Es war eine der raren guten Nachrichten nach dem coronabedingten Lockdown im Frühjahr 2020: Die Schülerinnen und Schüler hatten zwar viel mehr Zeit vor dem Bildschirm verbracht, aber sie hatten sich auch mehr bewegt. Von durchschnittlich 107 Minuten pro Tag war die Bewegungszeit von Kindern und Jugendlichen auf 144 Minuten gestiegen. Viel Lob gab es dafür.
Eine Stunde Bewegung, vier Stunden Bildschirm: Das kann nicht gesund sein
Alles vorbei: Im zweiten Lockdown von Dezember 2020 bis April 2021 sind unsere Kinder wieder zu Stubenhockern geworden. Nur noch 66 Minuten haben sich die Vier- bis 17-Jährigen durchschnittlich pro Tag bewegt, nicht einmal halb so viel wie im Jahr zuvor. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) den aktuellen Daten aus einer Langfriststudie entnommen. Gleichzeitig hat sich die Zeit, die Kinder und Jugendliche täglich vor dem Bildschirm verbrachten, noch einmal um 28 Minuten erhöht, auf nun 222 Minuten am Tag. Die aktuelle JIM-Studie hat sogar eine durchschnittliche Mediennutzungszeit von 260 Minuten täglich ermittelt.
Der Lockdown macht träge – und dick
Und das ist noch nicht das Ende der schlechten Nachrichten: „Die Hälfte der Befragten gab nach eigener Einschätzung an, dass ihre Fitness stark gesunken sei“, berichtet Alexander Woll, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) am KIT. Bei knapp 30 Prozent sei das Gewicht aufgrund der Inaktivität gestiegen. Ein Alarmzeichen, so Woll: „Die Ergebnisse der Studie sind sehr bedenklich, denn Bewegung fördert nicht nur die Fitness, sondern auch das eigene Wohlbefinden und letztlich auch die Abwehrkräfte – was in Zeiten einer Pandemie umso wichtiger ist.“
Im zweiten Lockdown mussten Schüler mehr arbeiten
Über den Grund für die plötzliche Trägheit der Jugend können die Forscherinnen und Forscher bislang nur spekulieren. Vermutlich spielt eine Rolle, dass 2020 die Schulen bei schönstem Frühlingswetter schlossen, während der zweite Lockdown in den Winter fiel – im Regen fällt bewegen schwerer. Außerdem war im ersten Lockdown viel Unterricht ausgefallen, im zweiten waren die Schulen dann besser vorbereitet: „Jetzt müssen die Kinder und Jugendlichen wieder mehr Zeit für den Unterricht aufbringen“, sagt Alexander Woll. Der Forscher vermutet allerdings auch, dass der Frust über die Gesamtsituation den Kindern und Jugendlichen aufs Gemüt drückt und sie deshalb weniger Lust haben, sich zu bewegen.
Jedes dritte Kind zeigt psychische Auffälligkeiten
Wie sehr die Pandemie Familien belastet, hat zuletzt auch die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gezeigt: Vier von fünf Kindern und Jugendlichen fühlen sich durch die Corona-Krise belastet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichten über mehr Streit in den Familien, vermehrte schulische Probleme und ein schlechteres Verhältnis zu Freunden. Jedes dritte Kind zeigt sogar psychische Auffälligkeiten. Und die Eppendorfer Untersuchung bestätigt auch die Beobachtung des KIT: Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie und doppelt so viele wie im ersten Lockdown treiben überhaupt keinen Sport mehr.
Die Pandemie, sie macht unsere Kinder träge, krank und dick.