Buntstifte, Bleistifte, Tusche, Lineal . . . Der Schulbeginn geht normalerweise mit einer langen Einkaufsliste einher. Im schwedischen Sollentuna, einem Vorort von Stockholm, müssen Eltern zumindest das wichtigste und teuerste Arbeitsutensil ihrer Kinder nicht selbst besorgen: Die iPads, die dort jedes Kind zur Einschulung erhält, werden von der Schule gestellt. Statt mit Bleistift und Füller lernen die Erstklässler in Sollentuna seit zwei Jahren auf den Tablet-Computern zu schreiben, erst in der zweiten Klasse üben sie dann auf Papier. So sollen die Kinder möglichst früh an technische Werkzeuge herangeführt werden, die den Alltag der Gesellschaft prägen. Die Resonanz von Lehrern, Schülern und auch Eltern ist bislang überwiegend positiv.
Ähnliche Projekte finden sich beispielsweise in den Niederlanden und der Schweiz, und auch in Deutschland gibt es inzwischen sogenannte Tablet-Klassen, wenn auch zumeist in höheren Stufen. In den USA hingegen satteln immer mehr Grundschulen auf rein computergestütztes Schreibenlernen um. Seit vergangenem Jahr ist in 45 Bundesstaaten zudem das Erlernen einer kursiven Schreibschrift nicht mehr Teil des Curriculums; Word und Windows sind hingegen Pflichtprogramm. Ist das die Zukunft – der Abschied von Block und Bleistift?
Wünschenswert wäre das nicht, meinen viele Experten. Aktuelle Studien zeigen, dass das von Hand geschriebene Wort nach wie vor dem getippten überlegen bleibt. Eine Wissenschaftlerin der Indiana University etwa verglich Gehirnaktivitäten von Kindern, die entweder selbst schrieben und oder aber anderen Kindern beim Schreiben zusahen. Das eindeutige Ergebnis: Nur bei Kindern, die selbst Buchstaben malten, also nicht nur ihr visuelles, sondern auch ihr motorisches Gedächtnis trainierten, wurden die entsprechenden Gehirnregionen aktiviert. Das Tippen von Buchstaben reicht für dieses Ergebnis nicht aus.
Schreiben Kinder per Hand, verfassen sie mehr Wörter und drücken mehr Ideen aus.US-Studie, Universität Washington
Zu ähnlichen Erkenntnissen kam auch eine Studie der Universität Washington. Eine Psychologin begleitete eine Gruppe Schüler von der zweiten bis zur fünften Klasse. Dabei zeigte sich, dass das Schreiben in Druckschrift, Schreibschrift oder Computerschrift jeweils mit verschiedenen Mustern von Gehirnaktivitäten einherging – und mit unterschiedlichen Resultaten. Wenn die Kinder per Hand schrieben, waren sie schneller als beim Tippen, verfassten mehr Wörter und drückten mehr Ideen aus.
Auch das Erinnerungsvermögen ist eng an die handschriftliche Produktion von Text gebunden. Wer im Unterricht oder später in der Vorlesung am Computer mitschreibt, kann sich deutlich schlechter an die Inhalte erinnern als jemand, der sich handschriftliche Notizen macht. Zu diesem Ergebnis kam eine aktuelle Studie zweier Psychologen aus Los Angeles und Princeton. Die beiden US-Forscher vermuten, dass das handschriftliche Schreiben zum Reflektieren und Paraphrasieren zwingt, wodurch die Inhalte besser und tiefer im Gedächtnis bleiben.
Den Sinn des Lehrens und Lernens von Handschrift auch in der Zukunft bestätigen solche Studien zwar – andererseits sind Computer, Smartphones und Tablets unbestreitbar zu einem festen Teil unseres Alltags geworden. Warum sich die Mühe machen und verkrampfte Finger riskieren, wenn es mit Wischen und Tippen scheinbar so viel leichter geht? Um die gute alte Handschrift attraktiver zu machen und der modernen Entwicklung Rechnung zu tragen, haben Schreibgerätehersteller längst reagiert. Das deutsche Unternehmen Lamy etwa hat gerade den Schreiblernstift „abc digi“ entwickelt. Mit ihm können Kinder auf dem Smartphone oder auf dem iPad spielerisch Buchstaben und eine gute Stifthaltung üben. „Mit der Hand zu schreiben fördert die Entwicklung des Kindes“, davon ist Beate Oblau von Lamy überzeugt, „und es macht einfach glücklich.“
Überhaupt sind viele Stifte heute wahre Multitalente. So können sich manche Kugelschreiber merken, was sie geschrieben haben. Über eine Infrarotkamera in der Stiftspitze und speziell bedruckte Blöcke kann so Handschriftliches digitalisiert werden. Noch kosten Smartpens wie der „Livescribe“ rund 150 Euro und damit deutlich mehr als ein traditioneller Kugelschreiber. Dafür können die Stifte auch Audios aufzeichnen, etwa, wenn man beim Mitschreiben mal nicht mitkommt oder sich eine Erklärung aus dem Unterricht später noch einmal anhören will.
Schreiben lernen heute
Wissen zusammenführen: Experten unterschiedlicher Disziplinen diskutierten beim Forum „Schreiben lernen heute“ von Lamy und dem Magazin SCHULE ONLINE über die Zukunft der Handschrift. Fragen, Erkenntnisse und Streitpunkte daraus setzen wir in dieser Serie um. Den ersten Teil lesen Sie hier. Mehr zum Forum „Schreiben lernen heute“ finden Sie auf der Website von Lamy.
Noch einen Schritt weiter geht der Stift, den ein Münchner Start-up entwickelt hat und der weltweit für Aufsehen sorgte: Der „VibeWrite“ vibriert, wenn er einen Rechtschreibfehler entdeckt, den der Schreiber macht. Nach Ansicht der Hersteller eignet sich der Stift besonders gut für den Einsatz an Schulen, weil Lehrer mithilfe zusätzlicher Apps auch Statistiken über die Lernfortschritte ihrer Schüler erhalten können. Erste Tests an insgesamt zehn Schulen in Europa laufen bereits. Im Herbst soll der Stift für knapp 100 Euro im Handel erhältlich sein.
Wenn es nach Herstellern wie Sony geht, wird auch Papier in Zukunft multifunktional sein. Der japanische Elektronikkonzern hat im Mai einen E-Reader herausgebracht, der fast DIN-A4-Größe hat. Knapp 800 Euro soll das „Digital Paper“ kosten, das vor allem für den Bildungsbereich konzipiert ist. Der Reader bietet Platz für fast 3000 PDF-Dateien, also einen Großteil der Texte, die man im Lauf der Schul- oder Unizeit liest und schreibt. Auch diese Technologie bindet die klassische Handschrift ein: Mit einem Bedienstift können Texte verfasst, kommentiert und markiert werden.
Wie groß das Interesse an der Handschrift auch heute noch ist, zeigen ausgerechnet die neuen Medien, z. B. Apps, mit denen sich alte und neue Welt kombinieren lassen: Die Programme machen es etwa möglich, dass iPad-Nutzer ihre Dokumente per Hand verfassen können. Viele Apps bieten auch eine zusätzliche Schrifterkennungsoption, mit der das Geschriebene in gedruckten Text umgewandelt werden kann – zumindest, solange die Handschrift halbwegs lesbar ist.
Ende der Serie. Teil 1 und 2 lesen Sie in den Ausgaben 2/15 und 3/15 unseres Online Magazins SCHULE.