Das italienische Schulsystem hat eine Besonderheit: Nach der achten Klasse entscheiden die Schülerinnen und Schüler (und deren Eltern natürlich) selbst, wie sie ihre Schulkarriere fortsetzen. Aufs Liceo, das italienische Gymnasium? Zum Istituto Tecnico, der praxisorientierten Fachoberschule? Oder auf ein Istituto Professionale, eine Berufsfachschule, um dort direkt eine Berufsausbildung zu machen? Die Wege unterscheiden sich erheblich, aber eines haben sie gemeinsam: Die Allgemeine Hochschulreife kann man in allen drei Fällen noch erlangen. Und damit am Ende auch studieren.
Einer Gruppe von Forschenden kam dieses System gelegen, um in einer Studie einer wichtigen Frage nachzugehen: Was bringt Schülerinnen und Schüler dazu, einen akademischen Ausbildungsweg zu wählen – gerade dann, wenn sie wirklich die Wahl haben? Dass zum Beispiel der Bildungsstand der Eltern dafür eine Rolle spielt, ist gerade für Deutschland oft belegt und diskutiert worden. Aber gibt es auch auf Seiten der Kinder selbst Eigenschaften, die eine akademische Laufbahn wahrscheinlicher machen?
Geduld in der Grundschule beeinflusst die Schulzweigwahl Jahre später
Die Autorinnen und Autoren der Studie haben tatsächlich eine Eigenschaft gefunden, die eng mit der Wahl des Ausbildungsweges zusammenhängt: Geduld. Von den rund 500 teilnehmenden Grundschulkindern wählten Jahre später vor allem diejenigen das Gymnasium, die ihre Entscheidungen besonders geduldig, weitsichtig und weniger impulsiv getroffen hatten.
Getestet hatten die Forschenden die Geduld mithilfe von Token, also virtuellen Währungseinheiten, welche die Schülerinnen und Schüler entweder gleich in kleine Belohnungen tauschen konnten, oder sie „investierten“ die Token für vier Wochen und bekamen dann doppelt so viele Belohnungen per Post geschickt. Je besser die Kinder dem Impuls widerstehen konnten, gleich ein Geschenk zu bekommen, umso geduldiger schätzten die Forschenden sie ein.
Der „Marshmallow-Test“ wirft Fragen auf
Das Vorgehen erinnert an den berühmten „Marshmallow-Test“, mit dem Psychologen lange Zeit vorhersagen zu können glaubten, wie erfolgreich ein Mensch im Leben wird. Darin konnten Vierjährige durch geduldiges Warten zwei Marshmallows bekommen, wenn sie eine Weile darauf verzichteten, einen vor ihnen liegenden Marshmallow zu nehmen. Kinder, denen das besonders gut gelang, hatten später mit hoher Wahrscheinlichkeit größere Erfolge in der Schule und im Berufsleben.
Allerdings hielt dieser simple Zusammenhang einer späteren Überprüfung des Experiments mit einer diverseren Gruppe an Teilnehmenden nicht mehr Stand. Vielmehr spielten für den späteren Bildungserfolg weitere Eigenschaften und eben auch der familiäre Hintergrund eine Rolle.
Diese Einflüsse glauben die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie herausrechnen zu können. Trotzdem bleibt ein klarer Zusammenhang zwischen der Geduld der Kinder im Grundschulalter, ihren Noten in der Sekundarstufe I und der Wahl ihrer weiteren Schullaufbahn. Möglich ist allerdings, dass die Geduld (oder Impulskontrolle) nicht der eigentliche Grund dafür ist, sondern nur eine besonders gut messbare Eigenschaft, die sich aus viel grundlegenderen Wesenszügen ergibt. Trotzdem kann es nicht schaden, bei Kindern frühzeitig die Geduld zu stärken.
Hier sind vier Dinge, mit denen Eltern die Geduld ihrer Kinder fördern:
1. Ein gutes Vorbild sein: Kinder lernen viel durch Beobachtung. Wenn Eltern ruhig und gelassen bleiben, wenn sie auf herausfordernde Situationen treffen, geben sie ihrem Kind schon eine gute Orientierung.
2. Ausdauernde Aktivitäten machen: Viele Spiele und Aktivitäten für Drinnen und Draußen erfordern ein bisschen Geduld, um darin erfolgreich zu sein. Je mehr Eltern das mit ihren Kindern üben, umso leicher fällt den Schülerinnen und Schülern die Geduld auch im schulischen Alltag.
3. Längere Projekte angehen: Ein 1000-Teile-Puzzle, Malen nach Zahlen, Diamond Painting, ein großer Lego-Bausatz – solche Dinge fördern die Geduld, weil sie über einen längeren Zeitraum angelegt sind. Bei kleineren Kindern helfen die Eltern noch mit (und motivieren so auch zum Durchhalten), ältere schaffen das dann auch alleine.
4. Fehler- und Frusttoleranz stärken: Ein wichtiger Grund für Ungeduld ist fehlende Frustrationstoleranz. Wer sich schon von kleinen Rückschlägen demotivieren lässt, hält kein Langstreckenprojekt durch – auch nicht in der Schule. Deswegen sollten Kinder frühzeitig erfahren, dass Fehler normal sind und zum Leben dazu gehören. Eltern sollten sie ermutigen, aus Fehlern zu lernen und nicht aufzugeben, wenn etwas nicht sofort klappt. Das setzt allerdings voraus, dass Eltern es auch ertragen, wenn ihre Kinder Fehler machen …
Geduldige Kinder werden öfter Akademiker – Foto: vecstock/Freepik