Schon ihr Name klingt bedrohlich: Todeslinien. Als wäre bei ihrem Überschreiten alles vorbei. Doch Deadlines sind besser als ihr Ruf. Vor allem helfen sie uns, Dinge wirklich anzupacken. „Wenn es keine Deadline gibt, werden Aufgaben eher aufgeschoben“, weiß Margarita Engberding aus ihrer Erfahrung zu berichten. Die Psychologin berät an der Universität Münster Studierende, die unter krankhaftem Aufschieben, der sogenannten Prokrastination, leiden. Nur wenn es eine Deadline gebe, rufe man sich die zeitliche Notwendigkeit von Aufgaben ins Bewusstsein.
Erst eine Frist lässt Schüler also über wichtige zeitbezogene Fragen nachdenken: Wie lange brauche ich für die Vorbereitung des Referats? Wie viele Tage, um den Stoff für die nächste Klausur zu lernen? Wann muss ich mit der Facharbeit anfangen?
Deadlines sorgen für das richtige Maß an Anspannung
Die unbequemen Antworten auf diese Fragen können natürlich ganz schön nervös machen. Doch eine gute Portion Stress kann nicht schaden. Denn unser Gehirn schüttet unter Anspannung bestimmte Botenstoffe wie Noradrenalin aus, die uns aufmerksam und konzentriert machen. Außerdem wirken sie sich auf unsere Wahrnehmung der Umwelt aus: Unwichtiges wird unterdrückt, Wichtiges betont.
Unter Druck spult das Gehirn nur Standardroutinen ab
Das erleichtert zum Beispiel die Entscheidung, beim Referat ein paar nebensächliche Unterpunkte wegzulassen, sich nicht zu verzetteln. Es kommt allerdings auf das richtige Stressmaß an. Denkt die Schülerin nur noch darüber nach, dass sie bei der Klausur durchfallen wird, lenkt das eher vom Lernen ab. Und Kreativität kann man unter Druck auch nicht erwarten. Das Gehirn ist dann nur noch auf das Bewältigen der Aufgabe fokussiert und spult Standardroutinen ab. Wichtig ist also, dass man rechtzeitig anfängt und nicht alles auf den letzten Drücker erledigt.
Deadlines verbessern das Zeitgefühl
Wann aber ist rechtzeitig? Auch bei der Beantwortung dieser Frage hilft eine Deadline, indem sie unsere Zeitwahrnehmung verändert. Denn Zeit können wir nicht messen, dafür haben wir kein Organ. Das führt dazu, dass uns unsere Zeitwahrnehmung manchmal seltsame Streiche spielt – etwa wenn wir in die Zukunft denken. Ähnlich, wie uns ein Berg beim Wandern umso höher erscheint, je müder wir sind, kommt uns die Zeit bis zu einem bestimmten Ereignis umso länger vor, je mehr wir bis dahin noch zu erledigen haben. Unser Verstand übersetzt einfach Aufwand in Zeit.
Gibt es eine konkrete Frist, kommt einem die Zeit kürzer vor
Es fühlt sich für Schüler also ausgerechnet dann so an, als wäre es bis zur nächsten Mathearbeit noch ewig hin, wenn sie noch viel lernen müssen – eher ungünstig. Gut, wenn es eine konkrete Deadline gibt. Denn die kehrt diesen Effekt um, wie die Psychologin Gabriela Jiga-Boy von der Swansea-Universität in Wales mit ihrem Team herausgefunden hat: „Gibt es eine konkrete Frist, kommt einem der Zeitraum bis zu einem Termin umso kürzer vor, je mehr man bis dahin noch zu erledigen hat.“
Die Deadline verzerrt unser Zeitempfinden also so, dass wir anstehenden Aufgaben genug Aufmerksamkeit schenken. Leider verschätzen wir uns trotzdem oft bei der Planung. Das liegt zum einen daran, dass uns die Zeit, die wir letztes Mal für eine ähnliche Arbeit gebraucht haben, in der Rückschau viel kürzer erscheint. Gerade Zeiträume, in denen wir wenig Neues und Aufregendes erlebt haben, etwa weil wir nur langweilig am Schreibtisch gesessen haben, schrumpfen in unserer Erinnerung zusammen. Hinzu kommt, dass wir unvorhergesehene Störungen und scheinbar Nebensächliches oft nicht einplanen.
Zwischen-Deadlines helfen bei größeren Aufgaben
Margarita Engberding empfiehlt daher, größere Aufgaben in einzelne Schritte zu unterteilen, diese zu notieren und sich mehrere Zwischendeadlines zu setzen. Zu jedem Arbeitsschritt sollten die Schüler sich fragen: Was will ich konkret schaffen und woran erkenne ich, dass ich mein Ziel erreicht habe?
Nur 50% des Pensums, das man sich vorgenommen hat, schafft man im Schnitt.
Bei der endgültigen Planung hilft dann die 50-Prozent-Regel: Man schafft in der vorgesehenen Zeit meist nur die Hälfte von dem, was man sich vorgenommen hat. „Rechnet man das mit ein, wird der Zeitplan realistischer“, sagt Engberding. Wie erfolgreich die Planung dann tatsächlich war, sollte man auf jeden Fall am Ende noch einmal überprüfen. Fürs nächste Mal.
Deadlines wirken am besten mit Uhrzeit
Lehrern empfiehlt Margarita Engberding klare Ansagen, wenn sie Deadlines setzen: „Wenn man sagt, dass eine Aufgabe bis zur nächsten Woche oder sogar erst bis zum Ende des Halbjahrs erledigt werden soll, verflüssigt sich die Notwendigkeit, sich heute oder morgen an die Arbeit zu machen.“
Besser sind feste Abgabetermine, womöglich sogar mit Uhrzeit. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Eigenmotivation der Schüler unter solch rigiden Vorgaben leidet. Hier kann es helfen, zusätzliche Möglichkeiten der Selbstbestimmung zu nutzen, wie Mark Burgess von der Universität in Liverpool mit Kollegen herausfand. Lehrkräfte können Lernende zum Beispiel dazu ermuntern, für sich selbst Zwischendeadlines zu setzen oder eine persönliche, etwas stringentere Frist festzulegen.
Eltern hingegen rät Engberding zum vorsichtigen Umgang mit Ultimaten. „Gerade bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 16 setzt man sich sonst schnell pubertären Widerständen und Trotzreaktionen aus.“ Besser ist es, Deadlines gemeinsam auszuhandeln und den Nachwuchs, solange er es mitmacht, beim Zeitmanagement zu unterstützen. So lernen die Schüler von Anfang an, sich zu fragen, wie lange sie für eine Arbeit brauchen werden, ihren Plan am Ende mit der Realität abzugleichen und die Deadline als das zu sehen was sie ist: ein Freund, der – wie jeder Freund – auch manchmal ganz schön nerven kann.
„Keine Angst vor Deadlines in der Schule“ – Foto: (c) wayhomestudio/freepik