Zugegeben, als ich vor 21 Jahren bei einer Ultraschalluntersuchung eher zufällig das Geschlecht meines Babys erfuhr, bin auch ich ein wenig zusammengezuckt. Ich hatte es nicht wissen wollen, doch ein unbedachter Blick auf den Monitor machte unmissverständlich klar: Es wird ein Junge! Werde ich ihn überhaupt verstehen können?, war mein erster wirrer Gedanke. Oder wird er mir immer fremd bleiben? Ich bin mit einer Schwester und vielen Cousinen aufgewachsen, von Jungs hatte ich keine Ahnung. Würde ich ihn also genauso lieben können wie ein Baby mit gleichem Chromsomensatz wie meinem? Kann ich eine gute Jungs-Mutter sein?
Es kam natürlich anders. Mein kleiner Junge war einfach bezaubernd. Schon als Baby war Paul freundlich und unkompliziert. Wenn wir in einem Restaurant saßen, krabbelte er von Tisch zu Tisch, zog sich an den Stühlen hoch und strahlte die fremden Leute an, als wolle er sie in einen Small Talk verwickeln. Überhaupt haben wir immer gut reden können. Während der Schulzeit haben wir oft stundenlang diskutiert, und auch heute fragt er mich um Rat, wenn ihn etwas bedrückt. Seit gut einem Jahr genießt er sein Studenten- und WG-Leben in vollen Zügen, aber wir gehen oft zusammen ins Theater, und zu seiner Einweihungsparty hat er mich wie selbstverständlich eingeladen. Keine Frage, wir stehen uns nahe, und ich war immer sehr glücklich mit meinem Sohn.
Als Jungs-Mutter wurde mir immer wieder ein Gefühl der Unzulänglichkeit vermittelt. Offenbar ist es in unserer Gesellschaft ein Makel, Junge zu sein
Was mich allerdings von Anfang an irritiert hat, waren die Reaktionen von außen, die mich immer wieder als Jungs-Mutter einsortierten und mir dabei ein Gefühl von Unzulänglichkeit vermittelten. Wenn Paul wie alle Babys mal krank wurde, hieß es gleich: „Jaja, die Buben, die sind einfach viel infektanfälliger.“ Später im Kindergarten musste ich mir bei Elternabenden anhören, die Wasserspritzpistole sei zu militaristisch (ist Nagellack bei dreijährigen Girlies dann sexistisch?), und in der Grundschule sollte ich ihn wie selbstverständlich zu einem Antiaggressionstraining schicken (was ich nicht getan habe). Offenbar ist es in unserer Gesellschaft mittlerweile ein Makel, ein Junge zu sein.
„Ich bin so froh, dass ich ein Mädchen krieg“, sagte vor Kurzem eine schwangere Kollegin aus tiefstem Herzen. Es war nur ein spontaner Ausruf, aber er bringt auf den Punkt, was ich seit Jahren zunehmend beobachtet habe. Mag sein, dass es nur meine „gefühlte Wahrheit“ ist, aber mir scheint, dass sich immer mehr Frauen unbedingt ein Mädchen, wenigstens als erstes Kind, wünschen. Eine Freundin brach sogar in Tränen aus, als sie erfuhr, dass es doch „nur“ ein Junge wird.
Klar, wir Frauen müssen keinen Stammhalter mehr gebären, keine Krieger und keine Ernährer. Aber sind Söhne deswegen gleich zum Heulen? Offenbar schon. Jungs, sofern man den Warnungen vieler Bildungsforscher und Pädagogen glauben mag, gelten als die Verlierer unserer modernen Gesellschaft, während Mädchen und junge Frauen sich – zumindest in den westlichen Industriestaaten – eindeutig auf der Überholspur befinden. Sie sind fleißiger als Jungen und haben statistisch erwiesen die besseren Schulnoten. Sie lesen auch mehr Bücher, sind kommunikativer, machen häufiger Abitur und ergattern oft die besten Studienplätze. Jungen hingegen gelten als Unruhestifter, sie bleiben häufiger sitzen, werden öfter in Unfälle verwickelt, neigen zur Computersucht und gelten allgemein als maulfaul.
Die Jungs-Mutter weiß: Rabauken sind keine kleinen Freunde
So gesehen ist der Trend zum Wunschkind Mädchen eigentlich nur konsequent. Außerdem kriegen wir unsere Kinder heutzutage ja nicht mehr, weil wir müssen, sondern weil wir sie wollen. Dabei glauben wir an das Ideal einer innigen, freundschaftlichen Eltern-Kind-Beziehung. Mit kleinen Rabauken, die ständig anecken und denen man womöglich jedes Wort aus der Nase ziehen muss, geht das nicht so einfach. Mit kleinen Mädchen hingegen können wir Mütter tun, was wir selbst als Kinder geliebt haben: stundenlang basteln oder wunderbar intime Mutter-Tochter-Gespräche führen. Auch kann man später mit den erwachsenen Töchtern gemeinsam in den Wellnessurlaub fahren, aber mit Söhnen? Und dann ist da ja auch noch die Enkelfrage: Bei der eigenen Tochter kann man relativ sicher sein, dass es eine Bindung zu ihnen geben wird, aber bei einer Schwiegertochter?
Man sagte mir, ich solle aufpassen, dass Paul sich von mir lösen könne. Ich hatte nie Zweifel
Mutter-Sohn-Beziehungen sind in unserer Gesellschaft von Haus aus eher negativ besetzt. So steht ein Mann mit enger Bindung zur Mama schnell im Ruch, ein unreifes Muttersöhnchen zu sein. Und umgekehrt müssen sich Mütter, die mit ihren kleinen Jungen schmusen, noch immer sagen lassen, das sei ungesund. Auch ich habe mir angesichts unserer sehr innigen Beziehung mehr als einmal anhören müssen, ich solle bloß aufpassen, dass Paul sich später mal von mir lösen könne.
Ich habe nie Zweifel gehabt, dass er irgendwann als souveräner Mann seinen Weg gehen wird. Auch wenn ich ihn zum Beispiel länger gewindelt oder gefüttert habe als seine drei Jahre jüngere Schwester. Kleine Jungs brauchen eben in vielem länger als kleine Mädchen, aber genau diese Zeit gesteht ihnen unsere Gesellschaft oftmals nicht mehr zu. Sie müssen mit fünf in die Schule, obwohl sie meistens einfach noch nicht so weit sind, sie müssen still sitzen, obwohl sie eindeutig mehr Bewegung brauchen, und wenn sie dann stören oder gar sitzen bleiben, geraten wir Jungsmütter mit unseren angeblich dysfunktionalen Kindern schnell in die Defensive.
In seinem wunderbaren Buch „Jungen! Wie sie glücklich heranwachsen“ beschreibt der Australier Steve Biddulph sehr eindrücklich, was unsere Söhne tatsächlich brauchen: viel Liebe und Unterstützung von der Mutter, verständnisvolle und starke männliche Vorbilder und eine bestärkende Förderung. Eine gute und innige Mutter-Sohn-Beziehung ist kein Selbstläufer. Sie ist widersprüchlicher und verlangt uns vielleicht mehr Einfühlungsvermögen ab als die Beziehung zu einem kleinen Mädchen, dessen Bedürfnisse und Gefühle wir Mütter ja aus eigenem Erleben kennen. Aber wer sich darauf einlässt, der wird reich belohnt, das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Was ich an Jungs so mag? Ihre Loyalität! Sie stellen nicht gleich alles infrage, sondern halten zusammen
Was ich an Jungs so mag? Ihre unbedingte Loyalität! Denn das habe ich auch bei den Freunden meines Sohnes beobachtet: Jungs sind hundertprozentig loyal. Sie stellen nicht immer gleich alles infrage, sondern halten zusammen. Sie nehmen auch nicht alles gleich persönlich, sondern sagen sich: Die oder der ist heute einfach schlecht drauf. Und sie sind begeisterungsfähig.
Wer kennt sie nicht, die kleinen Jungen, die plötzlich eine Leidenschaft für Planeten, Dinosaurier oder Pokémon-Karten entwickeln und jedes Detail und jeden Namen kennen. Die schönsten Kindergeburtstage habe ich mit kleinen Jungs erlebt, als wir auf Schatzsuche gingen und selbst die coolsten plötzlich überzeugt waren, sie seien einem echten Seeräuberschatz auf der Spur.
Und Jungen sind hilfsbereit. Vielleicht kommen sie nicht immer von allein darauf, was zu tun ist. Aber wenn man sie um Unterstützung bittet, sind sie zuverlässig zur Stelle. Gerade habe ich es wieder erlebt: Als ich mit einer Grippe im Bett lag, habe ich meinen Sohn angerufen, ob er mir etwas zu essen vorbeibringen könnte. Eine Stunde später war er mit Schachteln vom Chinesen da – und wir haben es uns gemeinsam schmecken lassen. Ich bin so froh, dass ich einen Jungen hab!
„Wir Frauen wissen, wie Teenie-Mädchen ticken – und wichtig eine allerbeste Freundin ist“ – Angelika Hesse ist eine begeisterte Mädchen-Mama. Hier lesen Sie ihre guten Gründe dafür
Warum es wundervoll ist, Söhne zu haben – Jungs-Mutter – Illustration: Alexander Aczél
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