Meinen & Sagen

Lehrer müsste man sein!

Kaum eine Berufsgruppe wird um die Vorzüge des Jobs so beneidet wie Pädagogen. Warum aber will dann niemand mit ihnen tauschen?


Und was machst du so beruflich?“ Ich zucke zusammen. Eine harmlose Small-Talk-­Frage auf einer Party. Die scheint nun für mich gelaufen, und ich wünschte zumindest für diesen Moment, ich hätte „was Anständiges“ gelernt. Bürokauffrau zum Beispiel. Oder von mir aus auch Apothekerin. Über diese Berufsgruppen gibt es wenig Klagen und selten (vermeintliches) Fachwissen. Stattdessen antworte ich wahrheitsgetreu: „Ich bin Lehrerin.“ Und ahne, was nun kommt.

Mittlerweile kenne ich alle etwa hundert möglichen Fortsetzungen dieses Gesprächs: die mit alternativen Waldorfschuleltern geführten Diskussionen über das leistungsorientierte staatliche Schulsystem („Da können sich die Kinder gar nicht frei entfalten!“) ebenso wie das Wehklagen über die ungerechten Noten des hochbegabten Sohnes („Schau mal, ich habe seine Mathearbeit abfotogra­fiert, Nummer 5 hatten die so gar nicht im ­Unterricht, was meinst du denn dazu?“). Dieses Mal wird meine Antwort als Aufforderung verstanden, die Urlaubstage abzugleichen: „Lehrerin? Toll! Sechs Wochen Sommerferien, so viel Urlaub habe ich nicht mal im ganzen Jahr.“ Ich lächle höflich.

Er fragt: Du bist doch bestimmt verbeamtet, oder? Ich nicke nur stumm

Natürlich könnte ich erwidern, dass ich in diesen sechs Wochen auch hin und wieder am Schreibtisch sitze, um das alte Schuljahr abzuschließen und das neue zu planen. Das erkläre ich jedoch schon regelmäßig im Kindergarten der Erzieherin meiner Tochter, die dort nach drei Wochen Sommerschließzeit mit „Ach, Emma, dich haben wir gar nicht erwartet, deine Mama hat doch noch frei“ begrüßt wurde. Zudem bin ich es langsam leid, mich überall bei mir teilweise kaum bekannten Leuten für die Vorzüge meines Berufs rechtfertigen zu müssen. Leider kommt mein Gegenüber nun erst richtig in Fahrt: „Du bist doch bestimmt verbeamtet, oder?“ Ich nicke nur stumm. „Mensch, quasi unkündbar, und deine Pension ist dir auch sicher. Und viel tun musst du dafür nach 15 Berufsjahren sicher auch nicht mehr, steht doch schon alles fertig in deinen Ordnern. Echt, so gut hätte ich es auch gern.“

Stimmt, mich quälen in der Tat keine finanziellen Sorgen oder Ängste um meinen Job. Das weiß ich auch zu schätzen. Die Kehrseite davon ist, dass ich als Landesbeamtin nicht mal eben in ein anderes Bundesland ziehen oder den Beruf wechseln kann. Beides geht, Ersteres braucht aber oft jahrelangen Vorlauf, und wer nicht mehr Lehrer sein möchte, kann zwar den Beamtenstatus kündigen, verliert damit aber auch etwa die Hälfte seiner Altersvorsorge. Und ja, in meinem Regal stehen meterweise gefüllte Ordner mit ­Unterrichtsmaterial. Einiges kann ich wiederverwenden (ein Maler streicht die Wände vermutlich auch nicht jedes Mal auf eine neue Weise), einige Inhalte sind aber schlichtweg veraltet, gefallen mir nicht mehr, passen nicht mehr zum Schulcurriculum oder zur Klasse.

„Welche Fächer unterrichtest du denn?“, stellt mein Gesprächspartner jetzt die entscheidende Frage. Ich wusste es, nun bin ich endgültig erledigt. „Mathe und Biologie“ antworte ich wahrheitsgemäß. Mit zwei Fremdsprachen wäre mir wenigstens ein wenig Verständnis aufgrund der ­zahlreichen Korrekturen sicher, aber so: „Mathe – wie praktisch! Da musst du bei Klassenarbeiten ja nur schnell die richtigen Ergebnisse abhaken.“

Ich biete an, die Jobs zu tauschen – dann könnte ich auch mal pünktlich Feierabend machen

Bei so viel Neid kann ich einfach nicht ­anders: Ich biete großzügig an, die Jobs zu tauschen, damit der Herr mir gegenüber endlich auch mal auf der beruflichen Sonnenseite des Lebens stehen darf. Morgens ein bisschen Hampelmann machen, nachmittags im Garten liegen und notfalls abends mal ein paar Häkchen an Rechenergebnisse setzen. Ich würde dafür an seiner statt in der Bibliothek Bücher in Regale stellen, hin und wieder ein paar Exemplare an leise flüsternde statt laut grölende Kunden ausleihen (und wer doch laut ist, den darf ich rausschmeißen!) und vor allem pünktlich Feieraband machen.

Ich könnte abends vor dem Fernseher sitzen ohne schlechtes Gewissen, weil die Stunden für den Folgetag zwar gut, aber sicher noch nicht perfekt vorbereitet sind. Und ­einen Film in Ruhe ansehen ohne Unterbrechung durch das Klingeln des Telefons („Meyer hier, kann ich Sie kurz stören? Es geht um den Vorfall heute in der großen Pause“). Dazu hätte ich ein Büro fünf Kilometer weit weg, sodass der mit unkorrigierten Arbeiten beladene Schreibtisch mich am Wochenende nicht jede freie Minute klagend anschaut.

Ich kann auch nicht so mit ­pubertierenden Siebtklässlern. Wer kann das schon außer der Super­nanny?

Während ich so vor mich hin träume, erklärt mir mein Gesprächspartner, warum er mein gut gemeintes Tauschangebot keinesfalls annehmen ­könne: „Du, ich kann einfach nicht so mit ­pubertierenden Siebtklässlern, ich weiß ja, wie ich damals war, haha.“ Ja, ich weiß auch noch, wie ich damals war, vor 30 Jahren. Dabei waren das noch die Zeiten, wo die Eltern den Lehrern recht gaben und Strafmaßnahmen von Vater, Mutter und Kind fast klaglos ­akzeptiert wurden. Ich kann auch nicht so mit ­pubertierenden Siebtklässlern. Wer kann das schon außer der Super­nanny? Ich kenne, ehrlich gesagt, auch niemanden, der Lehramt studiert hat, weil er so große Freude an der Arbeit mit lustlosen Halbstarken hat. Gehört aber eben zu meinem Beruf dazu. ­Finde ich auch in Ordnung – ich bin mir ­sicher, dass auch Bibliothekare nicht immer alles toll finden in ihrer Bücherei.

Dennoch hört man selten „Ach, Bibliothekarin/Verkäufer/Maler müsste man sein!“ Diesen Stoßseufzer kenne ich eigentlich nur vom Lehrerberuf: Viele Menschen preisen die Vorzüge des Lehrerdaseins, paradoxerweise werden aber gleichzeitig vielerorts Lehrer gesucht. Trotz der vielen Ferien, freien Nachmittage und einem sicheren Einkommen.

Ob ein Arzt auch bei jedem Gipsverband dessen Notwendigkeit darlegen muss?

Vielleicht, weil man viel Enthusiasmus benötigt, um mehrere Jahrzehnte lang pubertierenden Mittelstufenschülern ­binomische Formeln oder Grundschülern mit Migrationshintergrund Rechtschreib­regeln beizubringen. Oder vielleicht auch, weil man sich nicht nur auf Partys, sondern ­zunehmend auch vor den ­Eltern für sein Handeln rechtfertigen muss: Methodisches Vorgehen und pädagogische Maßnahmen werden ebenso infrage gestellt wie schlechte ­Noten auf dem Zeugnis. ­Wandertage werden nicht mehr zur Kenntnis genommen, sondern kritisch überprüft, ob sie ­genug Bildungsinhalte vermitteln. Ob ein Arzt auch bei jedem Gipsverband dessen Notwendigkeit darlegen muss?

Bevor ich mir von einem Nichtpädagogen weitere ­Lobeshymnen auf den Lehrerberuf anhören darf – die gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Option eines Sabbatjahres beispielsweise –, ergreife ich die Flucht und schlendere zum Buffet. Freundliche Menschen beziehen mich in ihre Unterhaltung mit ein: „Und was machst du so beruflich?“ Nicht schon wieder! „Ich leite ein Team mit 29 Mitarbeitern, die an naturwissenschaftlichen Fragen arbeiten.“ „Ah ja … Hast du schon den Nachtisch probiert?“ Na bitte, geht doch – Party gerettet!



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