Wundern & Wissen

Online-Nachhilfe im Test

Schnelle Leitung, kurze Wege: Wer selbstdiszipliniert und motiviert ist, keine allzu gravierenden Lücken hat und über die nötigen elektronischen Tools verfügt, für den ist Online-Nachhilfe das attraktive Angebot der Stunde. Ein Besuch mit Aha-Effekt


Als ich vor Christophers Schreibtisch stehe, ist meine letzte Nachhilfestunde schon ein Vierteljahrhundert her. Damals war ich Abiturient und besserte mir mein Taschengeld mit Erklären, Motivieren, Üben auf. Ich gab Deutsch, Mathe, Englisch und ein bisschen von allen anderen Fächern, wenn es bloß um Prüfungsvorbereitung ging. Fast immer war es erstaunlich, wie schnell bei meinen Schülern der Groschen fiel, wenn sich einmal jemand die Zeit nahm, nachzuhaken und ihre Fragen zu beantworten. Und wenn ich doch einmal keinen Erfolg hatte, riet ich bald zu professioneller Nachhilfe – man muss seine Grenzen kennen.

Was sich auf Seiten der Profis seit damals getan hat, möchte ich mir heute ansehen. Und wenn schon, denn schon gleich das Neueste: Christopher, 18, hat Online-Nachhilfe gebucht. „Das ist für mich viel praktischer“, sagt er, „da muss ich nirgends hinfahren. Ich hab eh wenig Zeit, weil ich nebenher auch noch als Sanitäter arbeite.“ Nächstes Jahr macht Christopher Abitur, ein Medizinstudium ist sein Ziel – da kamen die fallenden Mathenoten zur Unzeit. In Latein hatte er sich ohnehin schon Unterstützung geholt, „um Übersetzungsroutine zu kriegen“, wie Christopher sagt. Aber seit einem Vierteljahr ist Mathe wichtiger: „Da haben wir einen neuen Lehrer, bei dem verstehe ich nichts mehr“ – ein Klassiker.

Online-Nachhilfe ist für mich viel praktischer, da muss ich nirgends hinfahrenChristopher, 18, Schüler

Jetzt kommt der Nachhilfelehrer zu ihm nach Hause, das ist natürlich ideal – so habe ich das damals auch gemacht. Nur eben nicht per Skype, aber ich war auch nicht Hunderte Kilometer entfernt: Christopher wohnt in München, sein Mathe-Nachhilfelehrer in Dresden. Alles völlig normal heutzutage.
Für diesen Nachmittag allerdings hat Christophers Nachhilfeanbieter Studienkreis eine Sonderstunde organisiert – eine Unterrichtsstunde mit Journalistenbesuch, das ist etwas Besonderes, deshalb übernimmt es der Chef der Online-Sparte persönlich von Köln aus. Aber auch mit ihm hatte Christopher schon Kontakt, wenn auch vor allem in vertraglichen und organisatorischen Dingen. Man kennt sich, kein Problem.

Während Christopher das Video-chat-Programm Skype öffnet, mit dem er sich mit seinem Lehrer unterhalten wird, denke ich an meinen Commodore 64. Dass man Computer einmal zum Lernen benutzen würde, wäre uns niemals in den Sinn gekommen. Rechner waren für uns Spielgeräte, die ersten Joysticks kamen gerade auf. Auch hier steht so ein Gerät neben der Tastatur, wenn auch mit zehnmal so vielen Knöpfen wie damals.

Christopher aber zieht statt dessen ein Grafik-Tablet hervor, eine elektronische Schreibunterlage, mit der auch professionelle Zeichner ihre Illustrationen direkt per Stift quasi auf die Festplatte malen. „Damit schreibe ich gleich auf die virtuelle Tafel, die mein Lehrer und ich verwenden“, erklärt er mir und ergänzt wegen meines staunenden Blicks fast entschuldigend: „Ich mach inzwischen viel mit Fotos, deswegen hab ich so was.“ Da sage noch mal einer, die Jugend habe keine Zeit mehr für Interessen neben der Schule.

 

In diesen Gedanken hinein meldet sich Harald Ziebarth, der Lehrer: „Hallo Christopher, hallo Herr Brüggemeier!“ Sein Kopf erscheint nun auf dem Bildschirm, wir blicken in sein Büro mit Dachschräge und Bücherregal. Routiniert setzt Christopher den Kopfhörer mit Headset auf. Kurzer Soundcheck und Smalltalk, dann geht’s los: „Ich schicke dir jetzt einen Link zu meiner Tafel“, sagt Ziebarth, und Christopher klickt in den Skype-Chat.

Harald Ziebarth nutzt ein Google-Tool, Christophers eigentlicher Lehrer den Online-Whiteboard-Dienst „Twiddla“, aber das Prinzip ist das gleiche: Über ihre Grafik-Tablets oder auch nur mit dem Mauszeiger schreiben Lehrer und Schüler auf eine weiße Fläche auf dem Bildschirm. Man kann auch Bilder oder Grafiken hineinkopieren, jedenfalls: Was der eine schreibt oder macht, ist sofort auch für den anderen sichtbar. Dazu unterhalten sich beide über den Videochat, ein kleines Fensterchen mit dem Livebild des anderen ist immer oben auf dem Bildschirm eingeklinkt. Besonders stylisch ist das alles nicht, aber effektiv. So unspektakulär kann Fortschritt sein. Der Rest ist Nachhilfe-Routine. Christopher hat vorab von Ziebarth eine Aufgabe per Mail bekommen, welche die beiden nun durchgehen. „Wir sollen also klein c bestimmen – wie gehen wir vor?“ Mögliche Lösungswege werden besprochen, dabei auch Fachbegriffe abgefragt, und immer wieder prüft Ziebarth Christophers Grundwissen.

„Das macht mein eigentlicher Lehrer auch so“, sagt Christopher. „Basics werden immer wieder abgefragt. Wenn etwas nicht passt, versuchen wir, die Lücken zu schließen.“

Das Erstaunliche dabei: Die Kommunikation über den Computer lenkt weder ab, noch schafft sie eine unpersönliche Distanz. Im Gegenteil, die ganze Stunde über herrscht zwischen Lehrer und Schüler eine lockere, gleichzeitig aber konzentrierte Atmosphäre. Obwohl ich mit der Kamera um ihn herumwirble, hier mal etwas aufschreibe und da mal etwas umwerfe, bleibt Christopher bei der Sache. Er scheint vollkommen konzentriert und mit seinem Lehrer in einer anderen Welt zu sein.

Währenddessen füllt sich die virtuelle Tafel mit Gleichungen. Wenn er etwas erklärt, kringelt Harald Ziebarth Zahlen oder Terme ein, malt Pfeile und löscht sie wieder. Das ist wichtig, denn anders als an der klassischen Tafel kann man hier alles abspeichern: Die Rechnungen, die sie hier gemeinsam entwickelt haben, wird Ziebarth Christopher hinterher als Protokoll per E-Mail schicken. Dazu gibt es eine Hausaufgabe, und dann, auf Wiedersehen in zwei Wochen.

Christopher setzt den Kopfhörer ab. Er wirkt entspannt, Harald Ziebarth hat ihn zum Abschluss noch einmal gelobt. Sicher ist er nicht der typische Problemfall, ihm geht es eher um die Eins vorm Komma als ums Bestehen. Für Medizin wird’s wahrscheinlich trotzdem nicht auf Anhieb reichen, aber die Zeit als Sanitäter wird ihm angerechnet, und vielleicht geht er erst mal nach Österreich zum Studieren.

Für die Einrichtung Online-Nachhilfe ist Christopher aber eben genau der ideale Kandidat: motiviert, diszipliniert, mit großer Fähigkeit zum Selbstmanagement. „War das jetzt eine normale Nachhilfestunde?“, frage ich ihn. „Im Prinzip schon“, sagt er. „Aber sonst muss ich mehr selbst schreiben. Herr Ziebarth hat mir heute viel Schreibarbeit abgenommen.“



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