Eigentlich sollte es wieder unsere klassische Fahrradrunde werden: auf dem Radweg raus aus dem Dorf, dann über die Feldwege zur Kiesbank. Dort beschäftigt sich unser Sechsjähriger dann stundenlang mit einem Elternteil am Wasser, während der andere in Ruhe liest oder in der Sonne döst. Ein erprobtes, entspanntes Programm also. Doch als sich die Schwägerin mit ihrer dreiköpfigen Rasselbande für ein langes Wochenende ankündigte, war schnell klar, dass der Besuch auf eine aufregendere Tour hoffte. „Könntet ihr den Kindern nicht mal das Naturschutzgebiet zeigen, das ist doch gleich da am See bei euch um die Ecke? Ich muss noch was erledigen, wir treffen uns dann später.“
„Mit eine Horde quirliger Kinder ins Naturschutzgebiet, geht das überhaupt?“, fragten wir uns. Was, wenn der Nachwuchs nicht folgt und an seltenen Pflanzen rupft oder etwas kaputt macht? Höchste Zeit, sich mal genauer zu informieren.
Ein paar Verhaltensregeln sollten Erholungssuchende durchaus befolgen, sowohl in Schutzgebieten als auch in Wald und Flur. Aber tatsächlich braucht keiner zu befürchten, sich spaßfrei durch die heimische Natur bewegen zu müssen. Die meisten Regeln sind ohnehin selbstverständlich. Den rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt sollte man dennoch im Hinterkopf behalten:
- Grundsätzlich sollte man die Natur nicht verändern, damit auch spätere Besucher etwas davon haben. Das heißt: keine Pflanzen, Tiere, Nistplätze oder Ähnliches mitnehmen! Natürlich sollen auch weder Pflanzen noch Tiere mitgebracht und dort gelassen werden. Der eigene Abfall ist wieder mitzunehmen, und ansonsten muss alles so zurückgelassen werden, wie man es vorgefunden hat. Offenes Feuer ist praktisch überall untersagt.
- Wildtiere sollten möglichst ungestört bleiben. Also keinen unnötigen Lärm verursachen, Hunde an der Leine führen und sich von Brut- und Nistplätzen fernhalten. Das gilt ganz besonders in der Dämmerung sowie während der Jungenaufzucht von März bis Juli. Höhlen und Erdstollen hingegen sollte man von Oktober bis März unbedingt meiden, denn hier überwintern oft Fledermäuse, für die eine Störung in dieser Zeit den sicheren Tod bedeutet.
- Betritt man eines der vielen Schutzgebiete, kommt oft ein Wegegebot hinzu. Dann ist das Verlassen der Wege verboten, meist ist dies deutlich gekennzeichnet. Besonders empfindlich sind Feuchtgebiete, unwegsame Kernzonen und andere Sperrgebiete, denn hier lebende Wildtiere sind nicht an Menschen gewöhnt und können bei Störungen großen Schaden nehmen.
Auch mit einer abenteuerlustigen Kinderschar sind diese Regeln einzuhalten, wie sich herausstellt. Schon bei unserer Anfahrt zeigt sich, dass die Erklärungen über Wildtiere auf neugierige Ohren treffen: Fragen über Fragen zu Lebensraum, Tagesablauf und Familienleben von Eulen, Luchsen und Bibern. Vom Parkplatz geht es zunächst durch Mischwald zum Naturschutzgebiet am See. Auf den ersten Metern im Wald schwärmen die Kinder begeistert aus und erkunden das üppige Grün. Zwischen Moos und Farnen finden sie zahlreiche Insekten, Spinnen und andere Kleinlebewesen. Am Rand einer Lichtung erhebt sich ein Jägerstand und weckt die Kinderlust hin-aufzuklettern. Er ist aber gegen das Besteigen gesichert.
Wer sich auf Wald und Wiesen bewegt, berührt häufig auch Interessen der Grundeigner. Fast die Hälfte der Waldfläche in Deutschland ist in Privatbesitz, daher stehen bei einem Ausflug ins Grüne neben Natur- und Artenschutz oft auch wirtschaftliche Interessen im Raum. Es ist zwar Gewohnheitsrecht, den Wald außerhalb von Schutzgebieten auch abseits der Wege zur Erholung betreten zu dürfen. Dabei sind aber stets die berechtigten Interessen von Waldbesitzern, Förstern und Jägern zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für landwirtschaftlich genutzte Flächen. Hier empfiehlt sich ein rücksichtsvoller Umgang mit allen Beteiligten und ein offenes Ohr für deren Belange, sollte man sich hin und wieder begegnen. Das Betreten von Jagdsitzen, Unterständen und anderen Forsteinrichtungen sollte ebenso tabu sein wie ein Streifzug durch erntereife Felder.
Inzwischen ist das Ziel erreicht. Am Zugang zum Naturschutzgebiet informiert uns ein gelbes Schild mit Waldohreule und eine Tafel mit Verhaltensregeln darüber, dass nun das Verlassen der Wege untersagt ist. Alle Kinder halten sich problemlos daran, schon allein, weil es gar nicht so einfach wäre, neben dem Weg voranzukommen. Der ist gut gesichert, hin und wieder erweitert er sich zu einer kleinen Beobachtungsstation mit Infotafel und Schlechtwetter-Schutz. Der Feldstecher leistet gute Dienste, um einige Wasservögel aus der Ferne zu betrachten. Mit Unterstützung der gut bebilderten Schautafeln gelingt es, die meisten auftauchenden Fachfragen halbwegs kompetent zu beantworten. Auf einer Wiese mit Bänken am See gibt es eine kleine Brotzeit, bevor es an den Rest der Runde geht. Erste Anzeichen von Müdigkeit verfliegen, als ein Eichhörnchen-Pärchen laut geckernd um die Baumstämme flitzt.
Zurück am Parkplatz zeigt sich schließlich, dass sich wohl doch einige Fichtenzapfen in die Jackentaschen der Kinder verirrt haben. Einige haben sogar kleine Triebe gebildet, die zwischen den Schuppen hervorsprießen. Ein entschuldbarer Ausrutscher und ein Anlass, das Erlebnis Natur zu Hause fortzusetzen: Was mag wohl bei guter Pflege daraus werden? Die Kinderschar döst friedlich und zufrieden auf den Rücksitzen, zu Hause werden sie wieder munter. Das Nachfolgeprogramm steht für sie schon fest: „Beim nächsten Mal könnten wir doch in den Nationalpark fahren, da gibt es sogar Bären und Wölfe.“ Es sieht so aus, als müsste die klassische Fahrradrunde wieder warten.
Eine gute Übersicht über alle deutschen Schutzgebiete bietet das Bundesamt für Naturschutz: www.bfn.de/0308_gebietsschutz.html Naturschutzgebiet Klein- bis mittelflächige Zone mit strengen Schutzauflagen, um Lebensräume und -gemeinschaften wild lebender Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Meist deutlich beschildert, früher mit Steinadler, neuerdings mit Waldohreule. Besuch ist erlaubt und erwünscht, aber in der Regel auf Wege beschränkt. Beispiel: Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft. Landschaftsschutzgebiet Weniger streng geschützte Zonen unterschiedlicher Größe, die vor allem ein allgemeines Landschaftsbild bewahren sollen, mit charakteristischen Nutzungsformen wie z. B. Weinbau, traditionelle Landwirtschaft oder Wald- und Forstwirtschaft. Meist keine Einschränkungen für Besucher. Beispiel: Moselgebiet. Naturdenkmal Einzelne besonders schützenswerte Erscheinungen wie etwa Felsformationen, seltene Bäume oder Wasserfälle, auch als kleinere Fläche. Strenge Schutzauflagen wie bei Naturschutzgebieten, aber Besuch auf Wegen erlaubt. Beispiel: Kreidefelsen auf Rügen. Nationalpark Großschutzgebiet nach Vorbild der USA: Natur soll vollständig sich selbst überlassen bleiben. Ziel ist die Schaffung von echter Wildnis, die zur Erholung genutzt werden darf. Aktives Besucher-Management mit Zugangsachsen, Infrastruktur und Kernzonen mit Wegegebot. Beispiel: Nationalpark Bayerischer Wald. Biosphärenreservat Großschutzgebiet mit gewachsener Kulturlandschaft, in der das Miteinander von Mensch und Natur nachhaltig und dauerhaft umweltgerecht ist. Unberührte Zonen, oft unter Einbindung aufgegebener Truppenübungsplätze. Beispiel: Biosphärengebiet Schwäbische Alp mit ehem. Truppenübungsplatz Münsingen. Naturpark Großschutzgebiet, das sich besonders für die Erholung eignet. Großzügige Ausstattung mit Parkplätzen, Wegen, Zeltplätzen und Rasthäusern. Durch vielfältige Nutzung geprägte Kulturlandschaft mit reicher Naturausstattung, oft Teile der grünen Grenze. Schwerpunkt neben Biotop- und Artenschutz auch Tourismus und nachhaltige Regionalentwicklung. Beispiel: Lüneburger Heide. Gesetzlich geschütztes Biotop Kleinflächige Zonen, die meist im oder am Wasser liegen, aber nicht immer eigens gekennzeichnet sind. Allgemeiner Schutz vor Baumaßnahmen o. Ä. durch Kriterienliste laut Bundesnaturschutzgesetz, ohne dass explizit die Fläche ausgewiesen sein muss. Schonender Besuch erlaubt. Beispiel: Schilfgürtel am Berliner Griebnitzsee. Natura2000-Gebiete Europaübergreifendes Netzwerk aus Schutzzonen, die einen günstigen Erhaltungszustand bedrohter Tier- und Pflanzenarten sicherstellen sollen. Dazu zählen FFH-Gebiete (gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) und Vogelschutzgebiete. Schutzauflagen individuell geregelt, meist auf Wegen betretbar, oft Überschneidung mit anderen Schutzgebieten. Beispiel: FFH-Gebiet Ammergebirge.Grüner wird's nicht: Wegweiser durch den Dschungel von Naturschutzgebieten und Biotopen
Interview: „Schilder beachten!“
Gesunder Menschenverstand und Rücksicht sind die besten Wegweiser durch die Natur, glaubt Reinhard Stock, Experte bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
Magazin SCHULE: Darf ich mich in der Natur abseits der Wege bewegen?
Reinhard Stock: Ja, denn grundsätzlich gilt in Deutschland das freie Betretungsrecht von Wald und Flur. Es gibt aber Ausnahmen. Zu den streng geschützten Gebieten zählen Naturschutzgebiete und Nationalparks und hier vor allem die Kernzonen. Dort gibt es ein Wegegebot, das sicherstellen soll, dass Tiere und Pflanzen keinen Schaden nehmen und sich die Natur frei entwickeln kann. Neben dem Schutz der Pflanzen- und Tierwelt gilt dies oft auch für die Erhaltung landschaftlicher und geologischer Besonderheiten.
Wie erkenne ich solche Schutzgebiete?
Es steht zwar nicht an jedem kleinen Zugang ein Schild, aber an den Hauptzufahrtswegen wird deutlich auf die Schutzgebiete hingewiesen. Die Naturschutzgebiete sind einfach an den grün geränderten dreieckigen Schildern, stilisierter Eule und dem Schriftzug „Naturschutzgebiet“ zu erkennen.
Gibt es geschützte Gebiete, die ich abseits der Wege erkunden darf?
Ja, dazu zählen zum Beispiel Biosphärenreservate. Diese haben nur eine recht kleine, streng geschützte Kernzone von etwa 5 Prozent der Gesamtfläche. Zum Vergleich: Bei Nationalparks werden 75 Prozent angestrebt. Außerhalb dieser Zone gilt in der Regel kein strenges Wegegebot. Biosphärenreservate sind „Modelllandschaften“ nachhaltiger Entwicklung. Fragen der Landnutzung, aber auch kommunaler und touristischer Entwicklung spielen dort eine wichtige Rolle. Ein weiteres Beispiel wären Naturparks. Diese Gebiete dienen ausdrücklich der Erholung der Besucher, sie dürfen auch außerhalb der Wege erkundet werden.
Wie verhalten sich Familien mit Kindern möglichst naturverträglich?
Da können Sie eigentlich gar nicht so viel falsch machen, wenn Sie ein wenig gesunden Menschenverstand walten lassen und weder mutwillig noch großflächig etwas zerstören. Sie dürfen zwar grundsätzlich keine Pflanzen und Tiere entnehmen, aber einen kleinen Blumenstrauß zu pflücken ist meistens kein Problem. Wichtig ist, dass Hunde zu sogenannten Brut- und Setzzeiten, also während der Jungenaufzucht der Wildtiere vom Frühjahr bis in den Juni, auf jeden Fall an der Leine geführt werden. Denn freilaufende Hunde können durch das Stöbern Elterntiere aufschrecken, Jungtiere töten oder Vogelgelege zerstören.
Gibt es Areale, die auf Besucher besonders empfindlich reagieren?
Wildtiere ziehen sich oft in wenig besuchte Zonen zurück – hier können Besucher belastend sein. Dabei muss es sich nicht um ein geschütztes Gebiet handeln, das können auch z. B. feuchte Senken, steile Hänge oder Felsen sein. Häufig weisen Informationstafeln darauf hin, dass solche Lebensräume zu umgehen sind. Diese Zonen sollte man meiden. Mit etwas Ruhe und Geduld kann jeder bei seinem Spaziergang von den Wegen aus und ohne Störung tolle Naturbeobachtungen machen.