Henning May, als Mutter oder Vater fragt man sich schon manchmal, warum man sich den Stress mit den Kindern eigentlich antut. Ganz ehrlich: Alle, denen ich euren Song „Oft gefragt“ vorgespielt habe, wussten sofort wieder, warum.
Danke, das ist sehr nett.
Und alle Frauen fühlten sich sofort als Mutter angesprochen. Dabei handelt das Lied gar nicht von deiner Mutter, oder?
Nein, von meinem Vater. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch sehr jung war. Danach hat mein Vater mich und meinen älteren Bruder sozusagen alleine aufgezogen. Die meiste Zeit habe ich aber allein mit meinem Vater gewohnt, weil mein Bruder recht bald ausgezogen ist.
Alleinerziehende Väter sind ja eher ungewöhnlich. Hast du eure Familie als besonders empfunden?
Nein, das war für mich kein Thema. Als Kind nimmt man ja alles als normal wahr. Andere Kinder wohnten bei ihrer Mutter, ich eben bei meinem Vater.
Als Jugendlicher braucht man jemanden, an dem man sich reiben kannHenning May
Wenn man dein Lied hört, war es nicht immer harmonisch zwischen euch.
Nein, und deshalb wollte ich mit dem Lied ein paar Missverständnisse aus dem Weg räumen. Mein Vater und ich haben echt sehr lange sehr viel Stress gehabt. Vor allem als ich 14, 15 war, haben wir uns nur gestritten. Aber das war wichtig. Ich glaube, als Jugendlicher braucht man jemanden, an dem man sich reiben kann. Und jetzt, nach dem Abi, ist alles von uns abgefallen, das hat sich völlig ins Positive gedreht.
Was waren denn die Streitpunkte damals?
Ach, oft Kleinigkeiten. Bei mir war‘s zum Beispiel immer ein bisschen chaotisch, das ging wahrscheinlich gar nicht anders in der kleinen Wohnung. Aber mein Vater hätte es lieber aufgeräumter gehabt. Und ich habe echt viel geschwänzt in der Zeit.
Das ist natürlich schlecht.
Ja, und mein Vater ist Lehrer! Irgendwann hat er mich sogar wieder jeden Tag zur Schule gefahren, damit ich wirklich ankomme. Das war zwar komisch aber es hat mir den entscheidenden Schubs gegeben, zu sehen, wie wichtig Schule für meinen Vater war.
Wie war denn euer Verhältnis vorher? Auch schon so schwierig?
Nein, als Kind habe ich meinen Vater bewundert. Ich wollte unbedingt auch Lehrer werden, und ich habe bis heute viele seiner Leidenschaften adaptiert – für Fußball etwa oder für Bücher. Aber später führt das auch zu Konflikten, wenn man es als Druck verspürt, bewundern zu müssen. Irgendwann fängt man an, zu hinterfragen und das auch offen zu zeigen. Für meinen Vater war es schon schwierig, dass ich plötzlich als Gegner auftrat.
Er ist für mich immer noch eine Instanz, an deren Meinung ich mich messen kannHenning May
Wie ist das jetzt?
Viel besser. Mein Vater akzeptiert mich heute eher als Erwachsenen. So lasse ich mir sogar mehr von ihm sagen, weil es ein Gespräch auf Augenhöhe ist. Seine Meinung kommt nicht mehr so von oben herab.
Und was ist mit den Dingen, die du an ihm bewundert hast?
Das sind jetzt andere. Zum Beispiel bewundere ich heute seine Disziplin, mit der er das alles – seinen Job und uns Kinder – unter einen Hut gebracht hat. Politisch ist er für mich ein Vorbild, weil er konsequent lebt und gute Argumente hat. Er ist für mich immer noch eine Instanz, an deren Meinung ich mich messen kann. Eine Inspiration.
„Du bist zu Hause“ ist eine zentrale Zeile in deinem Song. Was bedeutet zu Hause für dich?
Unbedingte Liebe. Das hat mir mein Vater so deutlich gemacht, dass ich es nie infrage gestellt habe: Egal, was ich für einen Scheiß mache, auf seine Liebe kann ich mich verlassen. Das hat mir eine unglaubliche Sicherheit gegeben. Andere Eltern hatten mehr Schwierigkeiten, ihren Kindern das zu zeigen. Heimat ist für mich etwas Unverrückbares, etwas, das mir Stabilität gibt.
Kannst du dir eigentlich vorstellen, selbst Kinder zu haben?
Ja, auf jeden Fall! Ich verstehe gar nicht, wie man das nicht wollen kann. Man lernt sein ganzes Leben, dann will man das doch auch weitergeben! Natürlich sind Kinder ein unfassbarer Stress, aber wenn ich mir vorstelle, dass mein Sohn mir mit Mitte 20 ein Bild malt, so wie ich meinem Vater einen Song geschrieben habe, dann finde ich das jetzt schon rührend.
Würdest du etwas bewusst anders machen als dein Vater?
Ja. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber manchmal trennen sich Eltern einfach zu spät. Ich denke, man kann auch in so einer Situation ehrlich gegenüber seinem Kind sein und sollte ihm keine Illusionen machen. Mein Vater hat sich viel zu sehr beschränkt, um uns gutzutun. Nur ihm selbst ging es dabei schlecht. Kinder möchten aber, dass es ihren Eltern gutgeht, und sie spüren, wenn es nicht so ist. Da möchte ich später besser auf mich selber achten.
Eine erste Version des Interviews „Henning May: Vater, Liebe, Heimat“ ist am 27.07.2016 erschienen. Das Veröffentlichungsdatum oben zeigt die letzte Aktualisierung. Foto: Fabien J. Raclet