Wenn alle zwei Wochen im Berliner Süden bei Familie Keßler die Mülltonne des Sechs-Personen-Haushalts geleert wird, ist sie meist nur halb voll. „Ich mag Wegschmeißen einfach nicht“, sagt Elke Keßler. Deswegen enden Dinge aus ihrem Haushalt nur selten im Müll. Die Wohnzimmercouch stammt noch aus Studentenzeiten, das Massivholz hat sich seit der Anschaffung 1992 bei IKEA gut gehalten, nur die Polsterung hat Elke Keßler vor Kurzem aus Naturmaterialien erneuert.
Natürlichkeit steht hier im Vordergrund, geputzt wird mit Wasser und Mikrofasertüchern. Alle vier Kinder der Familie – der Jüngste ist sechs, der Älteste 16 Jahre alt – sind mit Stoffwindeln groß geworden. „Natürlich können wir als Familie nicht die Welt retten“, sagt Elke Keßler. „Aber mein Mann und ich möchten unseren Kindern später einmal sagen können: ,Wir haben versucht, was wir konnten.‘“
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist schon über 300 Jahre alt, als Konzept jedoch erst in den vergangenen 20 Jahren richtig bekannt geworden. Gemeint ist, nicht mehr zu verbrauchen als vorhanden ist oder nachwachsen kann. Das ist auch dringend notwendig: Laut aktuellem „Living Planet Report“ der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) verbrauchen wir jedes Jahr 50 Prozent mehr Ressourcen, als die Erde im selben Zeitraum regenerieren kann. „Machen wir so weiter“, schreibt der WWF, „benötigen die Menschen bis zum Jahr 2030 zwei komplette Planeten, um den Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken.“ Die Folge unserer Maßlosigkeit: gerodete Wälder, überfischte Ozeane, Dürren und Artensterben. Seit 1970 hat sich die Zahl der Säugetiere, Vögel, Fische und Pflanzen im Durchschnitt bereits halbiert.
Obwohl Nachhaltigkeit in aller Munde ist, passiert bisher wenig. In Deutschland ist der ökologische Fußabdruck seit zehn Jahren fast konstant geblieben – auf zu hohem Niveau. Pro Kopf werden in Deutschland aktuell zehn Tonnen CO2 ausgestoßen, im weltweiten Schnitt sind es gerade einmal sechs Tonnen. Um die globale Erwärmung auf 2 °C zu begrenzen, dürften es nicht mehr als zwei Tonnen Kohlendioxid pro Person sein.
Dabei ließe sich die eigene Kohlendioxid-Bilanz leicht halbieren, meint Yvonne Zwick vom Rat für nachhaltige Entwicklung, der 2001 von der Bundesregierung berufen wurde. Dazu reiche es, sich an fünf grundsätzliche Tipps aus den Bereichen Wohnen, Mobilität und Lebensmittel zu halten (siehe Tabelle weiter unten). Allein durch den Wechsel zu einem Ökostromanbieter könne eine dreiköpfige Familie jährlich bis zu zwei Tonnen CO2 einsparen.
Eltern haben oft ein ganz persönliches Interesse daran, zu einer guten Zukunft beizutragen: Sie wollen gute Vorbilder sein, und ihre Kinder stellen Fragen. „War das mal ein Baum, Mama?“, wollte etwa die fünfjährige Tochter von Julika Castro vor einiger Zeit wissen, sie zeigte auf die Küchenrolle. Ihr Lebensstil sei auch vorher schon sehr bewusst gewesen, sagt Castro. „Aber wir sind konsequenter geworden.“ Um in der Stadt wohnen zu können, ihren beiden Kindern aber gleichzeitig ein Verständnis für Natur und Kreisläufe zu vermitteln, haben Julika Castro und ihr Mann vor zwei Jahren eine Kleingartenparzelle gepachtet, auf der sie Kartoffeln, Obst und Gemüse anbauen und viele Nachmittage verbringen.
In fünf Schritten zu mehr Nachhaltigkeit
Stromanbieter wechseln
Ein Ökostromanbieter, mit dem der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert wird, ist in vielen Regionen sogar günstiger als der
Standard-Energieversorger.Clever heizen
Wer die Durchschnittstemperatur daheim um ein Grad senkt, spart sechs Prozent Energie. Isolierplatten hinter den Heizungen verhindern, dass Wärme unnötig ans Mauerwerk abgegeben wird.Bewusst Auto fahren
Ein eigenes Auto lohnt sich ökonomisch erst ab ungefähr 10 000 Kilometern im Jahr, vorher sind Mietwagen, Carsharing und selbst Taxifahrten günstiger.Seltener fliegen
Wer mit dem Flugzeug reist, sollte zumindest zwei Wochen am Urlaubsort bleiben. Bei vielen Reiseanbietern lassen sich mittlerweile CO2-Emissionen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte kompensieren.Zurück zum Sonntagsbraten
Die Menge macht’s! Jeder Deutsche verspeist im Jahr 60 Kilogramm Fleisch – auch aus Sicht von Ernährungswissenschaftlern deutlich zu viel. Lieber nur einmal in der Woche gutes (Bio-) Fleisch auftischen, als mehrmals in der Woche auf billige Angebote zurückzugreifen.
Im Alltag praktizieren die Castros ein Misch-Modell: Sie sind keine strengen Vegetarier, aber sie kaufen kein Fleisch aus Massentierhaltung. Sie haben ihr Auto abgeschafft, fliegen aber einmal im Jahr als Familie in den Urlaub. Sie achten im Supermarkt auf Regionalität und Saisonalität, aber wenn die Kinder nach einem langen, in Sachen Obst recht einseitigen Winter unbedingt Birnen essen wollen und die einzige Sorte aus Argentinien kommt, dann machen sie mal eine Ausnahme. „Es ist eine Annäherung an ein Ideal, ohne dogmatisch sein zu wollen“, sagt Julika Castro. Der 36-Jährigen ist wichtig, sich mit den ökologischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhängen zu beschäftigen: „Ich verstehe nicht, wie man sich diesen Dingen verschließen kann.“
Während das Bewusstsein für Themen wie Ernährung und Tierschutz in den vergangenen Jahren größer geworden ist, fällt es Verbrauchern immer noch schwer, Konsequenzen bei Produkten wie Kleidung, Elektronik oder Autos zu ziehen. „Der gesellschaftliche Druck wiegt häufig mehr als der Nachhaltigkeitsgedanke“, sagt Expertin Yvonne Zwick. „Gerade unter Schülern ist es ja oft leider wichtig, ob man ein Smartphone besitzt und welche Jeans man trägt.“ Ein anderes Problem sei, dass unser Konsum als solcher kaum hinterfragt werde, sagt Zwick. Meist gehe es nur darum, wie fair, grün oder bio ein Produkt sei. „Aber ob die Produktionsbedingungen beim 101. T-Shirt, das ich mir kaufe, besser sind als bei den 100 davor, macht eigentlich keinen großen Unterschied“, sagt Zwick. „Sinnvoller wäre es, ganz auf den Kauf zu verzichten, wenn er nicht notwendig ist.“
Familie Keßler setzt beim Thema Kleidung und Schuhe fast ausschließlich auf Bio- und Naturmode, obwohl die Sachen vergleichsweise teuer sind. „Dafür halten sie länger und lassen sich später sogar wieder gut weiterverkaufen“, sagt Elke Keßler. Was kaputt ist, wird nicht aussortiert, sondern geflickt. „Keines der Kinder wäre zu eitel, um das dann zu tragen.“ Auch mit Upcycling, dem bewussten „neu bewerten“ von alten Dingen, leistet man einen Beitrag zur Ressourcenschonung.
Wir dürfen das Leben ja genießen – nur eben so wenig wie möglich auf Kosten andererElke Keßler
Lebensmittel bestellt die Familie palettenweise beim Naturkost-Großhändler, zusammen mit anderen Familien aus der Gegend. Sie bekommen damit nicht nur gute Qualität von Bauern aus der Region, wegen der großen Menge sind die Waren auch günstiger als im Einzelhandel. Ihren restlichen Bedarf decken die Keßlers im Biomarkt – oder im eigenen Garten.
Gerade, weil sie bei Lebensmitteln, Kleidung und anderen Dingen des täglichen Bedarfs eine gewisse „preußische Sparsamkeit“ praktizieren, wie Elke Keßler sagt, gehen sie entspannt damit um, „wenn nicht all unser Handeln so umweltfreundlich ist, wie es wünschenswert wäre“. Die Familie nutzt Computer und Smartphones, beide Eltern fahren ein Auto, in der Vergangenheit sind die Keßlers auch schon mal auf die Kanaren geflogen. „Wir sind keine dogmatischen Konsumverächter“, sagt Elke Keßler. Man müsse sich nicht groß einschränken, um nachhaltig zu leben. „Wir dürfen das Leben ja genießen – nur eben so wenig wie möglich auf Kosten anderer.“
Internet-Tipp
Wie wir wohnen, was wir einkaufen, wohin wir reisen: Unser Alltag ist voller Entscheidungen, die einen Einfluss auf Umwelt und Natur haben. Einen guten Überblick über viele Konsumthemen liefert der „Nachhaltige Warenkorb“:
www.nachhaltiger-warenkorb.de
Elke Keßler würde sich wünschen, dass auch Schulen ihrer Verantwortung in Sachen Nachhaltigkeit besser gerecht werden. „Im Unterricht werden überwiegend Fakten, aber zu wenig Zusammenhänge vermittelt“, kritisiert die 47-Jährige. Auch dass nicht genug Begeisterung für die Naturwissenschaften vermittelt werde, missfällt ihr – später fehle dann oftmals das Interesse an Umwelt und Natur.
Ihre eigene Haltung wollen die Keßlers ihren Kindern möglichst wenig ideologisch vermitteln. „Ihr Handeln liegt später in ihrer eigenen Verantwortung“, sagt Elke Keßler. „Aber die Wurzeln für ein bewusstes, nachhaltiges Leben sind bei ihnen gepflanzt.“