Leserautoren

Die Lust am Lernen lernen

Damit Nachhilfe wirklich etwas bringt, müssen die Kinder meist erst die Freude am Lernen wiederfinden. Stures Pauken und Druck der Eltern helfen da nicht weiter, sagt Leserautor und Nachhilfelehrer Udo Seelhofer


Dienstagnachmittag in einem Nachhilfeinstitut in Wien. Der achtjährige Markus kommt he­rein, nickt mir kurz zu und setzt sich ohne ein Wort auf seinen Stuhl. „Hallo, wie geht es dir?“, begrüße ich ihn. Er schaut mich nur schweigend an, aber dann bricht es aus ihm heraus: „Das wird mir alles zu viel!“ Weinend schlägt er die Hände vors Gesicht. Mir wird klar, dass an Nachhilfe heute nicht mehr zu denken ist. Stattdessen beschließe ich, mir Zeit zu nehmen und dem Jungen zuzuhören, damit er mir von seinen Problemen in der Schule erzählen kann.

Zwei Stunden später: Der 14-jährige Maximilian ist am Boden zerstört: „Die Schularbeit ist nichts geworden!“ Der Grund dafür liegt für ihn auf der Hand: „Ich habe meine Schularbeit auf dem Laptop geschrieben, da sagt die Lehrerin 20 Minuten vor dem Ende der Stunde plötzlich, dass wir unsere Arbeiten jetzt sofort ausdrucken und abgeben müssen.“ Natürlich, klagt Maximilian, sei er da noch nicht fertig gewesen. Zwar habe ihm die Lehrerin erlaubt, noch ein paar Sätze von Hand auf das Blatt zu kritzeln, doch durch die Diskussion darüber habe er Zeit verloren und sei so nervös geworden, dass er nichts mehr hinbekam. ­Maximilian frustriert: „Jetzt war die ganze Vorbereitung umsonst.“

Kinder müssen wissen: Hier sitzt jemand, der mir zuhört, und ich bin diesem Menschen nicht egal

Fälle wie diese begegnen mir in meiner Tätigkeit als Nachhilfelehrer immer wieder. Dann wird es zu meiner vordersten Aufgabe, den Schülern, die aufgrund ihrer Erlebnisse in der Schule frustriert sind, überhaupt erst wieder Spaß am Lernen zu vermitteln. Um das zu erreichen, muss ein Nachhilfelehrer allerdings bereit sein, die gewohnten Unterrichtspfade auch mal zu verlassen. Bei Schülern wie Markus und Maximilian ist es wichtig, dass man nicht ­einfach mit dem Lernstoff weitermacht, sondern darauf eingeht, was gerade passiert ist. Auch wenn das bedeutet, dass die ersten 20 Minuten der Lernzeit für ein Gespräch verloren gehen, so wird doch vieles gewonnen. Denn im Gespräch erfahren die Kinder: Hier sitzt jemand, der mir zuhört, und ich bin diesem Menschen nicht egal.

Viele Nachhilfelehrer aber lernen mit ihren Schützlingen lediglich den Schulstoff nach. Oft übernehmen sie auch einfach die Methoden der jeweiligen Lehrkraft. Das mag bequem sein, aber bei manchen Kindern braucht es mehr, um sie wieder zu motivieren. Und diese Nachhilfelehrer vergeben einen entscheidenden Vorteil: das Glück, mit nur einem oder maximal zwei Schülern arbeiten zu dürfen.

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So kann man mit seinem Schützling sehr wohl ein Buch lesen, das nicht auf dem Unterrichtsplan steht, ihn aber interessiert. Das klappt, wenn man seine Schüler kennt und Anteil an ihrem Leben nimmt. Ich unterhalte mich mit meinen Schülern nicht nur über Schule, sondern auch über ihre Freizeit und Hobbys. Und ich versuche, Bücher zu finden, die ihrem Alter entsprechen und ihre Interessen abdecken.

Aber es gibt noch andere Wege, die Schüler so zu stärken, dass sie wieder Mut fassen. Mit der Zeit entwickelt man als Nachhilfelehrer ein Gespür dafür, wie Schullehrkräfte den Schulstoff angehen und was als Nächstes kommen könnte. ­Daher ist es wichtig, dass man mit den Kindern auch Dinge lernt, die im Unterricht noch nicht thematisiert wurden. So können sie in der Schule zeigen, wie gut sie vorbereitet sind. Oft verbessert sich dann das Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler oder Schülerin, was wiederum eine Voraussetzung ist, damit den Kindern das Lernen in der Schule leichter fällt und mehr Spaß macht.

Manchmal ist es aber ausgerechnet das Engagement der Eltern, das die Lernschwierigkeiten verstärkt, wie das Beispiel meines Nachhilfeschülers David zeigt. Davids ­Eltern waren beim Lernen stets sehr engagiert. Zu engagiert: Nicht nur die Eltern lernten mit ihm, sondern auch sein Bruder, seine Tante und seine Oma. Und damit nicht genug, entschieden sich seine Eltern, mich als Nachhilfelehrer zu engagieren. Schon nach der ersten Stunde war das Hauptproblem klar: Die vielen Verwandten, die mit David lernten, gingen nicht nur planlos vor – sie brachten ihm zum Teil falsche Grammatikregeln bei, und dementsprechend schwierig war es, das falsch Eingeübte zu korrigieren. Ich setzte mich mit Davids Mutter zusammen und erklärte ihr, was in meinen Augen schieflief. Sie nickte und versprach Besserung. Doch ein paar Wochen später gab es bei David keine Verbesserung. Die Familie hatte keinen meiner Ratschläge umgesetzt und stattdessen weiter so planlos mit ihm gelernt wie zuvor. Auch weitere Gespräche brachten nichts.

Falsch verstandener elterlicher Ehrgeiz kann schnell nach hinten losgehen

Wie falsch verstandener elterlicher Ehrgeiz nach hinten losgehen kann, zeigt auch Markus’ Beispiel. Die Eltern des Elfjährigen baten nur einen Tag vor der Schularbeit noch dringend um einen Nachhilfetermin. Der gesamte Prüfungsstoff sollte auf die Schnelle mit ihm wiederholt werden. Dieser ohnehin schwierige Wunsch stellte sich schnell als unmöglich heraus, da Markus feststellte, dass er vergessen hatte, ganze Teile des Stoffs zu lernen. Ich telefonierte kurz mit der Mutter und schlug ihr vor, was mir am sinnvollsten erschien: „Wir wiederholen kurz, was er schon gelernt hat, und besprechen dann die wichtigsten vergessenen Teile.“ Die Mutter lehnte ab: „Ich will, dass Sie mit ihm ­alles auswendig lernen“, verlangte sie und bestand darauf, dass wir statt der geplanten zwei nun sechs Stunden lernen, und zwar ohne Unterbrechung. Dass dies einen Tag vor der Prüfung nur negative Auswirkungen haben konnte, wollte sie nicht wahrhaben.

Beide Fälle zeigen, dass überzogene Erwartungen oft mehr schaden als nützen. Und: Damit Nachhilfe etwas bringt, müssen auch Eltern bestimmte Regeln einhalten. So sollten alle Personen, die mit dem Kind üben, im Lernstoff einigermaßen sattelfest sein. Wenn dem nicht so ist, sollte das Training allein dem Nachhilfelehrer überlassen bleiben. Markus’ Beispiel wiederum zeigt, dass es pädagogisch überhaupt keinen Sinn ergibt, sich erst wenige Tage vor der Prüfung zu melden und dann alles auswendig lernen zu wollen. Wenigstens drei bis vier Wochen vor dem Test sollten Eltern regelmäßige Termine vereinbaren. Noch ­besser regelmäßige Nachhilfe einmal in der Woche, denn so kann der Nachhilfelehrer den Lernfortschritt überwachen. Vor Tests kann die Stundenzahl bei Bedarf auf zweimal ­wöchentlich erhöht werden, um den gesamten Stoff Kapitel für Kapitel zu wiederholen.

Engagierte Lehrer und kooperierende Eltern – so bringt Nachhilfe einen nachhaltigen Lerneffekt.



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