Lesen & Leben

Mein erster Schultag!

Nie wieder Kindergarten! In NRW geht die Schule los, die anderen Bundesländer folgen bald. Die Spannung steigt – auch bei den Eltern. Fünf Mütter verraten, wie ihre Kinder den Weg in den angeblichen „Ernst des Lebens“ gemeistert haben


Am ersten Schultag sind Leah und Lana, allerbes­te Freundinnen seit dem Kindergarten, auf nahezu alles vorbereitet. Mit flammneuem Ranzen, Zuckertüte im Arm und den Familien im Schlepptau haben die beiden Mädchen den Gottesdienst sowie die Willkommensshow der älteren Schüler aufmerksam verfolgt. Jetzt stehen sie mit roten Bäckchen in der Aula, wo die Klasse 1a aufgerufen wird. Lana ist dabei. Leah aber steht auf der Liste für die 1b: „Als sie hörte, dass nicht nur ihre beste Freundin, sondern alle Kinder ihrer Kita-Gruppe in die andere Klasse gehen sollten, war der Tag erst mal gelaufen“, erinnert sich Leahs Mutter Nicole Hosten.

Von meinen Kindergarten-freunden kam nur ich in die 1a. Macht nix, hat Mama getröstet. Die Freunde bleiben dir, und du wirst viele neue finden. So war’s auch

Heute kann sie darüber lachen, dass der Sechsjährigen damals der „Ernst des Lebens“ buchstäblich ins Gesicht gesprungen war. Denn schon nach ein paar Tagen war die Enttäuschung vergessen. Die Mädchen treffen sich immer noch, ihre Klassen unternehmen gemeinsame Ausflüge, und: „Es hat beiden ganz gutgetan, sich mal ohne die andere zu behaupten und neue Kontakte zu knüpfen“, sagt die Düsseldorferin. Leah habe seitdem reichlich Selbstbewusstsein getankt.

Ohne den besten Freund oder die liebste Freundin neben sich die Schullaufbahn starten zu müssen ist nur eine Sorge zukünftiger i-Dötzchen und ihrer Eltern. Etliche weitere sind auf Checklisten („Das muss ein Schulkind können“) vermerkt, welche bei Elternabenden in der Kita oder bei der Anmeldung in der Grundschule verteilt werden. Schleife binden, ge­rade Linien schneiden, Schwünge malen oder grobmotorische Fähigkeiten wie Radfahren, Balancieren, Klettern: Klar gibt es Kinder, die all das und mehr pünktlich zum ersten Schultag beherrschen.

Eltern, deren Sprösslinge allerdings noch nicht so weit sind, brauchen dennoch nicht in Aktionismus zu verfallen: Die Anforderungen sind lediglich als Orientierungshilfen zu verstehen, und selbstverständlich darf man die ein oder andere Fähigkeit vor dem Tag X ruhig einmal üben. Grundsätzlich aber gilt: locker bleiben. Erstens: Jedes Kind, das die Schuleingangsuntersuchung schafft, hat das Erste-Klasse-Ticket in der Tasche. Zweitens: Keiner muss sofort alles können. Und drittens: Man muss sich nur zu helfen wissen.

Ich wollte nicht in diese Schule, ich kannte da ja niemanden. Meine Eltern haben mir aber immer Mut gemacht. Hat dann ­auch alles gut geklappt

So bekam es kaum ein Junge in Leahs und Lanas Klassen hin, aus Schnürsenkeln eine Schleife zu binden. War ja auch gar nicht nötig, denn beim Sportunterricht schlüpften sie in Turnschuhe mit Klettverschluss und anschließend zurück in ihre Boots mit Gummieinsätzen an den Seiten. Das Problem löste sich von allein, als die ersten Burschen in Basketballstiefeln über den Schulhof rannten. Wer die anziehen wollte, musste notgedrungen auch die Schuhbänder bändigen, was am Ende ausnahmslos allen gelang.

Wenn Marie also in der Kita über die Malvorlage krickelt, muss sie das bei ihrer ersten Hausaufgabe („Male deine Schultüte!“) nicht zwangsläufig auch tun. Und obwohl Toms Mutter bei der Schulanmeldung keine Ahnung hat, ob sich ihr Sohn im Haushalt geschickt anstellt – er musste bisher nie den Tisch decken oder das Bad putzen –, könnte er seine Lehrerin später mit dem maßstabsgetreu gebastelten Modell einer Ritterburg aus Klorollen überraschen.

Buchstaben oder Würfelzahlen auf den ersten Blick erkennen und Dinge nach Größe ordnen können ist prima, aber nicht lebensnotwendig für die erste Klasse. Etwas anderes ist es, wenn das Kind gar nicht erst in die Schule will. Wie Sophia, der es in der Kita grauste: „Die Julia konnte lesen, der Marvin ein bisschen rechnen, und ich dachte, ich kann nix“, erinnert sich die heutige Zweitklässlerin. Britta Meister versuchte, ihre Tochter aufzubauen. Doch die Angst vor der Schule blieb – bis sie bei einer Erziehungsberatungsstelle von der „einerseits-andererseits-Methode“ erfuhr.

 

Unterstützen sollte die Familie Sophia einerseits: „Wir haben oft über die Einschulung gesprochen, ihr gesagt, dass wir sie gut verstehen und uns auch ein wenig mulmig ist“, sagt die Mutter. Andererseits musste das Kind akzeptieren, dass es aus der Schulnummer nicht herauskam, aber viel Zeit zum Spielen und Lernen haben würde. Als Sophia schließlich am ers­ten Schultag aus der Klasse kam, hatte sie statt Bauchweh eine neue Freundin – und eine entspannte Mutter.

Diesen Zustand erreichte Andrea Hermes schon vor dem Start ihrer Tochter an einer katholischen Grundschule. Trotzdem war der Schritt für die Mutter härter als für das Kind: „Ich hatte wieder angefangen zu arbeiten und musste Katharina für die Ganz­tagesbetreuung bis 16 Uhr anmelden.“ Wie würde die zurückhaltende Sechsjährige damit klarkommen?

Andrea Hermes hatte keine Lust, darüber zu spekulieren. Sie vereinbarte einen Termin mit der Rektorin, sah sich die Räume an, lernte die Mitarbeiterinnen kennen, checkte Spiel- und Sportangebote sowie den Speiseplan. Und löcherte die Schulchefin, bis ihre Bedenken zerstreut waren. Drei Wochen vor der Einschulung ging Katharina in die Ferienbetreuung an der Schule und stürzte sich begeistert in Marionettenbau und Mitmachzirkus. Bis heute mault sie nur, „wenn ich sie um 14 Uhr abhole“, lacht die Mutter, „sie will nicht so früh nach Hause.“

Meine Mama ist zur Direktorin gegangen und hat sich alles ganz genau ­erklären lassen. Und ich durfte vorher in die Ferienbetreuung an der Schule

Zweifel im Vorfeld mit der Schule zu klären, hält auch die Grundschullehrerin Katja Nowak für die beste Strategie: „Viele Eltern sorgen sich, ob ihre Kinder gut aufgehoben sind.“ Wirklich nachfühlen konnte sie es, als ihr eigener Sohn in die erste Klasse kam. Die Familie war erst am Ende der Fe­rien in den Stadtteil gezogen: „Konstantin kannte hier keinen.“ Zehn Tage pirschte er sich vorsichtig an die Klassenkameraden heran. Die kamen alle aus der derselben Kita und beäugten den Fremdling ebenfalls reserviert.

Die Eltern ermutigten den Sohn zu Hause, in der Schule war er auf sich gestellt. Schließlich siegte die Neugier, der Sechsjährige verabredete sich mit einem, dann mit dem nächsten Kumpel, und nach drei Wochen hatte er einen festen Platz in der Pausenhof-Fußballmannschaft. Kopfzerbrechen machte der Mutter da nur noch, dass Konstantin den Bleistift oft so heftig aufs Papier presste, dass die Spitze abbrach. Den Grund dafür erfuhr sie viel später: „Das heißt doch Druckschrift!“

Überhaupt der Dreipunktgriff! Daumen und Zeigefinger klemmen den Stift ein, der leicht auf dem Mittelfinger aufliegt – so geht Schreiben. Leider nicht für jeden: Mein Sohn Paul platzierte schon immer auch den Mittelfinger auf der Oberseite, ließ die Kante auf dem Ringfinger ruhen und schrieb, wie ich fand, betörend schön. Die Kunstlehrerin bestand auf Umerziehung, es folgten Geschrei und die Weigerung, den Stift mit der Gummi-Schreibhilfe anzufassen. Zähes Ringen bis zum Elternabend, als die Klassenlehrerin sich Notizen machte – mit zwei Fingern auf dem Füller! Vereint wurde die Kunstpädagogin überstimmt, Paul schreibt heute mit falscher Stifthaltung, aber mit entspannter Hand und freiem Geist: total locker.



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