Denken & Diskutieren

Facebook im Unterricht

Praktisch oder problematisch, dass Lehrer mit ihren Schülern per Facebook & Co. kommunizieren? Die Bundesländer sind sich nicht einig


Wie kann man denn an einem so wichtigen Tag 20 Minuten zu spät kommen? Die Physiklehrerin konnte die Verspätung des Abiturienten zu seiner mündlichen Prüfung an einem Berliner Gymnasium überhaupt nicht begreifen. Der war sich zunächst keiner Schuld bewusst: „Das stand so auf Facebook!“

Über das soziale Netzwerk hatte sich der Jahrgang offenbar darüber ausgetauscht, wann man wohl zur Prüfung erscheinen müsse – und prompt kam es dort zum Missverständnis. Gleich fünf Schüler trudelten zu spät ein. Dabei hätte ein einfacher Blick auf die auf altmodische Weise ausgeteilten DIN-A4-Zettel genügt: Dort standen die genauen Termine.

Viele Schüler nutzen soziale Netzwerke nicht nur für ihre Freizeit, sondern auch für die Schule. Ganze Klassen tauschen sich über Facebook zum Unterricht aus, vor Klassenarbeiten bereiten sie sich gemeinsam vor. Was das Berliner Gymnasium aber im April erlebt hat, kommt vielen Lehrern vertraut vor: Die Schüler verlassen sich zu sehr auf die Informationen, die sie auf „ihren“ Plattformen WhatsApp und Facebook erhalten.

Lehrer haben zunehmend Probleme, ihre Schüler auf klassischem Weg mit Infozetteln oder Aushängen zu erreichen. „Die Schüler sind in dieser Hinsicht deutlich selbstbewusster und viel bequemer als frühere Generationen“, beobachtet Thorsten Burger, der als Lehrer an einem bayerischen Gymnasium arbeitet. Er hat ein Buch zum Thema geschrieben – „Social Media und Schule: Zwischen Enthusiasmus und Boykott“ –, in dem er Schulen und Lehrern Tipps für einen konstruktiven Umgang mit Facebook und anderen Diensten gibt.

Lehrer haben zunehmend Probleme, ihre Schüler auf klassischem Weg mit Infozetteln und Aushängen zu erreichen

Die einen finden die innerschulische Kommunikation über soziale Medien praktisch, die anderen lehnen es ab, dass Lehrer und Schüler auf Facebook „befreundet“ sind. Noch gilt kein einheitlicher Fahrplan in den Bundesländern. Während etwa in Brandenburg, Niedersachsen oder Hamburg die Lehrer selbst entscheiden können, ob und wie sie mit ihren Schülern über soziale Medien kommunizieren, haben andere Bundesländer, darunter Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und zuletzt Sachsen, ihren Lehrern die dienstliche Nutzung sozialer Netzwerke untersagt. Mal sind die Richtlinien als grundsätzliches Verbot formuliert, mal lassen sie sich eher als Empfehlung verstehen.

Laut neuem Leitfaden für Staatsbedienstete, den das bayerische Kultusministerium am 1. März 2013 veröffentlichte, steht es bayerischen Lehrern zwar privat auch weiterhin frei, soziale Netzwerke zu nutzen. Allerdings sei „von der unterrichtlichen Nutzung“ abzusehen, heißt es in der Richtlinie.

Die Bedenken sind länderübergreifend gleich: Der Datenschutz könne nicht gewährleistet werden. „Es handelt sich bei Facebook ja um keine von offizieller Stelle betriebene Plattform, sondern um ein US-Unternehmen“, gibt Frank Spaeing von der Initiative „Datenschutz geht zur Schule“ zu bedenken. Deren Dozenten halten seit 2010 ehrenamtlich Vorträge in unterschiedlichen Klassenstufen, um Kinder für den Umgang mit persönlichen Daten im Internet zu sensibilisieren.

Der Bedarf reißt nicht ab, allein 2013 schulte die Initiative 10 000 Schüler, und die Probleme werden nicht kleiner: „Wenn ich den Kindern die Altersgrenzen großer Dienste nenne – 13 Jahre bei Facebook, 16 Jahre bei WhatsApp –, dann gucken die ganz perplex“, berichtet Spaeing, „und beim Thema ‚Allgemeine Geschäftsbedingungen‘ ernte ich dann oft nur noch Lachen.“ Dass Lehrer und Schüler via Facebook über schulische Dinge kommunizieren, ist für Spaeing „ein absolutes No-Go“.

Von einem grundsätzlichen Verbot der Dienste hält Richard Heinen vom „Learning Lab“ der Universität Duisburg-Essen hingegen wenig. Zwar betont er, dass natürlich kein Schüler gezwungen werden dürfe, soziale Netze zu nutzen. Auch hätten sensible Daten wie Noten oder Bewertungen dort nichts zu suchen. Die Nutzung im Unterricht sei aber eine gute Gelegenheit, sich mit den Chancen und Risiken sozialer Netzwerke zu beschäftigen. „Das ist authentischer, als wenn nur darüber geredet wird“, meint Heinen. Lehrern, die soziale Dienste im Unterricht nutzen wollen, rät Heinen, „dieselbe professionelle Distanz zu wahren, die man von ihnen auch im Klassenraum erwartet“.

Zentrales Argument gegen die schulische Nutzung von Facebook: Der Datenschutz im Netz kann nicht gewährleistet werden

So handhabt es auch die Berliner Gymnasiallehrerin Martina Dietrich, die schon seit einigen Jahren einen dienstlichen Account bei Facebook pflegt. Eigene Postings oder gar Fotos sind allerdings von der 52-Jährigen – im Unterschied zu manchem Kollegen – nicht zu erwarten. Befreundet ist „Frau Dietrich“, wie sie sich bei Facebook nennt, mit ihren Schülerinnen und Schülern auch nicht: „Ich will gar nicht lesen, was die da schreiben.“ Stattdessen hat sie beispielsweise für ihren Deutsch-Leistungskurs eine Facebook-Gruppe angelegt, in der sie inhaltliche und organisatorische Fragen beantwortet oder auf Nachfrage nochmals Arbeitsblätter hochlädt. Für Dietrich ist das ganz selbstverständlich: „Ich will für meine Schüler erreichbar sein, sie sollen ja auch außerhalb des Unterrichts arbeiten und sich dann bei Fragen an mich wenden können“, sagt sie.

Nicht nur für ihre Schüler, auch für die Lehrerin selbst ist dieser Kommunikationsweg eine Erleichterung. Einmal fiel Martina Dietrich kurz nach Unterrichtsende ein, dass sie vergessen hatte, ein Arbeitsblatt auszuteilen. Also schickte sie schnell bei Facebook eine Nachricht an ihren Kurs. Zwei Minuten später standen die Schüler wieder im Klassenraum. „Und wenn ich mal krank bin, kann ich ihnen Aufgaben schicken und weiß, dass alle sie bekommen.“

Einer ihrer Leistungskurs-Schüler hat sich inzwischen von Facebook abgemeldet. Martina Dietrich stellt sicher, dass ihn alle Informationen und Unterlagen auf anderem Wege erreichen. Die Facebook-Gruppe für den Leistungskurs ist auch nur ein Angebot. Mit dem Jahrgang davor einigte sich Martina Dietrich auf einen anderen Weg der Kommunikation: einen E-Mail-Verteiler.

Die meisten ihrer Kollegen lehnen es ab, Facebook für schulische Dinge einzuspannen. Laut einer aktuellen Befragung nutzen bundesweit gerade einmal zwölf Prozent aller Lehrer den Dienst, um mit ihren Schülern zu kommunizieren. Und auch diese Zahl wird vermutlich eher abnehmen als steigen. Nicht nur wegen der Verbote einiger Bundesländer, sondern auch, weil Facebook gerade bei jüngeren Schülern immer unpopulärer wird. Sie weichen mehr und mehr auf Dienste wie WhatsApp aus, wo noch weniger Lehrer anzutreffen sind. Schüler zu erreichen dürfte in Zukunft also nicht unbedingt einfacher werden.



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