Wundern & Wissen

Lernorte in der Natur

Ab und zu das Klassenzimmer ins Grüne zu verlegen, ist eine gute Idee. Zum Beispiel in ein Wildkatzendorf oder ein Freilichtmuseum. Außerschulische Lernorte machen Spaß und bringen viel. Merke: Wer draußen ist, lernt besser


Im Wildkatzendorf Hütscheroda tanzen heute die Mäuse. 25 Grundschulkinder mit angebundenen Mäuseschwänzen rennen wild durcheinander, während Betreuerin Alexandra Schubert die Wildkatze mimt und versucht, der ersten Maus den Schwanz abzujagen. Wer ihn verliert, verstärkt das Wildkatzenteam, und am Ende gewinnt natürlich die letzte Maus, die übrig bleibt.

In Wirklichkeit gewinnen alle, denn kurz darauf lernen die jungen Teilnehmer, dass Wildkatzen nicht hetzen, wie etwa Wölfe oder die Kinder im Spiel, sondern dass sie sich leise anschleichen und dann blitzschnell zuschlagen. Natürlich dürfen sie auch das später selbst nachspielen, doch zunächst gilt es, weitere spannende Details aus dem Leben der Wildkatzen zu erfahren.

Lernorte in der Natur sind lebendiger Unterricht

Wie die meisten außerschulischen Lernorte setzt auch das Wildkatzendorf auf lebendigen Anschauungsunterricht. „Am besten bleibt das hängen, was man selbst tut“, fasst Alexandra Schubert ihre Lehrphilosophie zusammen. Die Diplombiologin und Umweltpädagogin führt über 1000 Kinder jährlich durch das Themendorf am UNESCO-Weltkulturerbe Nationalpark Hainich. „Hier können die Kinder mitmachen, sich bewegen, selbst Wildkatze sein.“ So lassen sich selbst anspruchsvolle Themen nachhaltig vermitteln, etwa, warum ein riesiger Wald wie der Hainich nur für etwa 50 Wildkatzen Lebensraum bietet. Oder wie wir Menschen Umwelt, Klima und Lebensräume verändern und welche Verantwortung wir daher für den Schutz der Natur tragen.

 

Alexandra Schuberts Tour beginnt in der Informationsscheune mit Spielarena und Multimedia-Ausstellung. Hier lernen die Kinder nicht nur, wie Wildkatzen leben, wie sie sich ernähren, ausbreiten und fortpflanzen, sondern auch einiges über Waldentwicklung und die ortsansässigen Tiere und Pflanzen. Dann geht es über einen sieben Kilometer langen Wanderweg zur Wildkatzenlichtung: drei Gehege, in denen echte Wildkatzen leben und das zuvor Gelernte noch lebendiger werden lassen.

Infos für Lehrer: Wie finde ich einen Lernort?

  • Viele Bundesländer führen eine Datenbank zu außerschulischen Lernorten, die über die Bildungsserver zugänglich und durchsuchbar ist. Die Einträge sind aber nicht immer aktuell und bürgen auch nicht automatisch für Qualität.

  • Der Didacta-Verband der Bildungswirtschaft hat Qualitätskriterien für außerschulische Lernorte herausgegeben und führt eine Mitgliederliste mit derzeit 16 Anbietern, die diese Anforderungen erfüllen.
    www.didacta.de/Ausserschulisches-Lernen.php

  • Die UN-Dekade „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (BNE) hat 1800 Dekade-Projekte ausgezeichnet, die sinnvolle Lern-
    aktivitäten zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit vor Ort umsetzen.
    www.bne-portal.de/service/datenbank-dekade-projekte

  • Der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e. V. hat eine eigene Qualitätszertifizierung „beQ“ geschaffen, mit dem vorbildliche erlebnispädagogische Angebote ausgezeichnet werden. Unter den derzeit 15 zertifizierten Anbietern finden sich mehrere Anbieter von Klassenfahrten mit Naturcharakter.
    www.bundesverband-erlebnispaedagogik.de

  • Der Deutsche Fachverband für Jugendreisen Reisenetz e. V. vergibt ebenfalls ein Gütesiegel zum Thema Jugendreisen und bietet eine gute Übersicht über weitere Qualitätszertifikate anderer Verbände im Bereich Reisen und Unterkünfte. www.reisenetz.org

Auf halbem Weg ragt der Hainichblick auf, ein 20 Meter hoher Aussichtsturm, von dem aus die Kinder drei wichtige Gebiete sehen können: den Nationalpark Hainich, den Thüringer Wald, bis vor Kurzem noch kein Wildkatzengebiet, und dazwischen einen neu bepflanzten grünen Korridor, der die beiden Areale verbindet.

Der 50 Meter breite Korridor aus Büschen und Bäumen ist Teil des BUND-Projekts „Wildkatzensprung“: „Wir verbinden Wälder wieder miteinander, damit die ursprünglich in ganz Deutschland heimische Wildkatze und viele andere Wildarten sich wieder ausbreiten und neue Lebensräume erobern können“, erklärt Jenny Kupfer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

„Außerdem bestücken wir eine Wildkatzendatenbank mit Tausenden gesammelter Haarproben, um Erkenntnisse für den weiteren Wildkatzenschutz zu gewinnen.“ Die Mühe hat sich gelohnt, wie eine Fotofalle und Haaranalysen gezeigt haben: Die Wildkatzen nutzen den neu gepflanzten Korridor vom Hainich zum Thüringer Wald. Sie werden dieses für Wildkatzen eigentlich ideale Revier sicher bald erobern, und die jungen Wildkatzenforscher werden sich mit den Naturschützern darüber freuen. Ein wichtiger Beitrag, um Kindern und Jugendlichen Natur nahezubringen, nicht nur als Wissensstoff, sondern auch als schützens- und erlebenswerte Schatzkammer vor der Haustür.

Worauf sollte ich bei der Auswahl achten?

  • Gute Lernorte verfügen sowohl über fachlich als auch didaktisch hochqualifizierte Mitarbeiter und sind wissenschaftlich vernetzt.

  • Lehrer erhalten Hilfe bei der Vor- und Nachbereitung des Besuchs, beispielsweise in Form von Handreichungen.

  • Der Lernort hat ein schlüssiges Bildungskonzept und stimmt seine Inhalte und Methoden auf Altersstufen und Lehrplan ab.

  • Am Lernort sind Primärerfahrungen möglich, die alle Sinne ansprechen und die Schüler mit verschiedenen Methoden aktiv einbinden.

  • Feste Ansprechpartner am Lernort stehen für Fragen zur Verfügung und sind für Wünsche der Lehrer offen.

  • Der Lernort legt Wert auf Qualitätssicherung, holt Rückmeldungen von Lehrern und Schülern ein.

Einer der großen Vorteile außerschulischer Lernorte ist die große Nähe zur Praxis, zu anschaulichen Beispielen und Erlebnissen, die im Idealfall alle Sinne ansprechen. Vogelstimmen aus einer Baumkrone, das Spiel von Licht und Schatten am Waldrand, der Geruch im Inneren eines vermoderten Baumstamms: Sie füllen trockene Themen wie Wirbeltiersystematik, Biotopmerkmale oder ökologische Kreisläufe mit Leben und Erlebtem. Eine Stofffülle, die im klassischen Unterricht nur mühsam zu bewältigen wäre, nehmen Schüler fast nebenbei auf, wenn sie die Materie unmittelbar vor Ort erfahren und sich mit ihr aktiv auseinandersetzen können. Sie erweitern ihr Bild von der Welt, indem sie die Natur erkunden, Fragen stellen, spielerisch Antworten finden und das neu gewonnene Wissen mit eigenen Beobachtungen überprüfen – gewissermaßen die wissenschaftliche Methode im Kleinen.

Kinder, die viel draußen spielen, lernen besser, wissen mehr und verstehen Zusammenhänge rascher

Wie wichtig für Menschen, und ganz besonders für Kinder, der Kontakt zur Natur ist, haben zahlreiche Studien belegt. Kinder, die viel draußen spielen, lernen besser, wissen mehr und verstehen Zusammenhänge rascher, verhalten sich sozialer und kooperativer, fühlen sich besser und sind auch körperlich gesünder, wie eine große Übersichtsarbeit im Auftrag des britischen National Trust 2012 belegte. Dass der Aufenthalt in der Natur ein solch elementares Grundbedürfnis für uns Menschen ist, folgt aus unserer Stammesgeschichte. Die allermeiste Zeit lebten wir Menschen in unmittelbarem Kontakt mit unserer natürlichen Umgebung und waren darauf angewiesen, uns in ihr zurechtzufinden und geborgen zu fühlen. Der Philosoph Erich Fromm prägte dafür den Begriff der Biophilie, des grundlegenden Bedürfnisses des Menschen, mit der Natur in Kontakt zu treten.

Heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, Tendenz steigend. Erschreckend ist: US-amerikanische Kinder verbringen 90 Prozent ihrer Zeit in geschlossenen Räumen. Und die wenigsten modernen Schulgebäude bieten Zugang zu einem Garten oder Park oder auch nur einen Ausblick auf Natur. Es lohnt sich also, gelegentlich die Sicherheit und Routine des täglichen Unterrichts zu verlassen und ein paar Stunden oder gar Tage mit der Klasse an einen außergewöhnlichen NaturOrt zu fahren, um dort etwas Neues zu lernen oder den Stoff zu vertiefen. Möglichkeiten gibt es mehr als genug, darunter waldpädagogische Zentren, Lehrpfade, Wertstoffhöfe, Themenwelten, Bauernhöfe und Museen, die Wissen in und über Natur und Umwelt vermitteln. Eine Auswahl an außerschulischen Lernorten aus unserem Internet-Angebot www.naturorte.de finden Sie in der Bildergalerie.

Viele der Lernorte bieten neben den Aktivitäten vor Ort auch die Möglichkeit, ein begonnenes Projekt mitzunehmen und anschließend im Unterricht weiterzuführen. In der „Biosphäre Potsdam“, einem großen Regenwald-Erlebnispark mit tropischen Pflanzen und Tieren, setzen Schüler beispielsweise beim Workshop „Wasser zum Leben“ ein komplettes Ökosystem im Glas an, das sie dann mit nach Hause oder in die Schule nehmen können.

Im Wildkatzendorf hingegen gibt es für die Schüler am Ende einen kleinen Test zur Wildkatze, den alle mit Bravour bestehen. Als Belohnung erhalten sie eine Urkunde, die sie fürderhin als kundige Wildkatzenforscher ausweist. Doch das ist nicht der einzige Grund, mächtig stolz zu sein. „Waren das wirklich sieben Kilometer?“, fragt eine kleine Teilnehmerin. „Toll! So viel bin ich ja vorher noch nie
gelaufen!“

 

Titelbild: BUND / M. Jehnichen



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