Wundern & Wissen

Endlich frei schwimmen

Baden gehen gehört zum Sommer wie Erdbeereis und Sonnenmilch. Aber immer weniger Kinder können sich sicher im Nass bewegen. Dabei leben Nichtschwimmer gefährlicher – und ihnen entgeht einiges


Die Göre schmetterte aus voller Kehle, und das ganze Land sang mit: „Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein, und dann nischt wie raus an Wannsee …“ Das Lied, mit dem die achtjährige Conny Froboess die Freiheit zur Wirtschaftswunderzeit beschwor, kennt noch heute fast jedes Kind. Doch schon im Refrain zeigte sich, dass „hei, wir tummeln uns im Wasser wie die Fischlein, das ist fein“ schon 1951 nicht für alle galt: „… nur deine kleine Schwester, nee, die traut sich nicht hinein.“

Vielleicht war das Mädchen einfach erledigt nach der Radtour durch den Grunewald. Wahrscheinlicher ist, dass es nicht schwimmen konnte. Damit läge es noch heute im Trend: Immer weniger Sechs- bis Zehnjährige können sich im Wasser sicher fortbewegen. Zwar legen nach Schätzung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) noch gut drei Viertel der Grundschüler das Schwimmabzeichen „Seepferdchen“ ab. Über ihr Können sagt das jedoch wenig aus. „Dafür sind die Anforderungen zu niedrig“, erklärte DLRG-Präsidentin Ute Vogt in der Neuen Osnabrücker Zeitung, „das Abzeichen soll lediglich den Ehrgeiz der Kinder wecken und einen Einstieg in den Schwimmsport darstellen.“

40% der Erst- bis Viertklässler haben ein Jugendschwimm-abzeichen und gelten damit als verlässliche Kandidaten für Pool und Badesee

Nur etwa 40 Prozent der Erst- bis Viertklässler können sich der DLRG zufolge ein Jugendschwimmabzeichen in Bronze, Silber oder Gold ans Badezeug heften und gelten damit als verlässliche Kandidaten in Pools und Seen. Die Begleitmusik für den einstigen Volkssport im 21. Jahrhundert: Trauermarsch statt Gassenhauer.

Dabei liegen die Vorteile der Bewegung im Wasser klar auf der Flosse. Schwimmen ist gelenkschonend, kräftigt Herz und Kreislauf, stärkt das Selbstbewusstsein und macht Spaß. Von oben verordnet ist es überdies: „Jedes Kind soll am Ende der Grundschulzeit schwimmen können“, steht im Lehrplan für den Sportunterricht an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Ähnlich formuliert findet sich das Gebot in den Richtlinien der Sportministerien aller Bundesländer. Konkret heißt das, dass der Nachwuchs sich „möglichst angstfrei ohne Fremdhilfe in schwimmtiefem Wasser zielgerichtet fortbewegen kann“. Die Voraussetzungen sind allerdings nicht die Besten. Der Unterricht wird in Lehrschwimmbecken erteilt, und die sind rar: In 27 städtischen Bädern hat Berlin Zeiten für die Grundschulen geblockt, München leistet sich 18 Lehrbecken, Hamburg noch acht.

Marianne Schmittmann setzt als Sportlehrerin die Vorgaben seit 30 Jahren um, derzeit mit der vierten Klasse einer Düsseldorfer Grundschule. Von zwei Stunden pro Woche bleiben nach Abzug der Hin- und Rückfahrt, Umziehen und Duschen 50 Minuten Wasserzeit. Dann sind abwechselnd Spiel und Technik angesagt: Kraulen, Brust- und Rückenschwimmen, Atemübungen und Wenden, Wasserball und Wetttauchen. Unter ihren 22 Kids sind 14 geprüfte Jugendschwimmer, die anderen sind sicher unterwegs oder können sich koordiniert bis zum Beckenrand retten.

„In unserem Stadtteil gehört Schwimmen für Eltern zu den Grundkompetenzen ihres Kindes“, erklärt die Sportpädagogin. Nach ihrer Erfahrung sieht das in Brennpunktvierteln durchaus anders aus. Dabei seien Schwimmkenntnisse für die Sicherheit unerlässlich. Bei Kindern unter 15 Jahren ist das Ertrinken die zweithäufigste Todesursache bei Unfällen. „Dranbleiben, üben, regelmäßig ins Schwimmbad gehen“, so die Sportlehrerin, führten zum selbstverständlichen Können.

Für Eltern, die wasserscheu oder zu beschäftigt sind, um aus dem Badbesuch ein Familienevent zu machen, könnten Ferienkurse eine Lösung sein. Verschiedene Organisationen, etwa das Deutsche Rote Kreuz und der Deutsche Schwimmverband, bieten mehrwöchige Lehrgänge an, bei denen täglich gruppenweise trainiert wird. Anmeldungen liegen in Klassenzimmern aus. Die Kosten liegen zum Beispiel in Düsseldorf bei etwa zehn Euro, der Nutzen ist unbezahlbar: „Die Kinder verbessern spielerisch ihre Fähigkeiten und gewinnen täglich mehr Sicherheit“, lobt Schmittmann. Auch Kooperationen mit Partnern wie der DLRG, in Hessen zum Beispiel „Das schwimmende Klassenzimmer“, sind gut geeignet, um den Schwimmsport im Alltag zu verankern.

Wie weit einen die richtige Motivation bringen kann, beweist das Beispiel von Michael Phelps. Als Kleinkind musste der Rekord-Olympionike seine beiden älteren Schwestern regelmäßig zum Schwimmtraining begleiten. Er tigerte am Beckenrand entlang und quengelte, bis er mit fünf Jahren einen Wassergewöhnungskurs machen durfte: „Seitdem war der Pool für mich ein Ort, um Spaß zu haben, gesund zu bleiben, Ziele zu setzen, hart zu arbeiten und Selbstvertrauen zu gewinnen“, schreibt er auf der Homepage seiner Stiftung, die bei amerikanischen Kindern die Leidenschaft fürs Nass wecken will.

Wie im Konzept der Phelps’schen Schule weicht der Drill auch hierzulande immer mehr individueller Förderung. Schwimmschulen, aber auch Eltern wie Simon Bohrs, der seine Kinder selbst fit für die Fluten gemacht hat, schwören auf ein simples Rezept: Zeit und Geduld. Der 42-jährige Kölner erinnert sich gut daran, dass sich sein Sohn Jakob bei den ersten Malen im Hallenbad „nicht mal das Gesicht nass machen wollte“. Umso mehr Freude hatte der Dreijährige daran, Papa zu „döppen“ (unterzutauchen) oder ihn mit kräftigen Beinschlägen zu beregnen.

Der Ingenieur ließ seinen Sohn machen, dessen Neugier auf die Welt unter Wasser wuchs: „Beim vierten Besuch hat er sich die Nase zugehalten und einen Ring vom Boden des Nichtschwimmerbeckens geholt.“ Wenige Wochen später zog Jakob schon Bahnen, lernte peu à peu von Papa Kraulen, Brust- und Rückenschwimmen, wobei er unterwegs gern von einem Stil zum anderen wechselte.

Auch das ist unter Fachleuten inzwischen populär. Eine gute Technik muss sein, allerdings nicht zwangsläufig immer Brustschwimmen, das wegen der Parallelbewegungen als schwierige Disziplin gilt. Gerade junge Schüler lernen leichter Kraulen, weil es dem Krabbeln auf Händen und Füßen durch den versetzten Einsatz von Armen und Beinen viel ähnlicher ist.

Fakt ist: Kinder wollen schwimmen – und Eltern sollten ihnen, gepaart mit den Lernmöglichkeiten der Schulen und Verbände, ein Sprungbrett bieten. Hätte die kleine Schwester im Jahre 1951 bereits Schwimmunterricht gehabt und wäre mit der Familie ein paarmal am Wannsee gewesen – sie hätte die großen Jungs ganz schön nass gemacht. Wetten?



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