Zum Beispiel Lotte: intelligent, tough, engagiert. Typ Karrierefrau. „Ach was, Karriere“, sagt Lotte und macht eine wegwerfende Handbewegung, „Karriere muss nicht sein. Außerdem habe ich zwei Kinder.“ Vor den Geburten war Lotte Abteilungsleiterin beim Fernsehen. Heute ist die mittlerweile 41-Jährige froh, als technische Redakteurin bei einem anderen Sender fest angestellt zu sein. Teilzeit, versteht sich.
Karriere muss nicht sein. Außerdem hab ich zwei KinderLotte, technische Redakteurin, München
Die Teilzeitstelle ermöglicht es der gebürtigen Bonnerin, Job, Haushalt, Kinder, Hund und Katze gut gelaunt unter einen Hut zu bringen. Mit einem Top-Job mit einer Wochenarbeitszeit von vermutlich deutlich mehr als 40 Stunden, mit Abendterminen und womöglich mit längeren Auslandsaufenthalten wäre das nicht möglich. Das Pensum eines Managers absolviert bereits der Gatte.
Typisch. Das Projekt Gleichberechtigung gerät ins Stocken, sobald die Anschaffung eines Windeltwisters ansteht. Dabei lassen Mädchen und junge Frauen ihre männlichen Kollegen erst einmal hinter sich. Sie sind ehrgeiziger in der Schule, starten qualifizierter in den Beruf, glänzen mit besseren Abi-Noten und Uni-Abschlüssen. Mit zunehmendem Alter jedoch lassen Frauen die Herren der Schöpfung an sich vorbeiziehen. Frauen promovieren seltener, machen entsprechend seltener eine akademische Karriere, schaffen es seltener in Führungspositionen, geschweige denn in Vorstandssessel.
Überhaupt gehen Frauen generell seltener irgendeiner Erwerbsarbeit nach: Während hierzulande 84 Prozent der Väter mit minderjährigen Kindern berufstätig sind, beziehen nur 60 Prozent der Mütter ein Gehalt. Oft allerdings nur ein kleines, denn 69 Prozent der Working Mums setzen auf Teilzeit (s. Seite 23). Anders, so geben überwältigende 81 Prozent an, könnten sie Familie und Beruf nicht in Einklang bringen. Der aktuelle Datenreport über die Lebenssituation von Männern und Frauen in Deutschland vom Statistischen Bundesamt bestätigt also eine banale Alltagserfahrung: Die großen Unterschiede bei der Berufstätigkeit von Männern und Frauen hängen vor allem mit der Betreuung von Kindern zusammen. Es sind eben nach wie vor die Mütter, die sich für die Familie zuständig fühlen.
Junge Frauen verkriechen sich in Idyllen und kochen Obst einAngelika Hager, Buchautorin
Wie Nicole. Sie erwartet im April ihr erstes Baby. Die werdende Mutter ist Spezialistin für Filteranlagen in Kraftwerken. In beruflicher Hinsicht hat Nicole ihren Mann schon mehrmals abgehängt: Sie hat früher promoviert, sie hat den spannenderen Job, sie verdient fast doppelt so viel. Und doch: Es ist Nicole, die daheim bleiben wird. Erst einmal. Und dann? „Mal sehen“, sagt Nicole, „vermutlich reduziere ich die Arbeitszeit.“ Mit den möglichen Konsequenzen will sich die 36-Jährige jetzt nicht auseinandersetzen. Nicole will sich erst mal „aufs Baby und meine neue Rolle als Mutter freuen“.
Recht hat sie. Womöglich leidet Nicole aber auch an „Schneewittchen-Fieber“? So nennt zumindest die Wiener Autorin Angelika Hager die neue Lust der Frauen, daheim zu bleiben und Zwergen wie Männern den Haushalt zu führen. Statt im Beruf Gas zu geben, „verkriechen sich junge Frauen in Idyllen und kochen Obst ein“, bedauert Hager. Vorsicht! Einer Frau, die sich vergegenwärtigt, dass bis zur ihrer Rente noch 30 oder mehr Berufsjahre vor ihr liegen, „wird schnell klar, dass sie ihren beruflichen Werdegang nicht vernachlässigen sollte“, sagt Business-Coach Monika Wegat (s. Interview, nächste Seite).
Lotte, die technische Redakteurin, kocht überhaupt nicht gern Obst ein. Außerdem ist sie nur zu beneiden. Sie hat einen tollen Job und kann sich trotzdem nachmittags entspannt um die Kinder kümmern. Was im Einzelfall die perfekte Lösung bedeuten mag, kann insgesamt betrachtet trotzdem unbefriedigend sein. So gelten Frauen und ganz besonders Mütter als besonders anfällig für ein Phänomen, welches Wirtschaftsexperten als „financial illiteracy“, finanziellen Analphabetismus also, bezeichnen. Der Begriff steht für das Unvermögen, sich selbst ein (kleines) Vermögen zu erwirtschaften.
Kein Wunder: Zwar gehen immer mehr Frauen einer Arbeit nach, aber es springt noch zu wenig dabei heraus. Im Schnitt verdient eine Frau hierzulande 22 Prozent weniger als ein Mann. Damit ist das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in Deutschland so groß wie in keinem anderen Land in Europa.
Werden die Fähigkeiten von Frauen, verglichen mit denen ihrer männlichen Kollegen, gewohnheitsmäßig unterschätzt? Zumindest erklimmen die Damen bei gleicher Leistung langsamer die Karriereleiter. Hinzu kommt, dass Frauen ihre berufliche Laufbahn häufiger als Männer freiwillig wegen der Kinder oder der Pflege der Eltern unterbrechen – und seltener in einen Vollzeitjob zurückkehren. Der Dienst an der Familie wird in pekuniärer Hinsicht zum Verlustgeschäft: Wer Teilzeit arbeitet, verdient nicht nur zwangsläufig wegen der reduzierten Wochenarbeitszeit weniger, sondern muss auch beim Stundenlohn häufig Abstriche hinnehmen. Die Europäische Kommission urteilt unmissverständlich: „Über die gesamte Lebenszeit betrachtet, führen geringerer Stundenlohn und weniger bezahlte Arbeitsstunden bei Frauen zu niedrigeren Renten. Das hat zur Folge, dass mehr Frauen als Männer im Alter an Armut leiden.“
Wie schrecklich wahr das ist, hat Bettina Bäumlisberger in der Verwandtschaft und dem Bekanntenkreis miterlebt. Auch aus diesem Grund hat sie ihre Arbeitszeit nie reduziert. Der Erfolg gibt ihr Recht: Nach den harten Jahren als Zweischicht-Arbeiterin – alleinerziehende Mutter und politische Redakteurin mit regelmäßigen Nachtdiensten – leitet sie heute den „Münchner Merkur“. Auch der Tochter, sie macht dieses Jahr ihr Abitur, geht es blendend. Wie das alles zu schaffen war? „Man muss ein paar Jahre bereit sein, sehr viel Geld für qualifizierte Kinderbetreuung auszugeben“, sagt Bettina, „anders geht’s kaum.“ Stimmt. Wenn man nicht absolut sicher ist, dass die Kinder in wirklich guten Händen sind, kann man es vergessen. Das schlechte Gewissen erstickt jedes Erfolgsstreben. Und sonst? „Man braucht einen langen Atem“, sagt die 54-jährige Chefredakteurin, „und muss einiges wegstecken können.“
Auch wahr. Der rote Teppich wird Müttern selten ausgerollt, schon gar nicht, wenn sie nach langen Erziehungszeiten mit vielen Selbstzweifeln in eine Arbeitswelt zurückkehren, in der man mit der Bedienungsanleitung für den neuen Drucker locker jemanden erschlagen könnte. Selbst flotte Wiedereinsteigerinnen müssen manche Schlappe verkraften: Der schöne Fens-terplatz ist belegt, dem Vorstand assistiert eine Jüngere, die spannendsten Projekte bekommt der Kollege.
Trotzdem, nichts ist unmöglich. Selbstverständlich können auch Mütter Karriere machen. Sheryl Sandberg etwa, millionenschwere Frontfrau von Facebook, hat es unzweifelhaft geschafft. Bei ihren Auftritten erzählt sie schon mal, wie sie während einer Telefonkonferenz Milch für den Nachwuchs abpumpte. Nur Ursula von der Leyen toppt die Sandberg noch. Auch die siebenfache Mutter steuert ihr Leben selbstbewusst zwischen Konferenz und Küchentisch und bringt es zudem fertig, bei einem Besuch der Eliteeinheit KSK locker mit einem Fallschirm aus dem Heli zu hüpfen. Einfach so. Zum Vergnügen womöglich oder vielleicht, weil sich ihre Vorgänger das nicht getraut haben.
4 von 5 Frauen in Frankreich mit Kindern unter fünf Jahren arbeiten wie vor der Geburt, also Vollzeit
Die beiden Powerfrauen taugen dennoch nicht zum „Role-Model“, weil den meisten Durchschnittsfrauen die schier übermenschliche Energie fehlt und sie sich vielmehr mit der Frage quälen, ob das wirklich funktioniert: beruflich erfolgreich und gleichzeitig eine gute Mutter zu sein, womöglich gar von mehreren Kindern.
„Bien sûr“, aber ja, lautet die Antwort aus Frankreich. In unserem Nachbarland arbeiten vier von fünf Französinnen mit Kindern unter fünf Jahren wie vor der Geburt, also Vollzeit. Allerdings, so hat die in Nizza lebende Journalistin Annika Joeres festgestellt, trimme der Staat Mütter auch darauf, möglichst schnell wieder zu malochen. Die Ruhepause nach der Geburt beträgt gerade zehn Wochen.
Bei uns dagegen fehlen nicht nur Krippenplätze. Finanzielle Vorteile für Eltern sind oft an das Nichtarbeiten geknüpft. So unterstützt beispielsweise das Ehegattensplitting klar das alte Modell des männlichen Ernährers. Für viele Familien lohnt es zunächst kaum, dass sich Vater und Mutter gleichermaßen abstrampeln. Wer (überwiegend) daheim bliebt, muss allerdings damit rechnen, dass er den Haushalt für alle Ewigkeit an der Backe hat. Außerdem wird die Quittung später präsentiert: So bekommt, wer 14 Jahre in Teilzeit tätig ist, lediglich 64 Prozent der Rente seines voll berufstätigen Partners.
6 nützliche Netzwerke für Mütter
Verband berufstätiger Mütter
Kontakte, Infos und der kluge Leitfaden „Das Dschungelbuch“: www.berufstaetige-muetter.deWorking Moms
Junges Karriere-Netzwerk mit Regionalgruppen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München: www.workingmoms.deConnecta
Berufsübergreifendes, bundesweit aktives Frauen-Netzwerk. Connecta-Frauen unterstützen sich gegenseitig durch Erfahrungsaustausch: www.frauennetzwerk-connecta.deEuropäische Akademie für
Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF)
Mentoring-Programme, Workshops und Karriereberatung für Absolventinnen, Jobeinsteigerinnen und Frauen in Führungspositionen: www.eaf-berlin.deGenderdax
Info-Plattform für Frauen als Fach- und Führungskräfte. Auf der Website präsentieren sich Unternehmen, die hochqualifizierte Frauen gezielt fördern:
www.genderdax.deKlüngelliste
Noch nicht das richtige dabei? Ein umfassendes Verzeichnis von Frauen-Netzwerken: www.frauen-kluengeln.de/kluengelservice/frauen-netzwerke.htm
Fazit? Frauen sind, was ihre beruflichen Ambitionen betrifft, oft zu bescheiden. Lotte hat recht, es muss ja nicht gleich die große Karriere sein. Andererseits sollten Mütter nach der Babypause ihre Ziele auch nicht zu klein stecken. Sätze wie „Ach, ich will nur wieder reinkommen“ oder „Hauptsache, ich verdiene ein bisschen was dazu“ sind okay, aber nur, wenn man jeden beruflichen Ehrgeiz hat fahren lassen. Allen anderen sei geraten, ein bisschen größer zu denken – und vor allem egoistischer. Hallo, liebe Papas: Arbeit auf Teilzeitbasis ist familienfreundlich – und nicht nur Müttern vorbehalten! Mit einem Halbtagsjob sind Karrierepläne kaum zu vereinbaren, mit zwei 80-Prozent-Stellen dagegen haben beide Elternteile Chancen.
BUCH-TIPPS
„Schneewittchen-Fieber. Warum der Feminismus auf die Schnauze gefallen ist und uns das Retro-Weibchen beschert hat“. Von Angelika Hager, Verlag K & S, Preis: 22,90 Euro
„Vive la famille. Was wir von den Franzosen übers Familienglück lernen können“. Von Annika Joeres, Herder Verlag, Preis: 16,99 Euro
Noch zeigen sich nicht alle Arbeitgeber begeistert, wenn Eltern in Führungspostionen Teilzeitmodelle nachfragen, aber Coach Monika Wegat macht Mut. Sie sagt, dass viele Firmen mittlerweile durchaus bereit sind, deutliche Zugeständnisse zu machen. Und kann nicht dank Smartphone und Tablet heute sowieso jeder von überall arbeiten? Eben.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbst ehrgeizige Mütter dürfen getrost auch mal ein paar Jährchen unter ihren Möglichkeiten bleiben – gelassen, aber wachsam! Wenn sich aber eine günstige Gelegenheit für einen tollen Spurt bietet, muss man auf dem Posten sein und vernehmlich „ICH“ schreien. Nicht nur in der Firma übrigens. Auch die Lieben daheim brauchen ein deutliches Signal, um zu kapieren: Hoppla, Mama startet jetzt durch.