Man kann es so machen wie Rudi. Der Münchner hat vier Töchter und eine klare Haltung: „Solange ihr die Füße unter meinen Tisch stellt, bekommt ihr kein Smartphone.“ Wer ins Internet will, muss sich an den einzigen Computer im Flur setzen – mit allen Einschränkungen für die Privatsphäre. Natürlich maulen die Mädels, aber dafür gibt es keinen Streit um spontane Snapchat-Blödeleien, um freizügige Instagram-Fotos, um mitternächtliche WhatsApp-Seancen. Es gibt einfach gar keine sozialen Medien. Dass er seine Töchter dadurch von den üblichen Kommunikationswegen heutiger Jugendlicher abschneidet, stört Rudi nicht: Echte Freunde rufen auch an, wenn etwas Wichtiges ist, meint er.
Ist es nicht peinlich, verzweifelt das eigene Handy anzurufen?Thomas Feibel, Medienexperte
Rudi gibt es tatsächlich, und er ist natürlich ein Extremfall. Aber träumen nicht die meisten Eltern manchmal von einem Familienleben wie in den 90ern, bevor die Zuckerbergs dieser Welt unsere Kommunikation gekapert und unsere Privatsphäre zerstört haben? Eine Welt ohne Handyzeitstreitereien, ohne laszive Profilfotos 13-jähriger Töchter, ohne Cybermobbing und Abo-Fallen – das wäre es doch! Vielleicht teilen wir in diesen Momenten dann unser Leid mit anderen Müttern und Vätern. Über WhatsApp. Oder wir posten ein paar Sätze bei Facebook – das ist dann natürlich ironisch, aber auch ein bisschen ernst gemeint. Denn letztlich sind wir Erwachsenen längst ebenso Gefangene unserer Smartphones. Unsere Kinder machen uns das nur besonders schmerzhaft deutlich.
„Jeder von uns kennt doch den Moment, wenn man sein Smartphone nicht findet“, sagt der Berliner Autor und Medienexperte Thomas Feibel. Er empfiehlt, sich einmal selbst von außen zu betrachten: „Ist es nicht eigentlich peinlich, wenn wir nervös herumsuchen und dann verzweifelt unser eigenes Handy anrufen müssen, weil wir es nicht mehr ohne aushalten? So verhalten wir uns auch vor unseren Kindern – und beklagen uns dann über deren Smartphone-Konsum.“
Tatsächlich kann Rudi das nicht passieren: Er besitzt selbst kein Smartphone und lebt somit vor, was er von seinen Kindern einfordert. Für uns andere, die den Großeltern über WhatsApp Kinderfotos schicken und auf Facebook den ersten Sonnenuntergang im Urlaub posten, gilt die alte Pädagogenweisheit: Kinder zu erziehen ist zwecklos – sie machen uns trotzdem alles nach.
Warten, solange es geht „Wir zögern das eigene Handy so lange hinaus, wie es geht. Unser Ältester (12) begann neulich erstmals zu klagen, dass ‚die anderen‘ alle schon eines hätten. Ich habe Simone (45). Gymnasiallehrerin und dreifache Mutter Alle Spielstände waren weg! „Ich habe ein Smartphone bekommen, als ich aufs Gymnasium gekommen bin. Wir haben feste Handyzeiten vereinbart, und ich habe mich auch meistens dran gehalten. Aber weil meine Noten zuletzt ein paarmal nicht ganz so gut waren, ist meine Mutter völlig ausgerastet: Ich musste ihr den Code für mein Handy verraten, und sie hat die Spiele darauf gelöscht. ALLE SPIELE! Auch die Spielstände waren natürlich weg, meine Karten bei ‚Clash Royale‘ zum Beispiel. Jetzt müsste ich ganz von vorn anfangen, aber dazu habe ich keine Lust. Das Handy muss jetzt sowieso zu Hause immer in die Handygarage. Das ist eine Schale im Flur, aus der ich es nur rausnehmen darf, wenn meine Eltern dabei sind“ Lukas (11), Schüler Die richtige Balance finden „Wir vergessen oft, dass wir unseren Kindern den Umgang mit dem Handy vor allem vorleben. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir dabei alle noch nicht die richtige Balance gefunden. Warum fällt es uns denn so schwer, auch mal offline zu sein? Warum vermischen wir ständig Beruf und Privates? Wer sagt denn, dass unsere E-Mail unbedingt gleich beantwortet werden muss, die WhatsApp unseres Kindes aber warten kann? Wir wollen unsere Kinder vor dem Sog der Smartphones schützen, sind aber auf dem einen Auge blind. Im Grunde müsste wir uns erst einmal selbst erziehen“ Thomas Feibel (55), Medienexperte und vierfacher VaterErfahrungen – wie macht ihr das?
ihn dann gefragt, ob er wirklich wolle, dass ich ihn jederzeit erreichen kann – auch nachmittags bei seinem Freund, um ihn an die Englischhausaufgaben zu erinnern. Er meinte dann: ‚Okay, Mama, vergiss es. Ich brauche kein Handy.‘ Eigentlich ist er sowieso genervt, wenn seine Freunde die ganze Zeit nur daddeln“
Also tief durchschnaufen, den Flugmodus einstellen und überlegen: Wenn wir uns selbst ein Leben ohne die kleinen Handcomputer kaum mehr vorstellen können, scheidet die Option „Rudi“ aus. Benutzen werden die Kinder die Dinger früher oder später ohnehin, und da ist es doch besser, wir können sie bei den ersten Schritten begleiten. Nur müssen wir das dann auch machen. Aber wie? Und zunächst einmal: ab wann?
Das richtige Alter für ein Smartphone gibt es nichtThomas Feibel
„Das richtige Alter für ein Smartphone gibt es nicht“, sagt Experte Feibel. Wie gut ein Kind mit der Technik zurechtkommt, ob es sich vorsichtig genug im Netz bewegt, inwiefern es sich dem Sog des Geräts auch entziehen kann – all das hängt von der individuellen Entwicklung und bisherigen Erfahrungen ab. In seinem jüngst erschienenen Buch „Jetzt pack doch mal das Handy weg!“ rät Feibel beispielsweise für die frühe Grundschulzeit zu festen Bildschirmzeiten von maximal 30 Minuten am Tag ohne eigenes Gerät. Ein eigenes Smartphone empfiehlt er frühestens ab zwölf Jahren – dann werde es auch schwer mit der Reglementierung.
Tatsächlich sind jedoch schon in der Grundschule viele Kinder mit eigenen Geräten unterwegs. Oft sind das noch Tastenhandys ohne Internet, damit die Kleinen „im Notfall“ ihre Eltern anrufen können. (Wobei es in Wahrheit wohl noch mehr darum geht, dass die Eltern ihre Kinder erreichen – und kontrollieren – können.) Zum Wechsel in die weiterführende Schule bekommen dann aber die meisten ihr erstes echtes Smartphone – und der Druck auf die noch handylosen Mitschüler wächst. Feibels Meinung dazu: „Nur weil es mittlerweile normal ist, muss es noch lange keine gute Idee sein.“ Gerade in diesem Alter gehen viele Kinder noch sehr sorglos mit Klicks und ihren Daten um – aus Versehen abgeschlossene Abos, vor lauter Daddeln vergessene Hausaufgaben und peinliche YouTube-Videos sind in dieser Phase völlig normal. Wer technisch nicht versiert genug ist, besonders gefährlichen Fehlern durch Sperren vorzubeugen, sollte den Smartphone-Besitz seines Kindes besser noch etwas hinauszögern.
1. Lob dem Leihgerät Kinder haben gelernt: Was ihnen gehört, darüber dürfen sie auch verfügen. Daher fällt Kontrolle leichter, wenn das Kind auf dem elterlichen Handy oder Tablet spielt. 2. Handygarage einrichten Aus einem Fach oder einer Schale im Flur nehmen ALLE Familienmitglieder ihre Handys nur heraus, wenn es einen guten Grund dafür gibt. 3. Keine Geräte bei Tisch Gemeinsame Mahlzeiten sind Familienzeit. Smartphones auf lautlos stellen und ab in die Handygarage! 4. Reinreden verboten Kindern bringen wir bei, uns nicht zu 5. Selbst ausstellen lassen Wer das Gerät am Ende der Bildschirmzeit selbst ausstellen darf, fühlt sich selbstbestimmt – und muss weniger streiten. 6. Sich erklären lassen Als Experten berichten Kinder und Jugendliche gern über ihre Lieblingsmedien – und sind dabei oft erstaunlich offen und ehrlich. 7. Technik sicher machen Drittanbieter sperren, Jugendschutz einstellen, Bluetooth deaktivieren: Wie man Smartphones kindersicher macht, erklärt z. B. www.schau-hin.info 8. Allianzen bilden „Alle anderen dürfen das auch“: Es lohnt, sich mit anderen Eltern auszutauschen – gerade auch um Regeln für den Umgang mit Handys in der Schule anzuregen. 9. Regeln gemeinsam entwickeln Kinder sind Rebellen. Daher sollte man Handyregeln gemeinsam aufstellen – und zwar bevor es das erste eigene Smartphone gibt! 10. Verantwortung übertragen Wenn alles besprochen, geregelt und eingestellt ist, müssen wir Eltern auch loslassen. Laufen lernt man auch nur beim Laufen.10 Ideen, die den Handy-Alltag entspannen
unterbrechen, wenn wir uns unterhalten. Das sollte dann auch keine WhatsApp dürfen – weder uns Eltern noch die Kindern.
Sich selbst auszukennen ist ohnehin die wichtigste Voraussetzung, um den Smartphone-Konsum seines Kindes halbwegs kontrollieren zu können. „Kinder finden sich mit den Geräten rasend schnell zurecht“, weiß Thomas Feibel. „Aber sie können die Folgen noch nicht abschätzen.“ Als Beispiel nennt er den „Free-to-Play“-Modus, in dem die allermeisten Spiele-Apps heute angeboten werden. Solche Spiele sind zwar zunächst einmal kostenlos, aber das Vorankommen wird schnell schwieriger und langwieriger. Damit es schneller geht, kann sich der Spieler in der App Vorteile erkaufen – wenn er das oft genug macht, ist das Taschengeld schnell weg. „Eigentlich ist ein Smartphone nicht das Internet, sondern ein Shop“, fasst es Feibel zusammen.
Regeln sollten die Eltern nicht einfach vorgeben
Der Experte rät Eltern, sich von ihren Kindern immer wieder einmal erklären zu lassen, wie das geht, was sie da machen. Auf diese Weise komme man leichter über mögliche Gefahren ins Gespräch. Handyführerscheine, wie sie in vielen Schulen oder Bibliotheken angeboten werden, seien auf jeden Fall eine gute Sache. Und auch ein schriftlicher Vertrag (z. B. www.mediennutzungsvertrag.de) könne für viele Kinder ein sinnvolles Mittel sein, um die Ernsthaftigkeit vereinbarter Regeln zu untermauern. Allerdings sollten diese Regeln zuvor gemeinsam erarbeitet und nicht von den Eltern vorgegeben werden.
Führerscheine, Verträge, Regeln erarbeiten – diese Medienerziehung hört sich anstrengend an. Wäre Rudis Fundamentalverweigerung da nicht doch eine angenehmere Alternative? Nein, meint Thomas Feibel: „Es geht ja nicht nur um teure In-App-Käufe oder peinliche Videos. Mit dem Smartphone betreten Kinder eine Welt voller Fake News, Hate Speech, Bots, Big Data. Wenn wir unseren Kindern für diese Welt ein paar Leitplanken mitgeben wollen, müssen wir uns damit befassen und erst einmal selbst dazu eine Haltung entwickeln. Das finde ich wichtiger, als dass abends um sieben das Handy aus ist.“
Kommentare sind geschlossen.