Wundern & Wissen

Kinder- und Jugendreisen

Die große Freiheit: Wenn Jugendliche allein verreisen, können ihre Eltern vor lauter Sorge kaum schlafen. Jugendreiseanbieter versprechen Betreuung und Sicherheit. Worauf Familien bei der Buchung achten sollten


Es ist fünf Uhr morgens, als eine SMS Familienvater Jan Schwarz in Köln aus dem Schlaf reißt: „Bin gerade ins Hotel zurückgekommen.“ Jans 16-jährige Tochter Amelie urlaubt zum ersten Mal ohne Familie in Italiens Partyhochburg Rimini. Die Kurznachricht soll ihren Vater eigentlich beruhigen, doch gegen die verstörenden Bilder in seinem Kopf kommt er nicht an: Amelie im engen Top. Wie sie becherweise Alkohol trinkt. Schmierig grinsende Typen neben ihr an der Bar. Seine Große, wehrlos durch die nächtlichen Straßen irrend. Hastig schlüpft er in Hose und T-Shirt und greift zu den Autoschlüsseln: „Ich war drauf und dran, nach Italien zu fahren und meine Tochter da rauszuholen“, erinnert er sich. Für Amelies ersten Solo-Trip hatten Jan und seine Frau Sophie Schwarz extra eine betreute Jugendreise gebucht. „Aber man schien sich nicht um die Sicherheit der Teenager zu scheren – da hätte so viel passieren können!“

Allein verreisen – was machen Jugendliche?

  • 43 % – fremde Kultur erleben

    41 % – faulenzen

    36 % – Party machen

    35 % – schwimmen, baden, tauchen

Wenn Jugendliche allein verreisen, sorgen sich die Eltern. Teens ab 13 Jahren träumen von rauschhaften Wochen zwischen Strandflirt und allabendlichen Partys. Die Erwachsenen wollen, dass ihre Kinder regelmäßig essen und gut betreut sind. Gegensätzlicher geht’s nicht. Zahlreiche Jugendreiseveranstalter haben sich deshalb darauf spezialisiert, elterliche Ängste und jugendliches Spaßbedürfnis auf einen Nenner zu bringen. Anbieter wie ruf Reisen, fit Jugendreisen und freeworld schnüren Rundum-sorglos-Pakete für beide Parteien: In bunten Jugendkatalogen preisen sie das „Dolce Vita“, das süße Leben mit Gleichaltrigen, und „Softdrinks inklusive“ und schwelgen in der „tollen Mischung aus Strand und Sonne“. Hinten im Katalog steht das Kleingedruckte – seitenweise Informationen über Sicherheitsvorkehrungen, die die Veranstalter zum Schutz des kostbaren Reiseguts getroffen haben: abgeschlossene Hotelanlage, 24-Stunden-Betreuung vor Ort, ausgebildete Teamer, keine harten Alkoholika. Manche wollen die Eltern sogar täglich per Mail über die Aktivitäten der Sprösslinge unterrichten. Checklisten („Ist mein Kind reif für den Urlaub ohne Familie?“) runden die Elternseiten ab.

Alle waren betrunken. Das Herumgegröle bis in den Morgen war schrecklichSarah, 18 Jahre

Reisen Jugendliche mit Jugendreiseveranstaltern tatsächlich so geschützt wie mit der eigenen Familie? Dennis Peinze, Geschäftsführer des Bundesforums Kinder- und Jugendreisen e.V., ist ein vorsichtiger Mann: „Meine Hand würde ich nicht dafür ins Feuer legen.“ Es könne immer etwas passieren, wenn Betreuer sich um Schutzbefohlene kümmern.

Die heute 18-jährige Sarah etwa denkt mit Schrecken an ihre erste Jugendreise vor drei Jahren: „Schon im Bus haben die Jugendlichen begonnen, Alkohol zu trinken. Die Betreuer haben das erst registriert, als zwei Leute sich erbrachen.“ Vor Ort genoss die damals 15-Jährige Freiheiten, die ihr nicht geheuer waren: „Niemand kontrollierte, ob wir das Gelände verlassen, wir konnten selbst abends machen, was wir wollten.“ Die Nächte waren schlimm: „Alle waren betrunken, sogar zwei der Betreuer. Das Herumgegröle bis in den Morgen war schrecklich.“

Der Boom der Jugendreisen

  • Reisefreude

    Rund 19 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verreisen pro Jahr ohne ihre Eltern. Mit 62 Millionen Übernachtungsreisen sind sie die reisefreudigste Altersgruppe überhaupt. Der Kinder- und Jugendtourismus macht mit einem Jahresumsatz von rund 38 Milliarden Euro einen wesentlichen Faktor der Branche aus.

  • Lieblingsziele

    Die Mittelmeerländer Spanien, Italien und Frankreich sind seit jeher die beliebtesten Reiseziele deutscher Teenager. Im Trend liegen Kreuzfahrten für Jugendliche, Abenteuerrundreisen durch Südafrika und sogar komplette Weltreisen. Kosten: ab 4000 Euro.

  • Luxusleben

    Die Ansprüche Jugendlicher und ihrer Eltern wachsen: 4-Sterne-Häuser werden immer beliebter. Selbst beim Camping sind Holzboden, Betten und Strom heute oft selbstverständlich.

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    Quellen: Young Traveller Kompass 2014, ruf Akademie; „Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland 2013“, BMWi/DJH 2014

Glaubt man Peinze, sind solche Ausfälle aber die Ausnahme: „Sicherheit und Qualität sind seriösen Jugendreiseanbietern enorm wichtig. Schließlich vertrauen Eltern ihnen ihr höchstes Gut an.“ Zwei Qualitätssiegel bieten Orientierung: „QMJ Sicher gut“ des Bundesforums und die „Geprüfte Reisenetz-Qualität“ des Deutschen Fachverbands für Jugendreisen Reisenetz. „Anbieter, die diese Zertifizierung erhalten, sind sorgfältig von externen Prüfern getestet worden“, versichert Peinze.

Weil Eltern gute Betreuung einfordern, müssen angehende Reiseleiter ihrem Arbeitgeber nicht nur polizeiliches Führungszeugnis, Jugendleiterschein, den großen Erste-Hilfe- und möglichst auch einen Rettungschwimmerschein vorlegen. „Qualitätsbewusste Jugendreiseanbieter verwenden fünf Tage und mehr auf die Teamer-Ausbildung“, so Peinze. Ein Reiseleiter muss im Reise-, Straf-, und Sexualstrafrecht sowie im Jugendschutzgesetz bewandert sein. In Seminaren testen die angehenden Betreuer ihre Fähigkeiten und spielen Risikosituationen durch. Eltern können schnell herausfinden, ob Jugendreiseveranstalter lediglich mit verdienten Personen aus der Jugendarbeit oder mit ausgebildeten Betreuern arbeiten: Seriöse Anbieter informieren in Katalogen und Internet ausführlich über das Mindestalter der Teamer und deren Qualifikationen. Fehlen diese Informationen, ist Vorsicht geboten.

Auch der Marktführer ruf Reisen setzt auf qualifizierte Teamer, sagt Pressesprecherin Inga Hörttrich: „Unsere Begleiter übernehmen mit ihrem Betreuungsauftrag eine ähnliche Funktion wie zu Hause Eltern oder ältere Geschwister.“ An den Urlaubsorten gelten klare Regeln. Der 14-jährige Jonas erinnert sich heute noch an sie: „Eigentlich wollten wir nach der Ankunft in Kroatien nur noch schlafen. Aber die Betreuer mussten uns unbedingt noch Sicherheitsbestimmungen und Regeln mit auf den Weg geben und uns endlos Notfall- und Meldepunkte zeigen.“ Brechen Teilnehmer die Regeln, drohen Konsequenzen: Der Reiseleiter sucht das Gespräch, informiert die Eltern. Im Wiederholungsfall schickt er den Jugendlichen nach Hause.

Reise-Checkliste (für Eltern!)

  • Angebot & Infomaterial

    Ist das Angebot aussagekräftig und übersichtlich? Sind alle Nebenkosten aufgezählt? Gibt es Beratung auch nach der Buchung?

  • Erreichbarkeit

    Kann man die Reiseleiter zu festen Zeiten per Mail oder Telefon erreichen?

  • Anreise

    Begleiten Mitarbeiter die Anreise?
    Wie erfolgt der Transport?

  • Unterkunft & Verpflegung

    Größe der Mehrbettzimmer? Rückzugsmöglichkeiten vorhanden? Menüauswahl für Allergiker und heikle Esser?

  • Betreuung & Programm

    Stehen ausgebildete und erfahrene Betreuer rund um die Uhr zur Verfügung? Sind sie für sexuelle Gewalt, Alkohol und Drogen sensibilisiert? Entspricht das Programm den Erwartungen meines Kindes? Darf es mitbestimmen?

Damit ruf Reisen die Teens altersgerecht betreuen kann, nutzen die Teamer das Bändchensystem: Teilnehmer unter 16 Jahren tragen eine andere Farbe am Handgelenk als 16- bis 18-Jährige. „Beim Alkoholausschank richten wir uns nach dem deutschen Jugendschutzgesetz oder aber nach den strengeren rechtlichen Bestimmungen des Gastlands“, versichert Inga Hörttrich. Egal ob die Teens sportliche Angebote nutzen oder an Partys teilnehmen – die Reiseleiter sind immer dabei. Was viele Eltern allerdings nicht wissen: Wenn sie mit der Buchung die Aufsichtspflicht an die Betreuer übertragen, dürfen sich schon Jugendliche ab 16 Jahren mit Begleitung bis in die frühen Morgenstunden in öffentlichen Discos tummeln.

„Unverantwortlich!“, urteilt Sophie Schwarz, Mutter der 16-jährigen Amelie: „Wo mehrere Tausend Menschen die Tanzfläche teilen, können zwei bis drei Betreuer ihrer Aufsichtspflicht nicht mehr nachkommen.“ So erzählt Amelie heute noch stolz, wie sie dem Barkeeper trotz ihres Bändchens mehrere hochprozentige Cocktails abschwatzte. Immerhin: Die Betreuer sorgten dafür, dass auch der letzte Teilnehmer wohlbehalten zurück ins Hotel kam.

Ruf-Pressesprecherin Inga Hörttrich findet es normal, dass Betreuer die Heranwachsenden nicht immer im Blick haben: „Wir setzen Grenzen, in denen das Ausprobieren sicher stattfinden kann – ähnlich wie Eltern.“ Ein gute Jugendreise solle betreut, aber nicht bewacht sein. „Die Jugendlichen wollen und müssen ihre Freiheiten testen – das gehört zum Erwachsenwerden dazu.“



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