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Teleteaching wegen Corona: zwischen virtuellem Klassenzimmer und Lagerkoller

Deutschlands Schulen schließen, und die Schüler sollen plötzlich zu Hause übers Internet lernen. Kann das funktionieren? Unsere Autorin hat die erste Woche schon hinter sich und weiß: Das wird anstrengend


März 2020 in Deutschland: Hunderttausende Schüler haben Coronafrei und sollen zu Hause bleiben – aber dort trotzdem lernen. „Das Jahr 2020 darf nicht als das verlorene Jahr in die Bildungsgeschichte der betroffenen Kinder und Jugendlichen eingehen“, mahnt Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Aber wie soll das gelingen, wenn die Plattformen für digitalen Unterricht bisher kaum genutzt wurden? Die Kinder unserer Autorin haben schon eine Woche Teleteaching hinter sich – hier sind ihre Erfahrungen:

Samstag: Hurra, die Schule schließt

„Ab Montag für 14 Tage Homeschooling, yeah, die Kinder jubeln – bei Euch auch?“, textet meine Freundin am Samstagnachmittag. Unsere Töchter besuchen dieselbe Schule. Wenige Minuten zuvor ist eine Rundmail der Schulleitung eingetrudelt: Zwei Schüler seien positiv auf das Corona-Virus getestet worden, die Schule werde geschlossen, der Unterricht finde weiter statt: Online. ONLINE?

Während die Töchter immer noch Freudentänze aufführen („Lernen im Schlafanzug!“, „Länger schlafen!“, „Ich geh‘ zwischendurch Basketballspielen“), verschieben wir gedanklich unsere wohlgeordnete Alltagsroutine in den Papierkorb, informieren unsere Arbeitgeber, werden ins Homeoffice geschickt, organisieren zwei Laptops, aktualisieren Zugänge, stabilisieren das WLAN und linsen neugierig in eines der virtuellen Klassenzimmer, die bereits eingerichtet sind.

„Teams“ heißt die Internet-Plattform, auf die Unternehmen normalerweise Mitarbeiter und Außenstehende einladen, um Gedanken und Arbeitsmaterialien zu teilen. Ab Montag sollen sich hier in virtuellen Klassenzimmern Lehrer und Schüler tummeln. Sie wollen Arbeitsblätter abrufen, ausfüllen und hochladen, chatten, Videos anschauen, lautstark diskutieren und vieles mehr. „Wie soll das denn bitte klappen?“, murmele ich skeptisch, während ich versuche, das abgestürzte Laptop wieder hochzufahren. Bislang gilt die Plattform als ambitioniertes Zukunftsprojekt, vereinzelt genutzt von Pädagogen, um jenseits aller Kenntnisnahme Zusatzmaterial für ambitionierte Schüler abzulegen. Nett zwar, aber irgendwie nicht in den Unterricht integrierbar. Einen Testlauf? Gab es nie.

Montag: Überraschung – Teleteaching funktioniert!

Am Montag um 8:15 Uhr fahren rund 2000 Fünft- bis Zwölftklässler ihre PCs, Laptops, Tablets und Smartphones hoch und loggen sich ein – auch unsere beiden Töchter (flankiert von zwei neugierigen Eltern, die jetzt endlich mal Mäuschen im Klassenzimmer spielen können). Die Überraschung ist groß: Wo gestern noch Ödnis herrschte, warten jetzt bunte Kacheln auf die Schüler, jede symbolisiert für ein Fach. Wie die Heinzelmännchen haben Lehrer und IT-Beauftragte über Nacht das Unmögliche bewerkstelligt: virtuelle Klassenzimmer eingerichtet, Schülergruppen freigeschaltet und Online-Unterrichtsinhalte aufbereitet. Chapeau, liebe Pädagogen!

Der 13-Jährigen helfen wir heute noch ein bisschen, die Größere kennt „Teams“ schon und legt gleich los. Die Plattform lässt sich sehr intuitiv bedienen und ist tatsächlich exzellent präpariert. Am Anfang stürzt das Internet ein paar Mal ab, der Ton funktioniert nicht, das ist es aber auch – der Fern-Fachunterricht funktioniert grundsätzlich.

„Englisch fehlt aber“, schreit die Tochter triumphierend, bevor sie schon fast lässig auf die grüne Kachel „Religion“ klickt, den Chatraum öffnet und probeweise ein „Hallo, ich bin da!“ durchs Kabel drückt. Fünf Minuten später haben 25 katholische Mitschüler „Hallo, Grüß‘ Gott und Servus“ gesagt, der Religionslehrer bleibt indes verschollen. „Was machen wir jetzt?“ tippt Nora ratlos ins Textfeld. „Nach zehn Minuten dürfen wir gehen“, behauptet Jonas, Textfetzen fliegen lautlos hin und her, in der richtigen Welt müsste man sich bei diesem Stimmengewirr wohl die Ohren zuhalten. „LOL, der Schmidt ist zu doof, um das zu kapieren“, freut sich Katharina und erhält den erregten Rat, den Text zu löschen. „Ej, der kann das doch lesen!“ Die Stunde endet ohne besondere Vorkommnisse und Lehrer. „Vielleicht ist Religion einfach nicht so wichtig“, mutmasst die Tochter und kritzelt abwesend ein „unentschuldigt gefehlt“ und einen Smiley in ihr Heft.

Bilanz zum Ende des ersten Schultages: Wer den ganzen Schultag über dem Computer brütet, fühlt sich überladen, seltsam traurig und fürchterlich gereizt. Nach Schulschluss giften sich die Geschwister noch stundenlang an – Lagerkoller.

Dienstag: „Du kannst jetzt gehen, Mama!“

Deutsch steht auf dem Stundenplan. Vom Vortag wissen wir: Die Lehrerin beherrscht das virtuelle Instrumentarium aus dem Eff-Eff. In leuchtend roten Lettern prangt das Stundenthema „Indirekte Rede“ auf dem Online-Whiteboard. Marc schreibt: „Prtschlpg“ und erhält gleich darauf einen Rüffel von der Lehrerin: „Lass‘ das, Marc!“ Sofort verschwindet der Blödeltext und wird durch ein „Gelöscht“ ersetzt.

Plötzlich zuckt die Tochter erschreckt zusammen: Das Laptop läutet! Die Lehrerin hat ein Gruppentelefonat gestartet, hektisch klickt die 13-Jährige auf den Hörer. „Ich frage jetzt die Anwesenheit ab. Anna, bist Du da?“, scheppert es aus dem Lautsprecher. Später lädt die Pädagogin ein Video hoch, das die Mädchen und Jungen anschauen und dann per Skype diskutieren sollen. Ich blicke der Tochter mal wieder über die Schulter.

„Wahnsinn!“, entfährt es mir angesichts der Realität gewordenen Schule 4.0 in unserem Esszimmer, vielleicht eine Spur zu laut. „Du kannst dann jetzt auch gehen!“, faucht mich die Tochter stimmlos an und scheucht mich aus dem Raum.

Mittwoch: Hausaufgabe Handstand – und ein Buch lesen

Die 13-Jährige freut sich, dass sie dank Teleteaching morgens länger schlafen kann, die 16-Jährige hat die Nase voll von Distanz-Lernen: „Das Arbeitspensum ist viel höher als sonst und außerdem fehlen die sozialen Kontakte“, motzt sie. Jedes Mal, wenn die Große aus ihrem Zimmer schlappt, um sich in der Küche mit einem Apfel oder einem Stück Schokolade zu versorgen, wirkt sie erschöpfter. Tatsächlich versorgen die Lehrer die Schüler überreichlich mit Arbeitsblättern, die jeden Abend pünktlich bis 23 Uhr bearbeitet, hochgeladen und an die Kursleiter verschickt werden müssen.

Die Jüngere hat indes die Teamarbeit-Funktion auf der Plattform entdeckt und flugs eine private „Basketballgruppe“ eingerichtet. Jetzt kann sie während des Spanischunterrichts mit den Freunden quatschen, ganz wie sonst auch. „Frau Martinez merkt das doch gar nicht“, erklärt sie mir weise. Später steht Sport auf dem Stundenplan. Die Aufgabe für zu Hause lautet: Handstand üben! Im Fach Englisch sollen die Schüler ein englisches Buch lesen und dem Computer ausdrücklich fernbleiben.

Donnerstag: Eltern als wandelnde Spickzettel

Seltsame Blüten treibt der Online-Unterricht: Die Töchter spannen uns Eltern, die wir im Homeoffice arbeiten sollten, als lebende Spickzettel ein. Eben schiebt die Jüngere ihrem Vater eine Aufgabe zur Spiegelung einer Geraden quer über den Esstisch: „Kannst Du das bitte mal machen? Ich hab jetzt keine Zeit.“ Unterdessen brüte ich über einer Analyse des Stormschen „Schimmelreiters“. Geht’s noch!?

Für uns Eltern sind die Tage stressig. Ständig kommen die Kinder, um uns etwas zu fragen – so richtig zum Arbeiten kommen wir nicht. Klar ist: Ohne Homeoffice hätte das Teleteaching wohl nicht geklappt, weil unsere Mädels immer wieder seelisch aufgebaut werden müssen.

Den Kindern fehlt ihr Umfeld und ihr Alltag. Ihre sozialen Kontakte haben wir auf ein Minimum reduziert, Freundinnen-Besuche gibt es nicht. Ganz brav folgen wir hier der Ansage der Schulleitung. Wobei: Ganz halten wir es nicht durch. Heute dürfen die Mädels einmal zum Basketball-Training gehen, um wenigstens etwas Bewegung zu haben.

Freitag: Wir wollen SOFORT wieder normalen Unterricht!

An Tag fünf läuft der Online-Unterricht so erstaunlich unspektakulär und reibungslos, dass es schon fast wieder langweilig ist. Heute allerdings haben wir Handwerker im Haus, es ließ sich terminlich nicht anders regeln. Versehentlich schaltet der Elektriker das WLAN-Netz ab, prompt tönen aus den Zimmern der Mädchen unflätige Schimpfworte. Als als lautes Bohren die 16-Jährige daran hindert, dem Videounterricht zu folgen, erreicht die Krise ihren vorläufigen Höhepunkt: Die Mädchen wollen SOFORT wieder normalen Unterricht haben! Da trifft die Nachricht ein, dass der Online-Unterricht bis zum 19. April 2020 verlängert wird.

Wir gehen jetzt erst einmal geschlossen joggen, ganz im Sinne der heutigen Mail-Botschaft der Schule: „Denken wir daran, dass unsere Kinder unbedingt auch Bewegung brauchen, am besten an der frischen Luft.“ Wie wahr!



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