Kennen & Können

Das Geheimnis der Kreativität

Die Fähigkeit, Neues zu entdecken und zu produzieren, steht hoch im Kurs. Kann man Kinder in dieser Kunst fördern? Ja – aber bitte ohne Leistungsdruck! Mit kleinen Tricks lässt sich der Kreativität im Alltag ganz locker auf die Sprünge helfen


Dienstagvormittag, die Sonne scheint. Ausflug in die Kreativwerkstatt des Kinderkunsthauses in München: 16 Jungen und Mädchen einer städtischen Grundschulklasse lernen hier heute das Hochdruckverfahren kennen. Ihre Aufgabe im Moment: in je eine kleine Platte aus Weichpolystyrol ein Motiv einritzen. Die jungen Künstler überlegen, was sie machen könnten, verlangen nach Papier, um sicherheitshalber einen Entwurf zu probieren, beraten sich mit dem Nachbarn. „Wenn ich muss, fällt mir nie was ein“, raunt ein Mädchen einem anderen zu. Verständnisvolles Nicken.

Gute Einfälle sind gefragt. Und nicht nur hier. Ideenreichtum und unkonventionelle Denke scheinen überall unentbehrlich. „Finde eine kreative Lösung“, lautet der Imperativ unserer Zeit. Und so wird sie allerorten beschworen, wenn nicht gar als Qualifikation vorausgesetzt: die Schlüsselkompetenz Kreativität.

In der Schule allerdings fristet der Kunstunterricht, die kreative Domäne schlechthin, wie eh und je ein Schattendasein. Die Viertklässler beispielsweise, die gerade Fische, Schweine und andere Tiere in ihre Platten gravieren, haben regulär lediglich 45 Minuten in der Woche, in denen sie ihre Zeichenblöcke hervorholen. Seit der ersten Klasse besucht deshalb der zehnjährige Laurin regelmäßig einmal in der Woche nachmittags die „Schule der Phantasie“. In diesem externen Angebot der Stadt unterstützen engagierte Kunstpädagogen Kinder beim schöpferischen Tun.

 

Doch muss die wertvolle Ressource Kreativität wirklich so befeuert werden? Sind nicht alle Kinder ohnehin unglaublich kreativ? Keine leichten Fragen, schon gar nicht, wenn man sie zwischendurch beantworten muss. Sandra Falkenstein, die Programmchefin und heutige Kursleiterin im Kinderkunsthaus, muss den Schülern zunächst den Umgang mit einer Farbwalze zeigen, dann bleibt Zeit für ein Gespräch. Sie erzählt, dass Kindergartenkinder und Vorschüler sich stets ungeniert und mit Tatendrang an die Kunst-Produktion machten, während schon Drittklässler vorsichtiger würden. Die Großen hemmt offensichtlich die Angst, etwas falsch zu machen.

Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleibenPablo Picasso

„Eins steht fest“, sagt Falkenstein, „mit Druck macht man alles kaputt.“ Sprüche wie „Nun sei doch mal kreativ“ sind danach ebenso kontraproduktiv wie Vorschriften nach dem Motto „So muss das aussehen“. Im Kinderkunsthaus setzt man auf den Spaß beim Machen, nicht auf das Ergebnis. Kein Kunstwerk wird prämiert, keines gering geschätzt. Durch die Vermittlung ungewöhnlicher Techniken fangen in der Regel auch alle Kinder einer Gruppe gleichermaßen bei Null an, die Pädagogen helfen nur bei Bedarf.

Ein Richtig oder Falsch gibt es in der Kunst ohnehin nicht. Interessanterweise sind es häufig sogar die weniger perfekten Werke, die sofort ins Auge fallen. Wie das Bild dieser Katze beispielsweise, das Falkenstein als Demonstrationsobjekt dient: ein Kopf mit deutlichen Schnurrhaaren, zwei lange Striche als Beine und riesige Kreise als Füße. Das Ganze ist ein überraschender, auf das Wesentliche reduzierter Geniestreich – entstanden aus purer Not. Der unbekannte Zeichner konnte es einfach noch nicht besser.

Zumindest kleine Kinder also sind ausnahmslos Künstler. „Die Schwierigkeit“, hat schon Pablo Picasso erkannt, „liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.“ Mit zunehmendem Alter kommt viel Kreativität abhanden. Schuld ist neben der Furcht vor Blamage der ewig gleiche Trott.

Kreativitäts-Experten empfehlen daher stets als erste Übung, die gewohnten Bahnen immer mal wieder bewusst zu durchbrechen, um sprichwörtlich neue Wege zu gehen. Zum Supermarkt, zum Fußballtraining, zu Oma und Opa. Nach und nach kann man in der Familie überlegen, was man noch alles ausprobieren könnte: statt der fünften Schmuckkugel mal eine Schrottskulptur basteln und im Garten aufstellen? Zum Frühstücken mal in den Park laufen? Eine Familien-Geheimsprache erfinden? Eine Sammlung von guten ersten Romansätzen anlegen? Einen Eltern-Kinder-Rollentausch-Tag wagen? Den Flur mit gemalten Selbstporträts verschönern?

Mehr Kreativität wagen, heißt die Devise – selbst wenn niemand in der Familie wirklich künstlerische Ambitionen hat. Ungewohnte Zusammenhänge herzustellen, etwas Neues zu entwickeln oder ein Problem auf überraschende Weise lösen zu können sind Fertigkeiten, die man überall gebrauchen kann, selbstverständlich auch in Mathe und Physik.

Und wenn Eltern ihre Kinder explizit im künstlerischen Bereich fördern wollen und keine Kreativwerkstatt in der Nähe ist? Keine Sorge. „Ich bin das beste Beispiel, dass man zu seiner Passion auch ohne Kurse finden kann“, lacht Kursleiterin Sandra Falkenstein. Ihr simpler Rat an alle Eltern: „Legt Papier und Stifte auf den Tisch.“ Der nächste Kreativitätsschub kommt bestimmt.

 



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