Denken & Diskutieren

Ich bin aber noch nicht müde!

Wie schafft man es, Teenager abends endlich in die Federn zu befördern – ohne Streit? Und wie bekommt man sie morgens rechtzeitig aus den Kissen? Mit klaren Absprachen und ein paar kleinen Tricks


Was war das für ein Luxus! Der Tag konnte noch so vollgestopft mit Job, Haushalt und Terminen sein, um 20 Uhr – das wussten wir – kehrte Ruhe ein. Nach dem Abendbrot noch mal durchhalten (Schultasche packen, ach, Hausaufgaben vergessen, schnell nachholen, kurz mal wegen irgendetwas streiten, wo sind eigentlich die Sportschuhe für morgen?), dann das erlösende Ritual: Zähne putzen, Geschichte vorlesen oder auf den Hörspielknopf drücken, Gutenachtkuss, „Schlaf gut, mein Schatz!“, leise die Kinderzimmertür ranziehen und: wahlweise innerlich Konfetti schmeißen, durchatmen oder zusammensacken. Geschafft!

Acht Uhr, eine magische Grenze für Kinder besitzende Erwachsene – zwei Stunden Feierabend (wer gut ist, schafft auch drei), Zeit zu zweit, für einen Spielfilm oder ein gutes Buch. Egal, Hauptsache, Ruhe im Karton.

Und so traf es uns wie die Vertreibung aus dem Paradies, als unser ältester Sohn mit elf Jahren postulierte, um acht gingen echt nur Babys ins Bett – er würde ab sofort länger wachbleiben wollen. „Wie, länger?“, stotterte mein Mann in einem spontanen Panikanfall. Die Aussicht auf den Verlust der magischen Abendgrenze (8 Uhr: Zapfenstreich!) erfüllte uns mit Sorge. Wir lieben unsere Kinder – aber eine der Grundbedingungen dafür sind auch regelmäßige Regenerationszeiten. Sollten die mit Beginn der Pubertät etwa verloren gehen?

 

Warum sind Jugendliche immer müde?

Mit dem Anfluten der Hormone verändert sich viel im Körper der Jugendlichen. „Auch das Zeitempfinden verlagert sich“, erklärt Erziehungsberater und Autor Jan-Uwe Rogge. Der Biorhythmus, der über Jahre mehr oder weniger konstant war, verschiebt sich nun ein bis zwei Stunden nach hinten. „Es ist also ganz normal, dass Teenager abends länger wach sind und morgens nicht aus dem Bett kommen“, erklärt Rogge. Er versteht, dass Eltern von den neuen Wach- bzw. Schlafgewohnheiten genervt sind, sagt aber: „Es ist wichtig zu begreifen, dass Kinder sich nicht mit Absicht anders verhalten, die können einfach nicht anders.“ Das kann ich nur bestätigen: Jahrelang konnte ich die Uhr danach stellen, dass mein Sohn spätestens um 6.30 Uhr glockenwach vor unserem Bett stand und uns Legosteine oder Bilderbücher zwischen die Kissen warf, heute, mit mittlerweile 14 Jahren, tappt er am Wochenende frühestens gegen 10 Uhr schlaftrunken und muffelig in die Küche. Und am Abend macht er regelmäßig den Eindruck, noch Bäume fällen zu können, während ich mir schon die Augen reibe. Verkehrte Welt!

 

Abendgestaltung mit Grenzen

Dass sich Dinge ständig verändern – gut, das ist man ja irgendwie gewohnt. Aber ganz ehrlich: Die Sache mit dem verlorenen Abend tut schon weh. „Eltern sollten sich davon nicht zu sehr einschränken lassen“, sagt Rogge. Wer abends allein auf dem Sofa sitzen möchte, kann dieses Recht bei seinem Nachwuchs einfordern. Doch das fällt vielen Eltern schwer, denn auf dem Wohnzimmersofa herrscht eine gefühlte Demokratie mit freier Platzwahl für alle. Rogge winkt ab: „Es ist in Ordnung, das Kind am Abend auf sein Zimmer zu schicken, wenn man Ruhe haben will.“ In einer Lebensgemeinschaft – so erklärt der Familienexperte – gehöre es nämlich auch dazu, die Bedürfnisse der anderen zu respektieren. „Eltern, die ihren Feierabend pflegen möchten, sollten deshalb klare Grenzen setzen.“ Eine gute Lösung sind zum Beispiel Wochen- und Wochenendregelungen: Unter der Woche ist um halb neun Abflug ins Zimmer mit Beschäftigung bis zehn Uhr (dann selbstständig Licht aus), am Wochenende gibt es gemeinsame lange Abende. Alternativ kann auch spontan entschieden werden, wie die jeweiligen Bedürfnisse am Abend sind – aber Vorsicht, hier gibt es Diskussionsgefahr! Jugendliche, die das Feierabendbedürfnis der Eltern ignorieren oder nicht akzeptieren wollen, testen laut Rogge Grenzen aus: „Die versuchen, sich noch mehr Freiräume rauszuholen.“ Eltern müssten dann im Zweifel aushalten, sich auch mal unbeliebt zu machen. „Das gehört dazu, wenn man Grenzen setzen möchte.“

 

Wenn Besuch kommt, vorher absprechen

So vermeiden Sie Streit

  • Treffen Sie mit Ihrem Kind Vereinbarungen über die Abendgestaltung. Teenager sollten verstehen, dass auch Eltern ein Recht auf Rückzug haben – und ihnen in der Regel kein eigenes Zimmer dafür zur Verfügung steht.

  • Achten Sie auf die Balance zwischen Rückzug und gemeinsamer Zeit. Ein Familien-Spiele- oder -Filmabend pro Woche macht es leichter, daneben auch mal stille Abende zu fordern.

  • Machen Sie Kompromisse. Nicht um 20, sondern um 21 Uhr ist Schluss – so eine Vereinbarung verschiebt die Grenze zwar nach hinten, sorgt aber auch für Verbindlichkeiten.

  • Sorgen Sie für Rückzugsräume außerhalb der eigenen Familie.
    Ein Kinobesuch mit der Freundin oder ein Abendspaziergang hilft abzuschalten. Auch wenn zu Hause noch Tohuwabohu herrscht.

  • Fühlt sich Ihr Kind in seinem Zimmer wohl? Helfen Sie dabei, den Raum gemütlich und ansprechend zu gestalten.

Geburts- und Feiertage werden – na klar – im Kreis der Familie gefeiert. Ins Bett muss, wer noch nicht alt genug oder müde ist. Etwas anders verhält es sich, wenn Eltern Besuch haben, z. B. Freunde oder Kollegen vorbei- kommen und man sich einen gemütlichen Abend machen will. Für Kinder und Jugendliche sind diese „Erwachsenenrunden“ oft mit einer großen Faszination verbunden, denn es gibt spannende Gespräche. Doch für Eltern – und den Besuch selbst auch – ist es oft nicht das Gelbe vom Ei, wenn die ganze Zeit Kinderohren lauschen. So manches Thema fällt dabei automatisch unter den Tisch, denn wer spricht schon offen über Beziehungsprobleme, Sehnsüchte, Ängste oder Sorgen, wenn die Kinder live mitschneiden? Ich bin zum Beispiel regelmäßig genervt, wenn bei einer meiner Freundinnen auch am späten Abend noch die Kinder unterm Küchentisch rumturnen. Sie findet es süß, ich einfach nur anstrengend. Habe ich nicht ein Recht auf ungestörte Freundschaftsbeziehungen? „Absolut“, sagt Rogge und empfiehlt Eltern, schon einen Tag, bevor der Besuch ansteht, mit dem Kind Vereinbarungen zu treffen. „Es ist in Ordnung, wenn die Kinder noch eine Zeit dabei sein dürfen, zum Beispiel beim Essen, dann aber wissen, wann Schluss ist.“ Die Absprache im Vorfeld beugt dem Risiko von Diskussionen und Verletzungen vor. Für das Kind selbst ist es nämlich durchaus eleganter, vermeintlich freiwillig von der Bildfläche zu verschwinden, als von den Eltern hinauskomplimentiert oder schließlich des Zimmers verwiesen zu werden. Dass Kinder sich über solche „Ausschlüsse“ beschweren, sei normal, sagt Rogge: „Aber dann muss man ihnen eben klarmachen, dass man ja auch nicht ständig danebensitzt, wenn ihre Freunde da sind.“ Wer selbst zu Besuch bei anderen Familien ist, kann – falls erforderlich – auch schon im Vorfeld durchklingen lassen, dass man sich auf die Kinder, aber auch auf den Abend „unter Großen“ freut.

 

Immer Ärger mit den Eulen

Logisch: Wer abends nicht in die Kissen kommt, will morgens nicht raus. Und schon entsteht das nächste Spannungsfeld. Gerade am Wochenende, wenn gemeinsame Ausflüge geplant sind, ist es nervig, wenn der Teenie nicht in die Socken kommt. „Wenn es Eltern wichtig ist, dass Sohn oder Tochter mitkommen, müssen sie das klar und deutlich einfordern“, sagt Rogge. Am besten einen Tag vorher – sonst besteht die Gefahr, dass die Absprache wieder vergessen wird. Dann gilt es, konsequent zu bleiben. Rogge warnt davor, maulende Teenager einfach liegen zu lassen. „Was besprochen ist, gilt.“ Im Gegenzug sollten Eltern aber auch Freiräume zulassen und akzeptieren, dass der Nachwuchs manchmal einfach keine Lust hat. Für meinen Mann und mich kein Problem: Wir lassen die Eulen einfach schlafen und genießen den Freiraum, den uns das pubertäre Langschläfertum schenkt. Jetzt werfen wir eben Konfetti bei Brötchen und Kaffee.



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