Simone Eckart* sitzt in einem bunt bemalten Pappkarton. Vor dem Karton steht Marie, drei Jahre alt; sie hat Geburtstag. Marie kann Simone nicht sehen. Sie sieht nur eine Hupe, die aus dem Karton ragt. Beherzt drückt Marie zu, und schon plumpst ein Schokoriegel vor ihre Füße. Marie jauchzt vor Glück. Der lebende Süßigkeitenautomat, den Simone Eckart für ihre Nichte gebastelt hat, ist ein voller Erfolg.
Simone Eckart, 35 Jahre alt, Single, kinderlos, drei Nichten, gehobene Position, ist eine typische „Pank“. Der Zeitgeistbegriff steht für ein Gesellschaftsphänomen, nämlich für „professional, aunt, no kids“: beruflich erfolgreiche Frauen, die selbst keine Kinder haben, aber begeistert Zeit mit Nichten, Neffen und Patenkindern verbringen. „Meine Ersatzfamilie“, sagt Simone Eckart. „Wobei ich mir das Gute rauspicke: Ich hetze nicht zur Kita oder bestehe auf Brot zur Wurst.“
{Pank} Professional, aunt, no kids – bei Nichten, Neffen und Patenkindern sind moderne Tanten sehr beliebt
Das Gute, das sind der Süßigkeitenautomat, ein Aquariumbesuch, Toben im Garten. Marie genießt es, dass sie bei Tante Simone im Mittelpunkt steht. Simone genießt es, dass Marie vor Freude wie ein Känguru durch die Wohnung hüpft, kaum, dass sie in der Tür steht. Und Maries Eltern? Sind dankbar, dass sie ein bisschen verschnaufen können und Zeit für sich haben, wenn Simone übernimmt. Beide Eltern arbeiten, ihre Tage sind voll. Eine Win-win-Situation für alle also.
Tolle Tanten, die gern Geschenke vorbeibrachten, gab es schon immer. Mussten sie sich früher als kinderlose „alte Jungfern“ belächeln lassen, lässt der moderne Begriff „Pank“ gleich auf ein cooleres Lebensmodell schließen. So war es schon bei „Dinks“ (double income, no kids) und „Lohas“ (lifestyles of health and sustainability).
Solche Etiketten sind interessant für die Wirtschaft, weiß Marina Hennig, Professorin für Netzwerkforschung und Familiensoziologie an der Universität Mainz: „Der Stempel ‚Pank‘ hilft der Werbeindustrie, eine neue Zielgruppe zu erschließen. Tanten und Onkel werden als Werbemasse begriffen, mit der sich Geld verdienen lässt. Denn sie machen Geschenke – mitunter sehr große. Für Spielwarenhersteller oder Bekleidungsfirmen ist das Gold wert in einer Gesellschaft, in der immer weniger Kinder geboren werden.“
9 Milliarden Dollar im Jahr geben Panks in den USA angeblich für Geschenke und Freizeitvergnügen der lieben Kleinen aus
Huch! „Panks“ sind also nur ein Marketing-Phänomen? Diesen Schluss legt auch die Erfindung des Begriffs nahe. Ersonnen hat die Abkürzung die Amerikanerin Melanie Notkin, Gründerin der Online-Plattform Savvy Auntie. Dort finden die Userinnen Tipps für den Kauf hipper Spielsachen, perfekt für die Interessen einer Trendsetter-Tante: cool, weltgewandt und mit genug Kleingeld in der Tasche.
Den „Pank“-Trend nur als neuen Marketing-Gag abzutun, würde aber vielen Frauen wie auch Simone Eckart nicht gerecht. „Das Phänomen verweist auf Veränderungen in unserer Gesellschaft“, glaubt auch Soziologin Marina Hennig. Eine gesellschaftliche Strömung ist immer dann interessant, wenn der Stempel plötzlich auf viele Menschen passt. Und potenzielle „Panks“ gibt es in Deutschland zuhauf: Immer mehr Beziehungen scheitern, immer weniger Kinder werden geboren – und immer mehr Frauen bleiben kinderlos, ob gewollt oder weil es sich einfach nicht ergeben hat. Auch das Zeitfenster, in dem die Deutschen durchschnittlich Kinder bekommen, ist größer geworden. Die Folge: Unsere Freundeskreise werden heterogener; Kinderlose und Eltern unterschiedlichen Alters gehören dazu. Kein Wunder, dass nicht nur Verwandte, sondern auch Freunde „Panks“ werden möchten.
Kinderlose freuen sich, Zeit zum Blödeln und Verwöhnen mit den Kleinen verbringen zu können – und deren Eltern freuen sich über Entlastung. Das Bedürfnis nach Unterstützung ist nach Ansicht von Professorin Hennig ein wesentlicher Faktor für das „Pank“-Phänomen. Heutige Eltern sind meist berufstätig, und nicht bei allen wohnen die Großeltern um die Ecke. „Die Hort- und Schulzeiten passen nicht immer zu den Arbeitszeiten der Eltern“, sagt Hennig. Trotz zunehmender Angebote professioneller Kinderbetreuung steige deshalb der Wunsch nach etwas Hilfe im Alltag.
{Punk} Professional, uncle, no kids – das männliche Pendant ist ein Onkel, mit dem man Pferde stehlen kann
In diese Lücke stößt Simon Braun*, 43 Jahre. Er hat sich bewusst gegen Kinder entschieden. Doch mit seinem Neffen Anton, 15 Jahre, verbringt er oft und gern Zeit. Die beiden machen Sport, gehen ins Kino, reden. Einmal pro Jahr verreisen sie, immer in den Sommerferien. Die könnte seine Schwester, alleinerziehend, sonst kaum überbrücken. „Ich mache das aber nicht nur, um meiner Schwester zu helfen“, betont Braun. Er sei gern mit seinem Neffen zusammen. „Inzwischen erzählt Anton mir Dinge, die seine Mutter nicht wissen soll – in wen er gerade verliebt ist, beispielsweise“, sagt Simon Braun. Ihn freut das, seine Schwester auch: Ihr Sohn hat eine Bezugsperson mehr.
Anja Schuster*, 37, ist Betriebswirtin und vierfache Tante. Sie sagt, dass sie manchmal mitleidige Blicke ernte, wenn sie erzähle, wie viel Zeit sie mit ihren Nichten und Neffen verbringt. „Viele denken wohl: die Arme! Die hat keinen Mann zum Kinderkriegen abbekommen.“ Die Wahrheit sei: „Ich liebe meine Neffen und Nichten – aber eigene Kinder verändern so vieles. Für mich zu viel.“ Anja Schuster liebt Reisen, ihre Arbeit, ihre Freiheit. Auf all das möchte sie nicht verzichten.
Simone Eckart hingegen, die Frau aus der Süßigkeitenautomaten-Kiste, wünscht sich durchaus noch eigene Kinder. Derzeit aber ist ihr der Job sehr wichtig, nebenbei fehlt ein passender Mann. Beide Frauen verbindet, dass es ihnen viel bedeutet, Tante zu sein. Sie sehen die Zeit mit ihren Nichten und Neffen als etwas, das ihr Leben bereichert.
Es gibt eben Zeitgeist-Trends, von denen alle Beteiligten profitieren: Die Eltern freuen sich über Freiräume. Kinder finden eine neue Bezugsperson außerhalb des Elternhauses – sehr hilfreich gerade in der Pubertät, eine Vertrauensperson mit etwas Abstand zu haben! Und all die Onkel und Tanten finden endlich Gelegenheit, jemanden zu verwöhnen – und sich zu kümmern. Wenn sie nun auch von der Werbeindustrie entdeckt werden: geschenkt!
* Namen von der Redaktion geändert