1.
Englisch – auf dem Weg zur Zweitsprache
Das British Council und der private Sprachanbieter EF attestieren deutschen Schülern immer bessere Englischkenntnisse. Englisch ist dabei, sich von einer Fremd- zu einer Zweitsprache zu mausern. Unbelievable: Ende der 90er-Jahre konnte ein durchschnittlicher deutscher Abiturient weder einen Film auf Englisch verstehen noch ein längeres Gespräch führen. Selbst als 2003 Schulforscher im Auftrag der Kultusministerkonferenz den Englischunterricht für die sogenannte Desi-Studie untersuchten, waren sie alles andere als amused: Der Unterricht bestand lediglich zu mageren elf Prozent aus frei formulierten Schüleräußerungen. Bei einem Drittel der Aussagen handelte es sich um hilflose Einwortaussagen.
Grammatik und Inhalte sind nicht mehr so wichtig. Entscheidend ist die Sprachkompetenz
Glaubt man Englischlehrerkräften, gibt es solche Stunden zum Glück nur noch selten. Die Pädagogik hat sich aber auch grundlegend geändert. Lehrkräfte sind dazu angehalten, ihre Schüler zum Reden zu animieren. Grammatik und Inhalte sind nicht mehr ganz so wichtig. Entscheidend ist die Sprachkompetenz. Moderne Unterrichtsmaterialien kommen mit Videos und Hörspielen auf den Markt, auf denen Englisch in Alltagssituationen gesprochen wird. Immer öfter wird an Schulen zudem bilingualer Unterricht angeboten.
Niemand hat es bislang untersucht, aber auch J. K. Rowling dürfte einen gewaltigen Anteil an den Fortschritten der deutschen Schüler haben. Wer ein ausgewiesener Harry-Potter-Fan war, wartete nicht auf die deutsche Übersetzung, sondern las den neusten Band aus der Zauberwelt im Original. Als das Buch „Harry Potter and the Cursed Child“ auf den deutschen Markt kam, ging es weg wie warme Semmeln.
Mächtiger Ansporn und Impulsgeber ist dabei das sonst so viel gescholtene Internet. Auf den angesagten Seiten verständigen sich die User oder Gamer auf Englisch. Video-Streamingdienste tun ein Übriges. Die neueste US-Serie nicht auf Englisch zu sehen, gilt zumindest ab der Oberstufe als „terribly unfashionable“, also schrecklich uncool.
2.
Präsentieren und Referate halten
Nein, auch heutzutage drängeln sich die meisten Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt vor, wenn es darum geht, ein Referat zu halten – außer vielleicht zur Notenrettung gegen Schuljahresende. Aber letztlich ist es an den Schulen doch normal geworden, aufzustehen und den Platz der Lehrkraft einzunehmen.
Das Agieren vor Publikum ist nichts Besonderes mehr
„Die Schülerinnen und Schüler müssen heute ja schon von der Grundschule an Themen aufbereiten und sich vor die Klasse stellen, um zu referieren und zu präsentieren“, sagt die Pädagogin und Buchautorin Heidemarie Brosche. „Auch in der Mittelschule gehört das Halten von Referaten ganz selbstverständlich dazu. Das führt dazu, dass das Agieren vor Publikum nichts Besonderes mehr ist.“
Und dabei geht es nicht nur um größere Referate. Wenn eine Klasse beispielsweise ein Thema in kleinen Gruppen erarbeitet, trägt meist ein Teammitglied anschließend die Ergebnisse vor dem Rest der Klasse vor. Auch dass eine Schülerin oder ein Schüler nach vorn kommt und aus dem Stegreif ein Thema, etwa aus der letzten Stunde, erläutert, ist üblich. Verändert hat sich auch die Arbeitsweise. Wo früher noch Overheadfolien abgelesen wurden, bringen die junge Leute heute teils aufwendig gestaltete Powerpoint-Präsentationen mit – oft auf ihren eigenen Tablets, damit auch die Software sicher läuft. Fotos und sogar Videos aus dem Internet werden eingebettet, spezielle Tools erlauben es sogar, zu Beginn oder während eines Referats eine Online-Umfrage in der Klasse zu machen.
Und natürlich läuft auch die Recherche heute routiniert online ab. Waren früher noch Lexika und Schulbücherei die wichtigsten Quellen, recherchieren Lernende heute meist im Internet – oder sie befragen gleich eine KI. Doch darin steckt auch eine Gefahr: „Leider schlagen diese Möglichkeiten in vielen Fällen negativ durch“, weiß Heidemarie Brosche. „Schülerinnen und Schüler neigen natürlich dazu, den bequemsten Weg zu wählen, und der heißt: ‚Geh ins Internet und kopiere dir das Nötigste raus!‘“
3.
Lerntechniken kennen
„Drei, drei, drei – bei Issos Keilerei!“ – hätte man einen Schüler in den 1980er-Jahren nach einer Lerntechnik gefragt, er hätte vermutlich nur eine nennen können: die Eselsbrücke. Wer kannte damals Mindmapping oder die Loci-Methode? Wer hat bewusst ausprobiert, über welchen Kanalmix aus Lesen, Hören, Schreiben und so weiter er oder sie am besten lernt?
Dass auch das Lernen gelernt sein will, hat sich herumgesprochen
Die Erkenntnis, dass auch das Lernen gelernt sein will, hat sich erst in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten herumgesprochen. Mittlerweile aber ist die Förderung von Methodenkompetenz eine immer wichtiger werdende Aufgabe der Schule bei der Erziehung zu Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit. Wie man sich Lernstoff merkt, sich konzentriert, die Zeit einteilt, den Arbeitsplatz gestaltet, Informationen beschafft und auswertet, wird heute schon in der Grundschule gelehrt. Beim Übertritt auf weiterführende Schulen gehören Einheiten, wie man das Lernen lernt, zum Start dazu. Davon profitieren unsere Kinder nicht nur ihre ganze Schulzeit über, sondern auch in der Berufsausbildung und im Studium.
4.
Kreativer schreiben
„Ich S-Bahn, bist du Bahnhof?“ – Chat-Sprache ist oft dermaßen verkürzt, dass intuitiv verfahrende Sprachkritiker überzeugt sind, dass die vor allem von Jugendlichen so geliebten Kurzmitteilungen per Handy oder Rechner die Sprache verhunzen, also die Fähigkeit, ordentlich zu formulieren. Doch einiges spricht dafür, dass das Gegenteil der Fall ist: Sprachwissenschaftler finden WhatsApp & Co. jedenfalls gar nicht so schlecht. Immerhin schreiben die Kids jetzt dauernd.
Wer viele Textnachrichten schreibt, ist bei Sprechtests überlegen
Eine Untersuchung der Universität Coventry unter Elfjährigen ergab sogar, dass regelmäßige Nachrichten-Schreiber ihren gleichaltrigen Mitschülern bei Sprachtests überlegen sind. So verblüfften die besten Textnachrichten-Schreiber mit der besten Rechtschreibung und dem größeren Wortschatz. Ihre Erklärung: Beim Schreiben der kurzen Mitteilungen müssen sich Kinder mehr Gedanken machen, wie sie sich möglichst klar ausdrücken, was sprachliche Ausdruckskraft und Fantasie fördert.
Genau das ist auch das Ziel des heute weitverbreiteten Prinzips, in den ersten beiden Grundschuljahren, wenn überhaupt, nur wenig Wert auf Rechtschreibung zu legen. Stattdessen versuchen die Lehrkräfte, den Schülerinnen und Schülern möglichst viele Gelegenheiten zu bieten, damit sie sich ohne Druck kreativ schriftlich ausdrücken können. Die Annahme dahinter: Wer gern liest und schreibt, wird auf Dauer schon von selbst zur richtigen Rechtschreibung finden – und unterwegs seinen Wortschatz und seine Ausdrucksfähigkeit gestärkt haben.
Aber können sich Schüler heute tatsächlich besser ausdrücken, schreiben sie gar die besseren Aufsätze? Deutschlehrer wie Thomas Ritter vom Ernst-Mach-Gymnasium in Haar sind sich „nicht so sicher“. Hoffnung macht wiederum die Wissenschaft: Germanistikprofessor Wolfgang Steinig hat Schulaufsätze aus mehreren Jahrzehnten verglichen. Fazit: Ja, die Schüler von heute schreiben kreativer. In ihren Texten zeigen sie sich selbstbewusster und meinungsstärker. Allerdings machen sie tatsächlich auch mehr Rechtschreibfehler.
5.
Wirtschaften und gründen
„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen, aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.“ Für diesen Tweet hat eine 17-jährige Schülerin vor einiger Zeit viel Zustimmung bekommen. Stimmt ja auch: Vor allem Jugendliche auf dem Gymnasium lernen noch heute im regulären Unterricht kaum etwas über Wirtschaft und Finanzen.
Doch im Gegensatz zu ihren Eltern damals kompensieren viele Jugendliche das durch eigenes Interesse. Wohl noch nie gab es eine Schülergeneration, die geschäftstüchtiger war: So führt mittlerweile fast jede Oberstufe in AGs ein kleines Wirtschaftsunternehmen, das Partys organisiert, um mit den Einnahmen später die eigene Abifeier zu bezahlen.
Die einen designen Marketing-Produkte, die anderen züchten Fische
Schülerfirmen sind in allen Schulformen so verbreitet, dass es mittlerweile diverse Beratungsangebote und Wettbewerbe für sie gibt. Wie professionell Schüler das Wirtschaften heute angehen, zeigt auch der Wettbewerb „Jugend gründet“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: Schon seit 2003 konkurrieren dabei Jugendliche mit ihren Geschäftsmodellen und um die beste Start-up-Idee. Vielerorts hat sich daraus ein Netzwerk aus Schulen, Verbänden und Banken gebildet, das Ideen fördert und weitertreibt. Tausende Schülerinnen und Schüler beteiligen sich jedes Jahr daran– und zumindest für sie verliert danach sicher auch die erste eigene Steuererklärung ihren Schrecken.
6.
Meinen und diskutieren
Kaum ein Klischee über die Jugend von heute wurde in den vergangenen Jahrzehnten so oft wiederholt wie das von der vermeintlich unpolitischen, angepassten Generation. Tatsächlich finden Demoskopen und Jugendforscher bei den heutigen Schülern wenig Rebellisches: Die Fundamentalopposition gegen alles Etablierte, die wir Eltern mit unserer eigenen Jugendzeit verbinden, würde die meisten Jugendlichen heute befremden. Das heißt aber nicht, dass die junge Generation unpolitisch wäre oder keine eigene Meinung hätte. Ganz im Gegenteil.
Die Jugend diskutiert rege – allerdings dort, wo wir Älteren es nicht so wahrnehmen
„Immer mehr Jugendliche zeigen politisches Interesse“, heben zum Beispiel die Autoren der renommierten Shell Jugendstudie hervor. Um mehr als ein Drittel sei der Anteil der politisch Interessierten seit 2002 gestiegen. Aber das äußere sich anders, als wir es gewohnt sind: Klassische Mitwirkungsformen wie Parteien und Wahlen verlieren an Bedeutung, dafür beteiligen sich die jungen Menschen an Online-Petitionen und Demonstrationen. Das heißt, sie diskutieren weiterhin rege – allerdings online, wo wir Älteren es nicht so wahrnehmen.
Auch die Pädagogin Heidemarie Brosche findet, dass die heutigen Schüler meinungsstärker als ältere Jahrgänge sind: „Meine Schüler sagen, was sie denken – auch auf die Gefahr hin, dass jemand verärgert ist. Und sie können auch einmal Nein sagen, ohne gleich Rechtfertigungsarien zu singen.“
Dass die Lehrpläne inzwischen überall mehr auf Kompetenzen wie Einordnen, Erklären und Diskutieren setzen als auf bloßes Wiedergeben von Wissen, unterstützt diesen Trend. Da verwundert dann auch der Erfolg des Wettbewerbs „Jugend debattiert“ nicht mehr, den mehrere gemeinnützige Stiftungen unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten seit 2002 ausrichten. Inzwischen schärfen dabei rund 200 000 Schülerinnen und Schüler jedes Jahr ihre Debattierfähigkeiten in Wettkämpfen von Schul- bis Bundesebene. Klar ist: Wer gewinnen will, muss argumentieren können – Fundamentalopposition reicht da nicht.
7.
Posen und tanzen
„Die Büffel stehen an der Bar, an der Bar, an der Bar, Mensch, was machen die da?“: Der NDW-Klassiker „Das Blech“ der Band Spliff bildete die Situation in den 1980er-Jahren gut ab. Weiter als an den Rand der Tanzfläche traute man sich als Junge damals meist nicht. Zu unsicher, zu ungelenk – vorsichtshalber nannte man es dann cool, nicht zu tanzen.
Ein bisschen Pose ist heute Pflicht
Und heute? Wer beim Hip-Hop nur mit dem Kopf nickt, ist ein Feigling. Wer beim Selfie bloß steif in die Kamera guckt, ist draußen. Ein bisschen Pose, ein bisschen Körpergefühl ist heutzutage Pflicht. Nicht zu tanzen ist uncool – das gilt auch für Jungs. Es ist halt doch nicht alles einfacher geworden …
8.
Themen selbst erarbeiten
Lehrervortrag, Tafelanschrieb, Übungsaufgaben – aus diesem Dreiklang bestanden die meisten Unterrichtsstunden früher. Wenn Schülerinnen und Schüler arbeiteten, dann meist für sich. Das war effizient, für viele bequem – aber weit weg von dem, wie Arbeit im weiteren Leben aussieht.
Kann ich das? Dann auf zum nächsten Thema
Heute bekommen Lernende einen Wochenplan in die Hand, gehen zur Lerntheke und nehmen sich das Material, das sie brauchen, um sich das nächste Unterrichtsthema zu erarbeiten. Sie recherchieren, erklären sich gegenseitig und stellen sich selbst Aufgaben. Kann ich das? Dann auf zum nächsten Thema, vielleicht diesmal in der Gruppe. Oder ich brauche noch etwas mehr Übung, dann hole ich sie mir halt.
Bildungsforscher bezweifeln zwar, dass dieses schülerzentrierte Arbeiten unbedingt effektiver ist als klassische Unterrichtsformen. Aber die Kinder lernen jedenfalls, eigenverantwortlich zu arbeiten – was ein Wert an sich ist. Später im Büro kommt auch niemand zum Lehrervortrag vorbei.
9.
Selbst kochen – also so richtig
Heutige Teenager lieben es zu kochen. Nach einer Forsa-Studie des Happiness Instituts empfinden 72 Prozent von ihnen beim Schnippeln, Rühren, Würzen und Abschmecken große Lebensfreude. Wenn sie dann noch mit Freunden kochen, wabert das Glück nur so im und um den Kochtopf.
Gerade Jungs sind gern in der Küche
Das vielleicht überraschendste Ergebnis der Erhebung, hinter der letztlich die Slow-Food-unverdächtige Marke Coca-Cola steht: Gerade Jungs halten sich sehr gern in der Küche auf. Und das nicht nur zum Essen wie noch in unserer Generation. Zwei von drei Jungs haben immerhin schon einmal selbstständig das Mittag- oder Abendessen für die Familie gekocht, so die Studie.
Diese Thesen bestätigt Heike Bissert aus Buggingen im Markgräflerland. Die 46-jährige Krankenschwester hat drei Söhne im Alter von 13, 16 und 17 Jahren. „Die Jungs sind schon echte Kochprofis. Der Älteste ist Vegetarier, macht sich morgens oft selbst ein Rührei mit Tomaten. Außerdem durchforstet er das Internet nach leckeren Gerichten – und kocht die dann für die ganze Familie. Das war in meiner Jugend anders. Meine drei Brüder hatten weder Interesse noch Talent. Sie haben sogar das Wasser anbrennen lassen.“
10.
Fotografieren und Filmen
„I und da Louis hom des o’gfangt“, erklärt Johannes in schönstem Oberbayrisch, wie seine Freunde und er zu Internet-Stars wurden. Louis hat ein Video gesehen, wie jemand auf ungewöhnliche Weise eine Bierflasche öffnet – und die Jungs wollten probieren, ob das mit Spezi auch geht. Es ging, es machte Spaß – und die beiden luden ein Video davon auf Instagram hoch. Und noch eines. Und noch eines. Spezi öffnen mit dem Scooter, mit der Dachrinne, mit dem Tischtennisschläger, mit dem Gartenschlauch, mit dem Schlitten, mit dem Volleyball … die Ideen gingen den „Spezi-Suchtis“ nicht aus. Und mit den Ideen kamen die Follower: Über 200.000 sind es inzwischen, längst haben die Teenager einen Sponsor und ein professionelles Marketing.
Know-how beschafft man sich nebenbei
Zugegeben, nicht alle Kinder und Jugendlichen, die Fotos und Videos auf Instagram hochladen, machen so eine Karriere. Aber das Beispiel der bayrischen Jungs vom Dorf zeigt, wie unverkrampft, verspielt und mutig die jungen Leute fotografieren und filmen – und sich ganz nebenbei das nötige Know-how selbstständig draufschaffen. Sie bearbeiten die Pics, pimpen und tunen sie wie wir früher unsere Mofas, sie legen Filter drüber (Slumber-Nebeloptik, Crema für weiche Konturen, Aden bei schlechten Lichtverhältnissen), drehen Filme, fuchsen sich in die Technik hinein, kommentieren, liken, sharen, lernen Gleichgesinnte kennen. Die Social-Media-Welt ist optisch: YouTube, WhatsApp, Instagram, TikTok (Facebook ist out, falls Sie das noch nicht mitbekommen haben). Dort ist die Welt ein Film – oder viele.
„10 Dinge, die unsere Kinder besser können als wir damals“ – Dieser Artikel wurde erstmals am 18.07.2018 veröffentlicht. Das Datum oben bezieht sich auf die jüngste Aktualisierung
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