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Gastkind: Fiesta mit Freddy

Austauschschüler in Deutschland erlernen die Sprache und tauchen in eine fremde Kultur ein, Gastfamilien erweitern ihren Horizont. Ein Abenteuer, bei dem man einander ans Herz wachsen kann


Wenn man Familie Pfeifer fragt, wie sich ihr Alltag im vergangenen Jahr verändert hat, dann fällt allen erst einmal die Sache mit der Milch ein. „Ich kaufe inzwischen zehn Liter Milch“, erzählt Michaela Pfeifer, „in der Woche! So viel haben wir früher in einem ganzen Monat nicht verbraucht.“ Dahinter steckt nicht etwa ein plötzlich festgestellter erhöhter Kalziumbedarf ihrer Familie, sondern ein 18-jähriger Mexikaner. Alfredo, genannt Freddy, für ein Jahr als Gastschüler das neue Familienmitglied der Pfeifers in Brandenburg, entpuppte sich als großer Milch-Fan, ob pur oder als Kakao. „Im Nachhinein wäre es wohl günstiger gewesen, sich gleich eine Kuh anzuschaffen und im Vorgarten zu halten“, scherzt Michael Pfeifer, und alle lachen, am lautesten Freddy selbst.

Echte Schüleraustausch-Experten sind die Pfeifers mittlerweile. Zuerst ging ihr Sohn Marcel, heute wie Freddy 18 Jahre alt, im Sommer 2013 für ein Schuljahr nach Amerika. Ihre 16-jährige Tochter Maxine war dadurch einige Monate lang Einzelkind, bis die betreuende Austauschorganisation ihres Sohnes anrief und fragte, ob die Familie nicht vielleicht einen Gastschüler aufnehmen wollte. „Warum eigentlich nicht?“, fragten sich die Pfeifers, die in der Nähe von Berlin wohnen. So wurde Freddy für zwölf Monate zu einem Teil der Familie. Deren Besetzung änderte sich im Laufe des Jahres immer wieder: Im Sommer 2014 kam Marcel aus Minnesota zurück, wenige Wochen später brach seine Schwester Maxine zu ihrem Schuljahr in Ohio auf. Ihr mexikanischer Gastbruder ist beiden sehr ans Herz gewachsen. Auch nach seiner Abreise in diesem Frühling wollen alle in Kontakt bleiben, Maxine möchte im Sommer sogar nach Mexiko reisen.

Dass sich alle so gut verstehen würden, war nicht unbedingt zu erwarten. Denn als sich die Pfeifers für ihren Gastschüler entscheiden mussten, lag vor ihnen lediglich ein dicker Stapel von Steckbriefen, die ihnen die Austauschorganisation geschickt hatte. Wie findet man da das Gastkind, das am besten zur Familie passt?

 

„Wir haben vor allem nach den Hobbys geguckt, uns war wichtig, dass es da ein Sportinteresse gibt“, sagt Michaela Pfeifer. „Ein Mädchen hatte beispielsweise geschrieben, dass sie in ihrer Freizeit gern malt und liest, das hätte einfach nicht gepasst, weil unsere Kinder fast jeden Abend beim Training sind.“ Bei Alfredo hatten die Pfeifers gleich ein gutes Gefühl: „Gitarre, Schwimmen, Basketball und Fußball“, hatte er seine Hobbys beschrieben.

Wenige Wochen nach der Zusage kam der Familie am Berliner Hauptbahnhof ein aufgeregter junger Mann entgegen. Der große Bahnhof, die fremde Sprache und drei neue Familienmitglieder auf einmal: Freddy war erst mal überfordert. „Er hat die ganze Autofahrt bis zu uns nach Hause gezittert“, erinnert sich Michaela Pfeifer. Einer der Gründe für Freddys Nervosität war die Sprachbarriere, er sprach kaum ein Wort Deutsch. Zwar hatte er nach seiner Ankunft in Deutschland zunächst einen dreiwöchigen Sprachkurs absolviert, bevor er zu den Pfeifers kam, in den ersten Wochen verständigte sich die Familie trotzdem auf Englisch.

„Freddy ist ein Perfektionist“, sagt Michael Pfeifer, „er wollte nicht Deutsch sprechen, bevor er es nicht richtig konnte. Wir haben zwar immer gesagt, dass wir ihn schon verstehen werden und ja auch nachfragen können, aber er hat sich gesträubt.“ Also gewährte ihm seine Gastfamilie eine Schonfrist von drei Monaten, dann hieß es: ab heute nur noch auf Deutsch. Verstöße gegen diese Regel wurden dann auch geahndet, erzählt Michaela Pfeifer: „Wir haben das mit seinem Lieblingsgetränk verbunden und gesagt, an jedem Tag, an dem er Englisch mit uns spricht, gibt’s keinen Kakao und keine Milch.“ Freddy stöhnt bei der Erinnerung und lacht: „Das war hart!“

Familienzuwachs für Fortgeschrittene

  • Wer kann Gastfamilie werden?

    Prinzipiell alle, die Interesse an einer anderen Kultur und Platz für ein weiteres Familienmitglied haben. Eigene Kinder sind kein Muss; manche Familien nehmen bewusst einen Gastschüler auf, wenn ihr eigenes Kind im Ausland ist.

  • Wer vermittelt Gastschüler?

    Ansprechpartner sind Austauschorganisationen wie YFU oder AFS, die händeringend Gastfamilien für die rund 3000 ausländischen Schüler suchen, die jedes Jahr nach Deutschland kommen, normalerweise für eine Dauer von zwei bis zwölf Monaten.

  • Wie läuft das ab?

    Nach einem persönlichen Kennenlernen schlägt die betreuende Organisation passende Gastschüler vor. Außerdem kann die angehende Gastfamilie Wünsche äußern: welches Herkunftsland, lieber ein Junge oder ein Mädchen? Dann stellt die Organisation den Kontakt her, damit sich beide Seiten schon vor der Ankunft kennenlernen können.

  • Was gilt es zu bedenken?

    Gastfamilien erhalten kein Geld. Die Eltern der Schüler oder die Austauschorganisation kümmern sich aber um Versicherungen, Sprachkurse, Taschengeld. Jedes familiäre Zusammenleben ist auch mal anstrengend! Einen Gastschüler aufzunehmen ist ein kleines Abenteuer. Dafür entstehen nicht selten lebenslange Freundschaften.

Viele Gastfamilien weichen vorübergehend – oder sogar langfristig – auf eine Brückensprache aus, meist auf Englisch, weil es auch für die Eltern leichter ist. Wer seinem Gastkind aber die Chance geben will, aus der Zeit im Ausland nicht nur schöne Erinnerungen, sondern auch gute Sprachkenntnisse mit nach Hause zu nehmen, der sollte sich nicht darauf verlassen, dass die neue Sprache automatisch erlernt wird. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, darauf weisen auch die Austauschorganisationen hin.

Inzwischen ist Freddys Deutsch so gut, dass er auch all die ironischen Untertöne und Wortwitze seiner Gastfamilie versteht. Er selbst ist aber immer noch nicht zufrieden; Lob für seine Sprachkenntnisse will er ungern annehmen. „Ich liebe die Sprache, auch wenn sie schwer ist“, sagt Freddy.

Nach Deutschland zu kommen war schon als 12-Jähriger sein großer Traum. Freddys Vater arbeitet in Mexiko bei Volkswagen, Freddy will später ebenfalls als Ingenieur bei einem deutschen Autohersteller arbeiten, vorher in Deutschland studieren.

Wenn er in diesem Frühling nach Mexiko heimkehrt, wird er dort noch ein halbes Jahr zur Schule gehen. „Das wird entspannt für dich, Freddy“, sagt seine Gastmutter. Denn das deutsche Schulsystem, wie er es auf dem Gymnasium kennenlernte, war für ihn zunächst eine große Herausforderung. Aus Mexiko war er Frontalunterricht gewöhnt und staunte, dass deutsche Lehrer etwa neuen Stoff nur kurz vorstellen und sich die Schüler alles Weitere selbst erarbeiten.

Die Eingewöhnung in den Alltag seiner deutschen Familie verlief hingegen unproblematisch. An eine größere Auseinandersetzung kann sich keiner erinnern. Für Gasteltern sei es das Wichtigste, offen anzusprechen, wenn einem etwas im Zusammenleben gegen den Strich gehe, meint Michaela Pfeifer – selbst, wenn es nur Kleinigkeiten seien: „Sonst staut sich das auf, und irgendwann sagt man wegen einer Nichtigkeit: ,Jetzt reicht’s.‘“

Nach Freddys Heimreise nach Mexiko wollen alle in Kontakt bleiben

Um Freddy viel von Deutschland zu zeigen, fuhr die Familie im letzten Jahr immer wieder quer durchs Land, besuchte Freunde in Nord und Süd. Allzuviel hat Freddy während der Fahrten nicht gesehen. „Sobald Freddy im Auto sitzt, schläft er – wie ein Baby“, sagt Michael Pfeifer lachend. Die Erlebnisse haben die Familie auf Zeit zusammengeschweißt. Genauso wie die gemeinsamen Mahlzeiten, das Frühstück, das ausgiebige Abendessen am Wochenende. Überhaupt: das Essen. Ob Weißwurst und Brezeln, Döner Kebab oder gefüllte Paprika à la Michaela Pfeifer: „Freddy isst wirklich alles!“, freut sich Gastvater Michael Pfeifer. Freddy wird Deutschland und seine deutsche Familie auf jeden Fall vermissen, das weiß er schon jetzt. Genauso, wie er weiß, dass er wiederkommen wird.

 

Fotos: Andreas Pein für Magazin SCHULE ONLINE



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