekannt war – Lina im Übrigen auch. Dort möchte sie nur mal kurz die Welt retten, indem sie in einem Krankenhaus arbeitet. Leider klappt das Projekt nicht ganz wie gewünscht, im Krankenhaus hat niemand richtig Arbeit für sie, und so geht sie jeden Tag nach zwei Stunden Einsatz wieder nach Hause. ­Außer wenn sie Malaria hat, dann bleibt sie eine Woche als Patientin da (was leider bereits mehrmals der Fall war).

Ich würde für die Versorgung meines Gartens nur 3500 Euro verlangen– ein Schnäppchen!

Dafür, dass Lina dort im Krankenhaus arbeiten darf, zahlen ihre Großeltern 5000 Euro an eine Organisa­tion. Ich habe überlegt, dieses Konzept auch bei uns zu Hause anzuwenden, für die Versorgung meines Gartens im Sommerhalbjahr würde ich 3500 Euro verlangen. Ein Schnäppchen eigentlich, zumal die Anreise unschlagbar günstig wäre. Probehalber habe ich es meinen Abiturienten in der letzten Schulstunde vorgeschlagen. Dummerweise haben alle beteuert, schon andere Zukunfts­pläne zu haben.

Allmählich sind fast alle Mitschüler von Ole im Ausland, die Partys werden weniger, nur Ole sitzt nach wie vor entspannt auf dem Sofa. Ob er denn schon wüsste, wann es nach Australien ginge, ­frage ich ihn, denn mittlerweile ist es August. Den entscheidenden Anstoß gibt Oles Vater. Wenn er nicht langsam mal konkrete Pläne vorweisen könne, dann würden wir unseren Familienhaushalt zur WG umfunktionieren, mit Mietbeitrag und Arbeitsdiensten für alle erwachsenen Mitbewohner.

Was tun, wenn’s doch nicht läuft? Dann müssen doch wieder die Eltern ran

Zwei Tage später hat mein Ziehsohn einen Flug nach Australien und eine Unterkunft für die ersten Tage in Brisbane gebucht. Es sei eine Art Sammelflug, auf einem Gruppen­ticket würden alle Arbeitswilligen gemeinsam fliegen. Irgendwie erinnert mich das an meine erste Reise mit Kommilitonen: Wir sind im klapprigen VW-Bus nach Griechenland getuckert. Ich hoffe für Ole, dass sein Flugzeug ­besser in Schuss ist als unsere alte Rostlaube.

Zum Glück hat alles geklappt, und Ole ist gut angekommen. Am Flughafen wird er gleich von zwei ehemaligen Mitschülern in Empfang genommen, die bereits vor ihm nach Australien geflogen sind. Eigentlich könnten sie in Brisbane ein kleines Abitreffen veranstalten, denn aus ihrem Jahrgang sind noch zwei weitere Schüler in Australien und zwei Mädchen in Neuseeland, was ja quasi um die Ecke ist. Aber erst mal möchte Ole lieber reisen. Er hat noch einige Ersparnisse, die für Sydney und den Blue-Mountains-Nationalpark reichen. Dann ist das Geld alle, und er macht sich auf Arbeitssuche.

Überraschung in Australien: Im Frühling ist gar keine Erntezeit

Ganz so einfach wie erhofft gestaltet es sich leider nicht: In Sydney ist Frühling und damit „über­raschenderweise“ – der Junge hätte halt doch hin und wieder im Garten helfen sollen – keine Haupterntezeit. Und für die wenigen Tätigkeiten, die es gibt, finden sich ziemlich viele Interessenten. Am Ende hilft die Schwägerin meiner Schwes­ter. Die ist vor 20 Jahren ausgewandert und hat gemeinsam mit ihrem Mann ihren Bauernhof von Deutschland in die Nähe von Brisbane verlagert. Dort kümmert sich Ole jetzt bereits seit einem Monat um die Rinderherden und fährt Trecker. Durch die vielen Erfahrungen, die er sammelt, hat sich auch sein Berufswunsch herauskristal­lisiert. Nein, nicht Landwirt. Er möchte Lehramt studieren: „Dann kann ich in den Schulferien ­immer reisen.“

 


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„Pay and Chill“ statt „Work and Travel“ – Foto: Freepik – Dieser Artikel wurde am 8.11.2016 erstmals veröffentlicht. Das Datum oben bezieht sich auf die jüngste Aktualisierung.



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