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Mehr vom Papa

Tausche Meeting gegen Spielplatz: Viele Männer schalten heute beruflich einen Gang zurück, weil sie Zeit für ihre Kinder haben möchten. Zwei Väter, ihr neues Leben – und die Stolpersteine


Der Nachmittag gehört Matilda, 2, und Emma, 5, – das ist für Björn Müller-Mätzig aus Hamburg ein ungeschriebenes Gesetz. Der 39-Jährige ist da, wenn Freundinnen der Kinder zum Spielen kommen, fährt die Töchter zu Arztterminen und geht mit ihnen auf den Spielplatz. Ob Spielen, Trösten, Toben oder gemeinsam Kochen – Papa bleibt zuhause: „Die Zeit mit meinen Kindern ist für mich ein echter Luxus, den ich sehr genieße.“

So ein freier Nachmittag war für den Medienanwalt lange überhaupt nicht denkbar. Die Elternzeit übernahm seine Frau. Als Angestellter in einer Kanzlei waren 40 Stunden die Woche für ihn Minimum. „Mein Arbeitgeber, der selbst vier Kinder hat, war zwar sehr verständnisvoll, wenn ich mal dringend nach Hause musste. Aber grundsätzlich war die Zeit für die Familie schon sehr aufs Wochenende und den Urlaub begrenzt.“

Doch dann kommt alles anders: Björns Frau, ebenfalls Anwältin, bekommt ein Jobangebot, das sie nicht ausschlagen kann. Doch dafür muss die Familie, die zu diesem Zeitpunkt noch in München lebt, in den Norden ziehen und einen Weg finden, Beruf und Familienleben miteinander zu vereinbaren. Björn geht in den inneren Dialog: Was ist mir wichtig? Was erwarte ich vom Leben? Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: mehr Zeit für die Familie! Björn entscheidet sich für den Rollentausch und kündigt seinen Job in München. Sein Plan: sich in Hamburg als Spieleentwickler selbstständig machen und im Homeoffice arbeiten, wenn die Mädchen in der Kita sind.

 

Ein Lebensplan, den auch Thomas Schneid aus München lebt. „Ich bin in die Selbstständigkeit allerdings eher unfreiwillig gerutscht, weil ich meine Festanstellung verloren habe.“ Der 45-Jährige hat sein Büro im Souterrain des Einfamilienhauses und arbeitet dort als freier Grafiker und Illustrator. An die unbeständige Auftragslage musste er sich anfangs sehr gewöhnen, mittlerweile weiß der Vater der achtjährigen Bianca und ihres elfjährigen Bruders Julian seine Freiheiten zu schätzen.

Zum Beispiel als sich vor ein paar Wochen Julian in der Tür zum Klassenzimmer den Daumen quetscht und bricht. „Als die Schule angerufen hat, bin ich sofort losgefahren“, erzählt Thomas. „Julian saß völlig fertig im Sekretariat. Ich hab ihn getröstet und ins Krankenhaus gebracht. Da habe ich nur gedacht, wie gut, dass ich so flexibel bin und die ganze Zeit bei ihm bleiben kann.“

Da sein – das ist für beide Väter eine zentrale Motivation. „Ich will mit meinen eigenen Augen sehen, wie sich meine Kinder entwickeln“, sagt Thomas. Björn weiß aus seiner Kindheit um die Vorzüge präsenter Eltern: „Mein Vater war als Arzt selbstständig und oft für mich und meine Geschwister da. Ich fand es zum Beispiel großartig, dass wir so häufig zusammen Mittagessen konnten.“

Auch Thomas und Björn setzen solche klaren Schwerpunkte und basteln ihren Beruf um die Bedürfnisse der Familie. Thomas räumt morgens, wenn die Kinder das Haus verlassen haben, die Küche auf, geht mit dem Hund raus und macht die Betten. Dreimal die Woche essen die Kinder mittags in der Schule, an den zwei anderen Tagen rührt der Papa in den Töpfen. Danach hilft er bei den Hausaufgaben, fährt den Sohn zum Fußball oder die Tochter zum Trommeln. „Wenn meine Frau von der Arbeit kommt und Zeit hat, verschwinde ich wieder an den Schreibtisch.“ Ganz ähnlich läuft es bei Björn: Treffen mit Geschäftskunden werden zum Beispiel auf den Abend gelegt, wenn Björns Frau auf die Kinder aufpassen kann.

Meine Frau ist glücklich mit ihrem Job, ich verwirkliche einen Lebenstraum und bin für meine Kinder daBjörn Müller-Mätzig, 39, Spieleentwickler

„Die Selbstständigkeit ist ideal, um die unterschiedlichen Bedürfnisse in meinem Leben zu erfüllen“, sagt Björn. Auch wenn sein neuer beruflicher Weg viel unsicherer ist, Zweifel hat er keine. „Das war eine einmalige Chance: Meine Frau kann den Job machen, der sie glücklich macht, ich kann einen Lebenstraum verwirklichen und für meine Kinder da sein – besser geht es wohl nicht.“ Dass dafür ein zwölf Jahre altes Auto vor dem Carport steht und nicht ständig Urlaub drin ist, stört Björn nicht. „Wir kommen gut klar.“

Björn und Thomas sind Vertreter einer neuen Männergeneration: gebildet und erfolgreich, aber dennoch sehr auf die Familie konzentriert. Nachdem über viele Generationen in Stein gemeißelt war, dass Männer die Rolle des Ernährers in einer Familie zu besetzen haben, möchten sie heute einen Teil vom Familienkuchen abhaben und nicht nur morgens im Dunkeln das Haus verlassen, um abends höchstens noch mal einen Blick auf die bereits schlafenden Kinder werfen zu können.

„Wenn ich meine Kinder nach der Arbeit fragen würde, wie ihr Tag war, erführe ich doch nichts“, sagt Thomas. „Die meisten Dinge passieren spontan. Kinder erzählen von sich, weil sie gerade Lust dazu haben, und nicht, weil Papa gern eine Zusammenfassung hören möchte.“

Angst davor, dafür im Job den Anschluss zu verpassen, haben Thomas und Björn nicht. „Ich bin da sehr entspannt“, sagt Thomas. „Ich hatte sehr intensive Berufsjahre und bin froh, dass ich es heute ruhiger angehen lassen kann.“ Björn blickt positiv in die Zukunft: „Im Frühjahr ist mein erstes Spiel auf den Markt gekommen. Darüber freue ich mich total.“

Was Väter so wichtig macht

  • Eigenständig werden
    Ein präsenter Vater erleichtert seinem Kind die Lösung von der Mutter – so lautet das zentrale Ergebnis der Literaturstudie „Vaterschaft und Elternzeit“ im Auftrag des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Engagement eines aktiven Vaters
    helfe dem Kind, selbstständig
    zu werden und sich emotional und kognitiv optimal zu entwickeln.

  • Klug werden
    Die Anwesenheit eines Vaters kann viel dazu beitragen, dass Kinder intelligent werden – das zeigt zumindest eine Langzeitstudie der Con-cordia University in Kanada. Kinder, die in der frühen Kindheit und Pubertät einen Vater zur Seite hatten, entwickelten demnach eine höhere Intelligenz und seltener soziale Auffälligkeiten. Als Erklärung nennen die Forscher die Rolle der Väter als Grenzensetzer und Strukturgeber.

  • Differenzierter denken
    Studien belegen, dass das emotionale Verständnis von Kindern breiter aufgestellt wird, wenn sie durch Mutter und Vater unterschiedliche Blickwinkel auf Problemsituationen bekommen. Väter trösten, streiten und ärgern sich anders als Mütter. Eine enge Bindung zu beiden Elternteilen sorgt demnach für ein größeres Gefühlsverständnis bei Kindern.

  • Selbstbild entwickeln
    Eine australische Langzeitstudie zeigt, dass lange Arbeitszeiten der Väter vor allem den Söhnen schaden. Sie zeigen deutlich häufiger Verhaltensauffälligkeiten, wenn sie nicht ausreichend mit dem männlichen Vorbild in Kontakt stehen.

Selbst das Image stimmt. Männliche Freunde und Kollegen reagieren meist mit viel Bewunderung auf die immer noch ungewöhnlichen Lebensentwürfe der beiden. „Wenn ich anderen erzähle, wie viel Zeit ich mit meinen Kindern habe, ernte ich manchmal auch ein bisschen Neid“, sagt Thomas. Unmännlich fühlt er sich mit seinem Teilzeitjob nicht. „Ich glaube, dass noch viel mehr Väter Beruf und Familie flexibler handhaben würden, wenn sie es denn könnten.“

Das glaubt auch Barbara Streidl aus München. Die Autorin der Streitschrift „Lasst Väter Vater sein“ (siehe Buchtipp unten) ist überzeugt: „Viele Väter werden in ihrem Wunsch nach mehr Familienleben blockiert. Hauptsächlich von ihren Arbeitgebern, aber es gibt auch Partnerinnen, die das mit den Kindern lieber allein machen wollen.“

Die Statistik gibt ihr Recht. Aktive Väter sind (immer noch) in der absoluten Minderheit. Nur 32 Prozent nahmen nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2013 das Elterngeld in Anspruch, die meisten davon für höchstens zwei Monate. Danach geht es in aller Regel zurück in die Vollzeitstelle. Zu Hause bei den Kindern bleiben die Mütter – 70 Prozent arbeiten nach der Elternzeit in Teilzeit.

Gründe für diese Rollenteilung der Geschlechter gibt es viele. Das Ehegattensplitting, die immer noch ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen oder auch die gesellschaftlich noch weit verbreitete Vorstellung, dass unbedingt die Mutter zum Kind gehört. „Wir wissen aber heute, dass Kinder sehr davon profitieren, wenn sie in ihrem Alltag Mama und Papa erleben“, erklärt Streidl.

Björn sieht das genauso: „Als Mann kann ich meinen Kindern noch mal ganz andere Impulse und Sichtweisen mitgeben, vor allem weil in Kindergärten und Schulen fast nur Frauen arbeiten.“ Papa kann Fußball, aber auch Barbie spielen, toben, aber auch kuscheln: „Väter sind keine Mütter zweiter Klasse“, sagt Streidl. „Studien zeigen ganz eindeutig, dass Väter, die Verantwortung übernehmen, genauso wertvoll für ihre Kinder wie ihre Frauen sind.“

TIPPS

  • BUCH: Befreiter Papa

    In ihrem Buch „Lasst Väter Vater sein“ fordert die Journalistin Barbara Streidl die Männer auf, „aus dem Schatten der Mütter“ herauszutreten – und Frauen und Chefs, das zuzulassen. Beltz Verlag, 16,95 Euro

  • INTERNET: Starke Spiele

    In seinem Verlag bringt Björn Müller-Mätzig seit dem Frühjahr 2016 zunächst selbst entwickelte Spiele heraus:
    www.mueller-maetzig-spiele.de

  • INTERNET: Routinierter Kreativer

    Tom Schneid ist Grafiker für viele Zeitschriften, im Kreativmarketing und als Illustrator tätig. In seiner Freizeit singt er in einer Rockband.
    www.onkeltomshuette.com

Doch was müsste sich ändern, damit das Motto „Papa bleibt zuhause“ mehr Nachahmer findet? Damit mehr Väter gleichberechtigt am Familienleben teilhaben können? Streidl glaubt fest, dass die Wurzel allen Übels falsche Prioritäten sind: „In unserer Gesellschaft dreht sich alles um Arbeit und Leistung. An erster Stelle müsste aber die Familie stehen.“ Sie fordert ein Umdenken in der Arbeitswelt: weg von der Präsenzkultur, die nur in Vollzeitstellen tickt und ihren Mitarbeitern jeden Raum für Flexibilität nimmt. „Wir brauchen hochwertige Teilzeitstellen, Stundenkonten und Homeoffice-Optionen, die es Leuten ermöglichen, berufstätig und gleichzeitig Familienmensch zu sein.“

Björn und Thomas können das nur unterstreichen: Sie sehen bei Freunden und Exkollegen, dass das Vatersein bei einer Vollzeitstelle oft nur sehr eingeschränkt stattfindet. „Das tut mir dann immer so leid für die anderen“, sagt Thomas. „Es ist so wertvoll zu erleben, wie die Kinder sich heute entwickeln, denn die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.“

 

Fotos: Claudia Höhne / Magazin SCHULE



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