Denken & Diskutieren

Fit für die Berufswelt der Zukunft

"Flexibilität" sei essentiell in der Berufswelt der Zukunft, ist Technologiexperte Ludwig Siegele überzeugt. Im zweiten Teil unserer Serie betrachten wir unterschiedliche Bereiche unseres Lebens und wie die digitale Revolution dort Einfluss nehmen wird.


Herr Siegele, als Technologie-Experte reisen Sie oft ins Silicon Valley und erleben die digitale Revolution hautnah. Wie werden sich neue Technologien auf die künftige Welt unserer Kinder auswirken?
Das ist nur schwer abzuschätzen. Google investiert beispielsweise gerade Millionen in Magic Leap, ein Unternehmen, das Bildschirme ersetzen soll, indem Bilder direkt in die Augen projiziert werden. Technologie entwickelt sich in alle möglichen Richtungen, es gibt extrem viel Neues und Überraschendes. Wichtig ist, dass wir unsere Kinder darauf vorbereiten, bewusst damit umzugehen, dass sie neue Technologien nutzen, ohne sie gleich unkritisch zu umarmen.
Mein 14-jähriger Sohn komponiert beispielsweise Musik am Computer. Er ist darin sehr gut, und es macht ihm Spaß, aber er spielt auch Spiele, die ich nicht so gut finde. Das ist dann ein ständiges Verhandeln von Grenzen. Die in Deutschland weit verbreitete Einstellung, man müsse sein Kind beschützen vor der Technologie, das halte ich für falsch. Wenn die Kinder die neuen Werkzeuge nutzen können, dann ist das doch eine Riesenchance.

VITA

  • Ludwig Siegele
    arbeitet als Technologie-
    Redakteur für „The
    Economist“. Er lebt in
    London mit seiner Frau und zwei Kindern.

Was brauchen unsere Kinder noch für den Arbeitsmarkt der Zukunft?
Flexibilität! Wichtig ist, den Kindern die Fähigkeiten an die Hand zu geben, sich in einer sehr schnell wandelnden Berufswelt neu erfinden zu können, wenn ihr alter Job obsolet geworden ist. Und das wird schnell passieren. Es wird relativ schnell neue Berufsfelder geben, die werden dann aber auch wieder verschwinden.
Zudem werden viele von den heutigen Kindern später in Start-ups arbeiten, die ein Unternehmen oder einen Service aufbauen, der dann in den meisten Fällen auch verkauft wird. Das heißt aber, unter einem gewissen Risiko zu arbeiten. Die Sicherheit eines festen Jobs bei einem Riesenunternehmen wie Daimler fällt dann weg.

 

 

Chancen und Risiken: Wie beeinflußt die digitale Revolution die Berufe in der Zukunft?

Die digitale Revolution hat das Potenzial, jeden Bereich unseres Lebens tiefgreifend zu verändern. Zahlreiche weitere Branchen profitieren von dieser Schlüsseltechnologie. Allgegenwärtige Vernetzung, billige Rechenleistung und Fortschritte in der Robotik treiben die Innovation auch in anderen Bereichen voran, von Medizin, Bio-
technologie und Neurowissenschaften über die Energieversorgung bis hin zu Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz.

Sinnvoll genutzt, verspricht diese Entwicklung einen enormen Zuwachs an Wohlstand und Lebensqualität.  Die Nebenwirkung: Manche Berufe werden aussterben. Neue werden entstehen. Sichere Jobs, die ein Arbeitsleben lang andauern, werden eher die Ausnahme sein. Was können wir unseren Kindern jetzt mitgeben, damit sie für die neuen Herausforderungen gewappnet sind – und eine zukunftssichere Berufswahl treffen?

 

BIOTECH UND MEDIZIN

Trotz vieler Fortschritte in genomischer Medizin und Bioinformatik sind Krebs, Alzheimer oder AIDS nach wie vor unheilbar, gegen das Älterwerden ist (noch) kein Kraut gewachsen, und globale Epidemien nehmen zu. Hoffnungsvolle Zukunftsszenarien: Sensoren messen Körperfunktionen, Nanobots zerstören Krebsvorstufen, Gewebetechnologie ersetzt gealterte Organe, und Erbkrankheiten lassen sich mittels Gentherapie heilen.

  • CHANCEN
    Bisher ging der biomedizinische Fortschritt von streng abgeschotteten Labors großer Pharmakonzerne oder Forschungseinrichtungen aus. Doch eine wachsende Do-it-yourself-Biotech-Szene könnte eine fruchtbare Start-up-Gemeinde etablieren, die dank privater Finanzierung neue Therapien und Produkte entwickelt.

  • RISIKEN
    Das Sicherheitsrisiko beim Umgang mit Biomaterial ist ungleich höher als bei anderen Technologien. Die Anwendung ist streng reguliert, um vor unbeabsichtigter Freisetzung genetisch veränderter Organismen und Bioterrorismus zu schützen.

 

DIGITALE REVOLUTION

In den vergangenen Jahren haben die rasanten Fortschritte in Rechenleistung, Vernetzung und Miniaturisierung zu einer sprunghaften Entwicklung der Computertechnik geführt. Auch Alltagsobjekte wie Autos, Wohnungen und Gebrauchsgegenstände werden zunehmend Sensoren tragen, vernetzt sein und das sogenannte „Internet der Dinge“ bilden, mit weitreichenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen.

  • CHANCEN
    Computerkenntnisse werden auch in den nächsten Jahrzehnten gebraucht, es entstehen zahlreiche neue Arbeitsplätze bei Entwicklung und Wartung.

  • RISIKEN
    Erfolg hängt zunehmend von Social Skills ab, der einsame Hacker hat kaum mehr Karrierechancen.

 

ENERGIEVERSORGUNG

Der Übergang vom Verbrauch fossiler Brennstoffe zu erneuerbaren Energiequellen ist ein drängendes Problem. Um Treibhauseffekt und Erderwärmung zu bremsen, kommen zunehmend Alternativen wie Solar-, Wind-, Wasser- und Biomasse-Kraftwerke zum Einsatz. Auf lange Sicht ist die Kernfusion die vielversprechendste Lösung, weil sie im Gegensatz zur Kernspaltung in Atomkraftwerken kaum radioaktiven Abfall erzeugt. Technisch sind die Hürden aber noch so hoch, dass vor Mitte des Jahrhunderts nicht mit Praxisreife zu rechnen ist.

  • CHANCEN
    Zumindest in der Übergangszeit sind Ideen rund um erneuerbare Energien gefragt: Vernetzte Sensoren und intelligentes Energiemanagement könnten beispielsweise die gegenseitige Versorgung mit Solarenergie innerhalb der Nachbarschaft ermöglichen.

  • RISIKEN
    Der Durchbruch einer dominierenden Energiequelle wie der Kernfusion könnte andere Sparten rasch zurückdrängen.

 

NANOMATERIALIEN UND 3-D-DRUCK

Die technischen Möglichkeiten, Materie auf atomarem Maßstab zu manipulieren, werden immer ausgereifter. Das macht nicht nur Nanomaterialien mit exotischen Eigenschaften denkbar, sondern auch medizinische Anwendungen und Nanoroboter. Beim 3-D-Druck lassen sich schon heute räumliche Objekte nach einer Druckanleitung schichtweise ausdrucken.

  • CHANCEN
    Die Nanotechnologie hat vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Medizin, Ingenieurswissenschaften und rasch kommerzialisierbarer Materialtechnologie. 3-D-Drucker eliminieren Produktions- und Transportkosten und werden allgegenwärtig.

  • RISIKEN
    Noch unbekannte Technikfolgen durch Nanomaterial könnten die Branche abrupt bremsen. Beim 3-D-Druck ist die Frage des geistigen Eigentums nicht ausreichend geklärt.

 

NEUROWISSENSCHAFTEN UND „KI“

Die Funktion des menschlichen Gehirns hat sich durch seine schiere Komplexität lange einem tieferen Verständnis widersetzt. Fortschritte in den Neurowissenschaften könnten bald eine neue Ära einleiten, in der wir sowohl unser eigenes Bewusstsein detaillierter verstehen und beeinflussen können als auch die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) technologisch nutzen. Vollständig gelähmte Menschen können mittels eines im Gehirn implantierten Chips einen Mauszeiger bewegen.

  • CHANCEN
    KI unterstützt zunehmend Ärzte, Piloten und Börsenmakler bei komplexen Entscheidungen. Sie liegt z. B. Suchmaschinen und Sprachdiensten zugrunde und ist daher gut finanziert.

  • RISIKEN
    Selbst lernende Programme könnten bald auch ohne menschliche Hilfe zu rasch zu schlau werden. Die Folge könnten öffentliche Ablehnung und staatliche Regulierung sein.



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