Noch immer, wenn ich in der Bücherei vor dem Regal mit den Scheidungsbüchern stehe, hämmert mir der Satz im Kopf: „Hiermit wird die Ehe geschieden!“ Ich erinnere mich an meinen Termin. Eigentlich war es ein ganz gewöhnlicher Januartag, kühl und sonnig. Der laute Verkehr, die Menschen, die zur Arbeit hetzten, dieser wunderbare blaue Himmel – alles war so normal. Nur in mir drinnen war nichts normal: Wut, Trauer, Enttäuschung, sogar Erleichterung – alles kam gleichzeitig vor. Obwohl mein Kopf die Entscheidung zur Trennung bestätigte, war mein Herz noch nicht so weit.
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Die vielen Scheidungsbücher mit ihren „wertvollen Tipps“ haben mir auf dem Weg dahin nicht geholfen. Welcher Anwalt richtig ist, wie wir die Finanzen sinnvoll klären – geschenkt. Mir wäre es wichtiger gewesen zu wissen, dass ich nicht allein bin. Dass es völlig in Ordnung war, mich so miserabel zu fühlen. Und vor allem, dass dieser Schmerz nicht ewig da sein und die Kinder trotzdem ganz normal aufwachsen würden.
„Normal“ – das ist eine Scheidung auch heute noch nicht. Trotz hoher Trennungsquoten und Millionen Alleinerziehender: Wenn man erwähnt, dass man geschieden ist, reichen die Blicke der anderen von „Oh, mein Gott, wie könnt ihr den Kindern das antun?“ bis „Zum Glück hat’s mich nicht getroffen“. Man hört, „wie schlimm das Ganze“ doch sei, dass man „den Kindern zuliebe“ auch nach der Scheidung noch einen guten Kontakt zum Expartner pflegen solle.
Hut ab vor denen, die das schaffen, ganz sicher wäre das sinnvoll. Die Realität sieht aber anders aus. Wenn ich mich mit meinem Exmann noch gut verstanden hätte, wären wir jetzt nicht geschieden – eine Ehe aus purer Wut zu beenden, ohne alles Mögliche versucht zu haben, ist verantwortungslos. Genauso falsch finde ich es aber auch, eine nicht funktionierende Ehe aufrechtzuerhalten.
Kein Mensch ist der bessere oder der schlechtere. Wenn die Chemie nicht mehr stimmt, kommen auch zwei sehr gute Menschen nicht mehr miteinander aus. Dann ist eine Scheidung auch für die Kinder die einzig richtige Lösung. Mir hat noch nie jemand gesagt, dessen Eltern sich früher ständig gestritten haben: „Ach, zum Glück sind meine Mutter und mein Vater beisammen geblieben!“ Solche Menschen wären meistens froh, wenn ihre Eltern rechtzeitig den Mut gehabt hätten, sich scheiden zu lassen.
Jede Trennung ist eine Chance für einen Neuanfang
Scheidung als Chance: Denn jede Trennung ist auch eine Gelegenheit für einen Neuanfang, auf ein Leben ohne ständigen Streit und Vorwürfe. Man lernt seine wahren Freunde kennen und weiß, auf wen man sich verlassen kann. Und man lernt, dass man Tiefphasen zulassen muss und überwinden kann. Seit unserer Scheidung weiß ich, wie stark ich eigentlich bin – das spüren auch meine Kinder, und das tut ihnen gut.
„Das Leben geht weiter“, heißt es. Ich würde es eher mit Friedrich Nietzsche sagen: „Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“ Entweder man klammert sich an das Geschehene und leidet für immer, oder man lernt daraus, handelt – und erträgt die Konsequenzen. Dann kann das Leben nach der Scheidung für alle ein schöneres als vorher sein.