Foto: Daniel Kraus/Landheim Schondorf
Wundern & Wissen

Lernen an Privatschulen

Notendruck, Schulangst, übervolle Klassen: Viele Eltern wünschen sich eine behutsamere Atmosphäre für ihr Kind. Ihnen bieten Privatschulen pädagogische Alternativen an


Ein idyllisches Lerndorf im bayerischen Voralpenland: Schul- und Wohnhäuser, Werkstätten, ein Gewächshaus, eine Turnhalle und ein Sportplatz verteilen sich auf dem zehn Hektar großen Gelände. Drei Privatschulen gehören zum Landheim Schondorf am Westufer des Ammersees: eine Grundschule, ein staatlich genehmigtes sowie ein staatlich anerkanntes Gymnasium.

Das Motto der Schule: Kopf, Herz, Hand. Es geht auf den Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi zurück. Die Besonderheit der Schule: Als reine Pestalozzi-Erben sehen sich die Schondorfer keineswegs. Sie haben sich erlaubt, aus mehreren Lehrkonzepten das jeweils geeignete Prinzip herauszusuchen – um so eine maßgeschneiderte Atmosphäre für die Schüler herzustellen. „Insbesondere in der Grundschule arbeiten wir nach den Prinzipien der Reggio-Pädagogik“, berichtet Schulleiterin Irmgard Mayrhofer, „wir orientieren uns jedoch auch an anderen pädagogischen Konzepten und achten auf klare Strukturen.“

In meiner alten Schule bin ich durchgefallen, aber hier haben die Lehrer mehr Zeit. Levin, 17, Schüler im Landheim Schondorf

Im Landheim Schondorf geht es deshalb auch nicht nur um Mathe, Deutsch oder Latein, sondern auch um handwerkliche, musische, sportliche und soziale Fähigkeiten. Die Kinder arbeiten in schuleigenen Werkstätten, spielen Theater, rudern und übernehmen soziale Dienste. Der Tag ist straff durchorganisiert – von der gemeinsamen Morgenfeier mit einem Gedicht oder einem Kurzvortrag um 7.30 Uhr bis zur stillen Stunde am Abend, in der die Schüler zur Ruhe kommen und lernen sollen. Von der 5. bis zur 7. Klasse gibt es in der Julius-Lohmann-Schule, dem staatlich genehmigten Gymnasium, keine Noten, sondern Lernfortschrittsberichte. „In meiner alten Schule bin ich durchgefallen“, erzählt der 17-jährige Levin. „Hier haben die Lehrer mehr Zeit. Meine Noten haben sich verbessert – und es ist echt schön hier.“

Was guten Unterricht ausmacht, wie Kinder am besten lernen, welche Rolle Lehrer einnehmen sollen – seit Jahrzehnten ist dies eine Glaubensfrage, umstritten nicht nur unter Bildungsforschern und Pädagogen, sondern auch unter Eltern. Die Kritik an „stupidem Frontalunterricht“ und überfüllten Klassen ist gewachsen, und gerade seit dem PISA-Schock ist die Nachfrage nach Privatschulen gestiegen. Vor allem von alternativen pädagogischen Ansätzen versprechen sich viele Eltern bessere Bedingungen für ihr Kind. Die bekanntesten Vertreter der alternativen Lernphilosophie: Montessori, Waldorf oder Jenaplan. Elemente aus reformpädagogischen Strömungen findet man in vielen privaten Einrichtungen. Mal reiner in der Lehre, mal flexibler gehandhabt.

Klassiker der alternativen Pädagogik

  • Montessori

    Die Montessori-Pädagogik geht auf die Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870–1952) zurück. Kinder sollen die Möglichkeit haben, selbstständig zu agieren. Die Lehrer helfen den Kindern, ihre eigenen Vorhaben zu bewältigen. Grundgedanke der Montessori-Pädagogik lautet: „Hilf mir, es selbst zu tun.“

    Gelernt wird nicht nur intellektuell, sondern mit allen Sinnen. Die Methode will die Bedürfnisse und Begabungen jedes einzelnen Kindes beobachten. Es wird Wert auf Freiarbeit, aber auch auf Gruppen- und Projektarbeit gelegt. Zum Einsatz kommen spezielle Materialien wie Perlen in der Mathematik oder ein Wortartenkasten zum Erlernen von Wortgruppen und Sätzen. In Deutschland gibt es rund 1000 Montessori-Kinderhäuser und -schulen.

  • Waldorf

    Die erste Waldorfschule entstand 1919 in Stuttgart als Werksschule der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria. Der Philosoph Rudolf Steiner (1861–1925) verfasste das Schulkonzept. Ein Leitsatz der Pädagogik lautet: „Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen und in Freiheit ent-lassen.“ Typisch für die Schulform sind Epochenunterricht, also Lernen in Themenblöcken, und künstlerische Aktivitäten.

    Es werden keine Ziffernnoten vergeben. Beim Ausdruckstanz, der Eurythmie, werden Laute in Bewegung umgesetzt. Kinder lernen zum Beispiel, ihren Namen zu tanzen, aber auch einfach, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

    Der Lehrer unterrichtet die Kinder von der ersten bis zur achten Klasse. Bundesweit gibt es etwa 230 Waldorf- bzw.
    Rudolf-Steiner-Schulen.

  • Jenaplan

    Die Jenaplan-Pädagogik wurde vom Erziehungswissenschaftler Peter Petersen (1884–1952) entwickelt. Das pädagogische Konzept basiert auf vier Säulen: Gespräch, Spiel, Arbeit, Feier. Petersen wollte erreichen, dass Schulen Lebensstätten der Kinder sind. Er ging davon aus, dass Kinder unterschiedlichen Alters voneinander lernen können. Auch andere Reformschulen arbeiten heute mit alters-
    gemischten Gruppen.

    Typisch ist zum Beispiel der Wochenarbeitsplan und häufige Gruppenarbeit. In Deutschland gibt es ca. 50 Jenaplan-Schulen.

„Unser Gegenentwurf ist Lernen aus Erfahrungen, wir wollen möglichst raus aus den Klassenzimmern“, sagt auch der Sprecher der privaten Internatsschule Schloss Salem, Hartmut Ferenschild. „Eine große Schwierigkeit an deutschen Schulen sind die Fächer- und Klassengrenzen. Die Welt ist aber nicht in Fächer klein gehackt.“ Und so gibt es Projekte, bei denen Schüler aus unterschiedlichen Jahrgängen sich beispielsweise mit dem Mittelalter befassen. Es dreht sich dann mehrere Wochen lang alles um Geschichte, Literatur oder auch Musik dieser Zeit – ähnlich wie im epochalen Unterricht nach Rudolf Steiner.

In Salem wird von den Schülern zudem erwartet, dass sie Verantwortung übernehmen, zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr. Ferenschild: „Wir sind keine Wellness-Schule.“ Für die Kinder und Jugendlichen sind die schulischen Aufgaben und das Leben in der Gemeinschaft – 640 Schüler aus 46 Nationen – eine Herausforderung. „Aber am Ende bringt mir das ja auch was“, erzählt der 17-jährige Fynn.

Die Freiheit, immer mal wieder aus dem Lehrplan auszubrechen, endet spätestens, wenn es auf das Abitur zugeht. Schließlich wollen Eltern bei mindestens 33 900 Euro Schulgebühren jährlich Ergebnisse sehen. Ferenschild: „Wir machen bei dem 1-Komma-Wahnsinn nicht mit, das ist nicht unser Ziel. Unsere Schüler liegen aber meist leicht über dem Landesdurchschnitt.“

Auch in Marienau am Rand der Lüneburger Heide, einem Internat und staatlich anerkannten Gymnasium, geht es nicht nur um gute Noten. Die Schüler sollen schnell autonom werden, Verantwortung tragen und demokratische Rechte ausüben. „Wir nehmen unsere Schüler ernst, sie dürfen bei vielen Dingen mitbestimmen“, sagt Schulleiterin Heike Elz. Erst vor Kurzem wurde über den Namen für einen Neubau abgestimmt – die Schüler überstimmten die Lehrer und schlugen den Namen des US-Whistleblowers Edward Snowden vor. Elz: „Wir werden diesen Namen nun dem Träger vorstellen.“ In Mari-enau wollen Lehrer beobachten, was die Kinder brauchen – mal Förderunterricht, ein Extra-Angebot für besonders Begabte oder gar keinen Unterricht. „Letztens bin ich in eine Klasse gekommen, die gerade Mathe geschrieben hatte“, berichtet Elz, „die Gesichter waren rot vor Anstrengung – da brauche ich kein Englisch zu machen. Also sind mein englischsprachiger Assistent und ich mit den Kindern auf den Bolzplatz gegangen.“

 

Nach neuen Wegen suchen aber keineswegs nur Privatschulen: In München zum Beispiel ist es die staatliche Grund- und Mittelschule an der Hochstraße. Sie liegt auf einem drei Hektar großen Gelände mit Gemüse- und Blumengarten, Bienenvölkern und Meerschweinchen – ein grünes Paradies in der Stadt. Zum Unterricht gehen alle Kinder in die staatliche Schule, beim Essen und in der unterrichtsfreien Zeit werden sie von städtischen Erziehern im Tagesheim betreut. Lehrer und zwei Erzieher bilden ein Team, kümmern sich gemeinsam um ihre Klasse. Es gibt Montessori-Material, Projektarbeit, regelmäßige Ausflüge und jährliche Fahrten ins Schullandheim. Hausaufgaben werden in der Schule erledigt, dort bleiben auch die Bücher und Hefte. Oft sind zwei Pädagogen in der Klasse, so kann in Kleingruppen gearbeitet werden. Kinder, Lehrer, Erzieher und Eltern untereinander duzen sich – wer eine Frage hat, kann auch „zu Helga“ gehen – Frau Schraud ist die Rektorin.

Was passt zu meinem Kind?

  • Schulkonzepte unbedingt vergleichen

    Nicht jede Methode eignet sich für jedes Kind. Ausgeprägte Individualisten kommen in einem Internat oder einer engen Klassengemeinschaft vielleicht nicht so gut zurecht. Kinder, die beim Lernen mehr Führung brauchen, bekommen in Konzepten mit viel Freiarbeit Schwierigkeiten.

  • Die Wünsche des Kindes berücksichtigen

    Die Eltern finden eine Schule oder ein Internat toll – der Nachwuchs ist aber nicht begeistert? Kann man vergessen! Ein Kind wird nur auf einer Schule glücklich und erfolgreich sein, auf der es sich wohlfühlt.

  • Kosten im Blick behalten

    Private Internate kosten oft mehr als 30 000 Euro pro Jahr. Wer sich diese Gebühren nicht leisten kann, sollte sich nach Ermäßigungen und Stipendien erkundigen. So sind zum Beispiel
    30 Prozent der Salem-Schüler Leistungsstipendiaten (Bewerbungsschluss 13.2.2015).

24 Erstklässler können jedes Jahr aufgenommen werden – bis zu 180 Familien stellen einen Antrag auf einen der begehrten Plätze. Schraud: „Im vergangenen Schuljahr haben bis auf zwei, drei Kinder alle den Übertritt aufs Gymnasium und 93 Prozent unserer Mittelschüler den Quali geschafft. Nicht, weil wir nur besonders clevere Kinder und Ausnahmelehrer und -erzieher hätten, sondern weil wir optimale Bedingungen haben.“

Angela Wanke-Schopf hat inzwischen ihr drittes Kind auf die Münchner Schule geschickt. „Schulangst, Notendruck – so was haben meine Kinder nie erlebt“, schwärmt die Rechtsanwältin, „aber sie wurden in der Hochstraße auch nicht in Watte gepackt. Meine beiden großen Jungs sind inzwischen auf dem Gymnasium und kommen auch dort gut klar.“

 



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