Denken & Diskutieren

Hilfe, Eltern auf Facebook!

Eine neue Studie zeigt: Eltern, die sich in die virtuelle Welt einklinken, können die Beziehung zu ihren Kindern stärken. Stimmt das wirklich? Ein Selbstversuch


Sie vibrieren schon morgens neben Marmeladenbroten, unterbrechen Gespräche, leuchten im Dunkeln unter Bettdecken und blockieren fortlaufend Steckdosen („Muss noch laden!“): Die Smartphones meiner Kinder sind ein echtes Reizthema in unserer Familie. Immer wieder diskutieren wir neue Regeln aus und versuchen, einen verträglichen Umgang zu finden. Gar nicht so einfach, denn der Suchtfaktor ist groß. Im gefühlten Minutentakt gibt es neue Nachrichten von WhatsApp-Kontakten. Statusmeldungen auf Facebook und Instagram müssen geliked oder kommentiert werden, in Spielen wie „HayDay“ oder „Clash of Clans“ warten die Freunde wahlweise auf Gemüse- oder Truppenspenden. Ich habe mich früher mit meiner Clique am Dorfbrunnen getroffen, heute befindet sich der soziale Hotspot scheinbar auf der virtuellen Datenautobahn.

Hand aufs Herz: Manchmal bin ich auch ein bisschen eifersüchtig auf das blinkende Ding. Warum ist es immer viel attraktiver, die Nase hinter dem Bildschirm zu versenken, als Zeit mit der Familie zu verbringen? Wieso sind meine Kinder für alles und jeden erreichbar, aber ausgerechnet mein Anruf verhallt ungehört („Sorry, Mama, Akku alle“)? Mein Meckern befördert die Geräte dann zwar regelmäßig ins Offline, doch die Stimmung zu Hause wird dadurch auch nicht besser. Im Gegenteil. Ich frage mich: Muss das Handy so an unserer Beziehungsqualität sägen?

Chat Mama Tochter

Hoffnung schenkt mir eine Studie aus Amerika. Eltern, so das Ergebnis, können mit der gezielten Nutzung von Smartphone und Co. die Bindung zu ihrem Kind verbessern. Auch wenn die Studie eher für größere „Kinder“ gilt, die schon mit einem oder beiden Beinen aus dem Haus sind, verhilft sie zu interessanten Informationen. 367 junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 27 Jahren wurden von einer Doktorandin der Universität Kansas befragt, welche Kommunikationswege sie mit ihren Eltern verbinden, wie oft sie diese nutzen und wie zufrieden sie mit der Beziehung sind. Zur Auswahl standen Festnetz, Smartphone, SMS, Messenger-Dienste (WhatsApp), soziale Netzwerke (Facebook, Instagram, Google+), Online-Games und Video-Chats. Die Ergebnisse zeigen: Je mehr Kanäle Eltern für die Verbindung zu ihren Kindern nutzen, desto zufriedener sind diese mit der Beziehung. Ab und zu eine WhatsApp-Nachricht oder ein „Daumen hoch“ auf Facebook sorgen, so zeigt es die Mini-Studie, für ein Gefühl von Verbundenheit. Also ab, liebe Eltern, auf Facebook!

Wer WhatsApp und Co. dann selbst kennenlernt, kann die Bedürfnisse des Kindes viel besser begreifen und darauf reagieren


Kristin Langer, Mediencoach bei der Initiative „SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht“

Doch gilt das auch für jüngere Kids? Kristin Langer, Mediencoach bei der Initiative „SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht“, erklärt: „Es kann sehr förderlich für die Eltern-Kind-Beziehung sein, wenn Eltern sich auf die Smartphone-Welten ihrer Kinder einlassen.“ Viele Eltern seien nämlich nur aufgrund ihrer Vorurteile so skeptisch: „Wer WhatsApp und Co. dann selbst kennenlernt, kann die Bedürfnisse des Kindes viel besser begreifen und darauf reagieren.“

Also starte ich den Selbstversuch: WhatsApp wird installiert, ich registriere mich bei Instagram, und mein jüngster Sohn überredet mich zur Installation der „HayDay“-App, einer Bauernhofsimulation, bei der man mit Freunden Mais und Tomaten tauschen kann. WhatsApp ist sofort präsent: Freundinnen gratulieren mir, dass ich „endlich dabei“ bin, und ich werde zu Gruppen hinzugefügt (Nachbarn, Elternstammtisch, Kollegen). Plötzlich ist es mein Handy, das im Minutentakt Geräusche macht. Mit den Kindern teile ich eine Familien-Gruppe, in der auch Opa Mitglied ist. Das ist richtig nett! Denn den Tag versüßen nun kleine Nachrichten. Mein Sohn schickt mir bunte Herzen ins Büro. Über Instagram erfahre ich, was es mittags in der Mensa gibt, und mit dem Jüngsten tausche ich fröhlich Bauernhoferfahrungen („Hey, nächstes Level! Cool!“).

Mein Beitritt in die virtuellen Welten eröffnet mir ganz neue Blickwinkel auf das Leben meiner Kinder. Ich sehe, dass unsere Absprachen über Profilbilder und Konten (keine Gesichter, keine echten Namen) eingehalten werden. Das schafft Vertrauen in meinem Mutterherzen. Auf Instagram kann ich nun live sehen, was sie erleben, wenn sie unterwegs sind. Über die Follower-Funktion kann ich sogar über Freunde meiner Kinder Eindrücke sammeln. Das meiste, was ich dort sehe, gefällt mir. Wie beruhigend!  Auch ich fange an, ab und zu ein Bild bei Instagram zu posten: die erste Frühlingsblume, unseren schlafenden Hund. Und es dauert nicht lange, bis ich die ersten Likes von meinen Kindern und sogar ihren Freunden bekomme. Das schmeichelt meiner neuen Cyber-Seele.

Was mir auch gefällt: Meine virtuelle Teilhabe erhöht unsere Kommunikation. Aufgrund der Bilder und Posts erfahre ich von Dingen, die sie mir sonst gar nicht erzählt hätten. Zudem habe ich noch viele Fragen zur Technik: Wie stelle ich mein Handy richtig ein? Wie gründe ich eine WhatsApp-Gruppe? Meine Söhne genießen es sichtlich, mir mal etwas erklären zu können.

Chat Mama Tochter – Magazin SCHULE ONLINEAllerdings spüre ich instinktiv: Es gibt Grenzen! Um das Online-Vertrauen zu bewahren, darf ich mich nicht danebenbenehmen. Mediencoach Kristin Langer bestätigt meinen Eindruck: „Eltern sollten sich in den Jugendforen so verhalten, dass sie für ihre Kinder nicht peinlich sind.“ Das heißt: sich selbst nicht übertrieben inszenieren, die Plattformen nicht als Spionage- oder Kritikmöglichkeit nutzen. „Wenn Eltern etwa mit Bildern oder Posts ihrer Kinder nicht einverstanden sind, sollte man das unbedingt persönlich klären und nicht über einen öffentlichen Kommentar.“

Eine Überzeugung treibt mir die virtuelle Welt aber nicht aus: Ich will nach wie vor, dass gemeinsame Mahlzeiten und Gespräche NICHT vom Vibrationsalarm unterbrochen werden. Mein Selbstversuch verschafft mir echte Argumente. Ich weiß, dass auf WhatsApp keine Weltgeschichte geschrieben wird, Instagram nur ein Fotoalbum ist und die Kühe bei „HayDay“ nicht böse sind, wenn sie eine Stunde später gemolken werden. Zudem kann ich meine Kinder mit den eigenen Waffen schlagen – ich schreibe ihnen einfach Nachrichten, wenn sie neben mir auf dem Sofa vor lauter Handy nichts mehr mitbekommen. „Bling“, macht es dann mit ein paar bunten Herzen und einem Grinse-Smiley: „Huhu, ich bin’s: Mama! Lust, mit mir zu reden?“



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