Die Harfe musste es sein, unbedingt. Nicht das Klavier, nicht die Gitarre, nicht die Geige. Wenn Mutter und Tochter heute über den Beginn von Talias Liebe zu ihrem Instrument sprechen, müssen beide schmunzeln. Vier Jahre ist es her, dass sie sich beim Treff der örtlichen Musikschule ein Musikinstrument aussuchen durfte – in jedem Zimmer konnte man dort ein anderes hören und ausprobieren. „Bei Harfe und Hackbrett wollten wir eigentlich nur zum Spaß mal gucken“, sagt Mutter Silja. Doch um Talia war es beim Anblick und Klang des Zupfinstruments sofort geschehen.
Von ihrer Harfe spricht die Elfjährige immer noch, als würde sie von einer guten Freundin erzählen. Eine, mit der sie schon viel erlebt hat. „Wenn ich spiele, werde ich ganz ruhig und habe gleichzeitig tausend Ideen“, sagt sie und lässt ihre Finger über die Saiten gleiten. Warme Harmonien füllen ihr Kinderzimmer, in dem Bilder von Einhörnern hängen, Glitzerstaub auf den Möbeln klebt und sich CDs von Harfenisten stapeln.
Meine Harfe ist mir so wichtig, dass ich ihr den Namen ‚Glöckchen‘ gegeben habe. Talia, 11 Jahre
Talia ist ein verträumtes Mädchen, die Harfe passt zu ihr. Obwohl sie als ein sehr schwierig zu erlernendes Instrument gilt, fällt ihr das tägliche Üben nicht schwer. Kein Wunder, meint Rudolf Stroß. „Wenn der Wunsch und der Wille, ein Instrument zu lernen, vom Kind ausgehen, bleibt es am ehesten mit Freude dabei“, sagt der Kinder- und Jugendpsychologe. Er befasst sich beruflich mit den Auswirkungen von Musik auf Kinder, ist selbst dreifacher Vater und überzeugt: „Musik ist für die ganze Familie unglaublich wertvoll.“ Tatsächlich beginnt die Beziehung zur Musik bereits, bevor wir auf die Welt kommen. Schon Ungeborene reagieren positiv auf den Gesang der Mutter oder die Klänge einer Spieluhr. Bei Kleinkindern ist die Begeisterung ohnehin sehr ausgeprägt. Sie funktionieren ihr Spielzeug zu Instrumenten um, legen ein Trommelsolo am Esstisch hin, lassen sich von Gute-Nacht-Liedern beruhigen oder von Sing- und Klatschspielen mitreißen.
„Diese Begeisterung gilt es zu fördern“, sagt Matthias Pannes vom Verband deutscher Musikschulen. Deshalb sei die musikalische Früherziehung so wichtig. Was ein wenig steif klingt, sollte ein ganz natürlicher Bestandteil des Aufwachsens sein. In manchen Familien passiert das automatisch. Man hört zusammen Musik, redet darüber, singt gemeinsam und klimpert vielleicht mal auf Omas Klavier oder Papas Gitarre. Mitunter gibt es aber auch Berührungsängste, weil die Eltern sich für unmusikalisch halten. „Dabei muss man kein Instrument spielen oder singen können, um Kindern Liebe zur Musik zu vermitteln“, sagt Pannes und rät zu einem unverkrampften Umgang mit ihr: „Anfangs geht es nicht darum, den perfekten Ton zu treffen – Hauptsache, Musik findet zu Hause überhaupt statt und macht Freude.“ Darüber hinaus gibt es musikalische Früherziehungskurse, etwa an Musik- oder Volkshochschulen. Dort können spielerisch erste Grundlagen in Sachen Gehörbildung und Rhythmusgefühl gelegt werden. Früher oder später kommt dann meist der Moment, in dem der Nachwuchs von sich aus ein Instrument lernen möchte.
Rockmusik ist für mich das Größte. Constantin, 8 Jahre
Bei Constantin, heute 8 Jahre alt, war es im letzten Kindergartenjahr so weit. „Damals war er noch zu jung für die Schule, begann sich aber im Kindergarten zu langweilen. Da war das Instrument ein gutes Projekt“, sagt sein Vater Mathias. Constantin spielt E-Gitarre, die Entscheidung lag auf der Hand. Rockmusik ist sein Ding, schon früh haben sich bei ihm Metallica und die Toten Hosen zwischen die Kinderlieder gemischt. Das Instrument war allerdings nicht unbedingt der Herzenswunsch seiner Eltern. Sie einigten sich mit ihrem Sohn auf einen Kompromiss: Erst wird klassische Gitarre gelernt, und wenn Constantin dabeibleibt, kann er später wechseln. Er blieb hartnäckig und hat jetzt seit einem Jahr einmal die Woche Privatunterricht auf seiner schwarz-weiß lackierten E-Gitarre. Wie oft wird geübt? „Täglich.“ Ein schiefes Grinsen. „Na ja, fast.“ Der Deal mit den Eltern jedenfalls ist klar: Die Musikstunden werden nur bezahlt, wenn die Gitarre dazwischen nicht in der Ecke steht. Also wird nach der Schule geschrammelt, denn darauf verzichten will Constantin auf keinen Fall. Schließlich gibt es schon Pläne, mit dem Nachbarsjungen und einigen Mitschülern, eine Band zu gründen. Auf der Bühne stehen und den Rockstar geben – dafür lohnt sich das Üben dann doch.
„Keine Band, kein Orchester und kein Chor würde funktionieren, wenn man nicht aufeinander achtet“, sagt Psychologe Stroß. Aus diesem Grund schult Musik die sozialen Fähigkeiten. Achtsamkeit, Respekt und Sensibilität für andere sind Grundvoraussetzungen für gemeinsames Musizieren. Damit aber nicht genug: Studien zeigen, dass Musik das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt. Außerdem fördert es die Feinmotorik, schärft die Sinne und trainiert das Gedächtnis. Hirnplastizität und –leistung verbessern sich, außerdem wird die Konzentrationsfähigkeit geschult. Das hat insbesondere Talias Mutter beobachtet. Ihre Tochter hat Legasthenie und ADS, das Lernen fällt ihr nicht immer leicht. „Durch das Harfespielen kann sie sich besser konzentrieren und beruhigen, das hilft ihr auch in der Schule.“
Tatsächlich gibt es Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass Musikunterricht der Intelligenz und den schulischen Leistungen zugutekommt. Kanadische Forscher konnten zum Beispiel zeigen, dass der IQ bei Sechsjährigen durch Klavierunterricht ansteigt und Vier- bis Sechsjährige nach einem Jahr Musikunterricht ein besseres Gedächtnis hatten als solche, die kein Musikinstrument lernten. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlichte eine Studie, der zufolge musizierende Kinder etwas bessere Noten in Mathe und Deutsch hatten und häufiger den Übertritt auf das Gymnasium schafften. Musik macht so schlau, dass mitunter sogar vom „Mozart-Effekt“ die Rede ist.
Wenn auf einmal ein Lied klappt, für das man lange geübt hat, ist das ein tolles Gefühl. Niels, 12 Jahre
Überbewerten sollte man das freilich nicht. Manche Effekte sind nur schwer nachweisbar, andere gering oder auch anders zu erzielen, etwa durch Lesetraining. Allein wegen eines Instruments ist sicher noch niemand zum Mathe-Ass oder Fremdsprachengenie geworden. Ohnehin hat Musik einen Wert, der über ihren Nutzen hinausgeht: „Zweifelsfrei fördert Musik die kognitiven und sozialen Fähigkeiten. Aber letztlich ist sie ein menschliches Grundbedürfnis, das man nicht verzwecken sollte“, gibt Musikschulvertreter Matthias Pannes zu bedenken. Musik könne mehr, als Leistung zu verbessern. Zum Beispiel bietet sie die Fähigkeit, nonverbal zu kommunizieren. „Musik ist die emotionalste aller Ausdrucksformen und ein Mittel zur Stimmungsresonanz“, so Pannes. Wenn es keine Worte mehr für Gefühle gibt, dann gibt es immer noch Melodien. Psychologe Stroß stimmt ihm zu: „Zur Emotionsregulation ist Musik extrem wichtig.“
Das hat auch Niels schon herausgefunden. Wenn der Zwölfjährige einen doofen Tag in der Schule hatte, schmeißt er zu Hause erst mal den Ranzen in die Ecke und spielt eine Runde auf seinem Cello. „Da kann ich mich abreagieren, danach geht es mir besser“, sagt er. Seine Mutter Brigitte hat von Anfang an darauf geachtet, dass Musik Freude und Entspannung bedeutet. Ihre drei Söhne spielen Trompete, Saxophon und Cello, alle bekommen Musikunterricht. Akribisches Üben ist ihr trotzdem nicht so wichtig. „Der Stundenplan der Kinder ist auch so schon voll genug. Es soll vor allem Spaß machen.“
Wie aber schafft man das, dass ein Kind mit Freude und Elan dabeibleibt? Ein Instrument zu erlernen ist immer eine komplexe Aufgabe, die ohne Disziplin, Fleiß und unzählige Übungsstunden nicht zu bewältigen ist. Wichtigste Voraussetzung, um am Ball zu bleiben: Das Instrument muss passen. Niels wäre mit einer E-Gitarre sicher nicht genauso glücklich wie Constantin, und Talia würde um nichts in der Welt etwas anderes spielen wollen als ihre Harfe. „Auf jeden Fall sollte man das Kind ernst nehmen und mitentscheiden lassen“, rät Pannes. Um bei der großen Auswahl an Instrumenten das passende zu finden, bieten sich Schnupperkurse, Instrumentenkreisel oder ein Tag der offenen Tür in der Musikschule an. Für die erste Zeit tut es ein Leihinstrument. Fällt die Entscheidung schwer, sollte man unterschiedliche Instrumente ausprobieren und sich Tipps bei Musiklehrern holen. „Manchmal kommt der Appetit erst beim Essen“, sagt Stroß. Er würde jedem Kind die Chance geben, ein Instrument zu lernen, und rät bei weniger begeisterten Schülern zu einem halben Jahr Musikunterricht auf Probe. „Das ist eine gute Zeitspanne um auszuprobieren, ob das Kind Freude an einem Instrument entwickelt.“
Genauso wichtig wie die Wahl des Instruments ist die des Musiklehrers. Ob an der Musikschule, in einem Verein, privat oder in der Schule – die Chemie muss stimmen. Niels, Constantin und Talia eint, dass sie mit großer Bewunderung von ihren Lehrern sprechen. Die wiederum motivieren die Kinder, gehen auf deren Musikwünsche und Eigenheiten ein und sind auch dann nicht sauer, wenn zum Üben mal keine Zeit war. Der Unterricht muss fachlich gut sein, aber die menschliche Komponente sei fast noch wichtiger, sind sich die Experten einig. Zur Motivation wiederum können nicht nur die Lehrer, sondern auch die Eltern beitragen: Wer Fortschritte lobt, Interesse zeigt, mal bei einer Probe oder Übungsstunde vorbeischaut und bei Konzerten stolz in der ersten Reihe sitzt, kann viel dazu beitragen, die Freude zu erhalten. Verfliegt sie dennoch, sollte man das akzeptieren. „Druck, falscher Ehrgeiz und auf das Kind projizierte Erwartungen sind bei der Musikausbildung fehl am Platz“, sagt Stroß. Wer sich dem Thema unverkrampft nähert, hat bessere Chancen, dass die Beziehung zwischen Kind und Instrument hält. „Und wer einmal den Zugang zur Musik gefunden hat, wird sie ohnehin ein Leben lang als bereichernd empfinden.“
Vielen Dank für den Artikel.Bin völlig einverstanden, daß das Musikinstrument fürs Kind ein guter Freund für lange Zeit werden kann. Deshalb liegt die Entscheiduntg nur beim Kind. Die Eltern sollen nur mithelfen. So habe ich mich in die Gitarre vor 2 Jahren verliebt und spiele bis jetzt. Jana.