Eigentlich stand der Plan von Niklas Leuschen fest: Nach dem Abi wollte der Bitburger Maschinenbau studieren. Eine Hochschule hatte Niklas bereits ausgewählt, doch dann entschied er sich um. Er machte eine Ausbildung – zur Bestattungsfachkraft.
Seine etwas ungewöhnliche Entscheidung erklärt der 23-Jährige so: „Mein Vater ist ebenfalls Bestatter. Ich habe im Frühjahr mein Abitur gemacht und dann, um die Zeit bis zum Studienbeginn zu überbrücken, bei meinen Eltern im Betrieb gearbeitet.“ Niklas begleitete Trauergespräche mit Hinterbliebenen und stellte plötzlich fest, „dass mir das liegt, dass ich einfühlsam bin. Außerdem finde ich den Gedanken sehr reizvoll, selbst einmal ein Unternehmen zu führen.“ Nun erwarten den Neuling während seiner Ausbildung Kurse am Bundesausbildungszentrum in Münnerstadt – mit Besonderheiten wie einem Lehrfriedhof und einem Sarglager. „Ich bin zufrieden mit meiner Wahl“, sagt Niklas, der nun seinen Meister macht und ein anschließendes Studium nicht ausschließt: „BWL – um irgendwann den Betrieb meines Vaters übernehmen und zu können.“
Ein entscheidender Faktor, durch den auch Niklas seinen Berufsweg gefunden hat, wird häufig unterschätzt: Es ist die Prägung durch das Umfeld. Wenn Jugendliche hingegen erleben, dass Erwachsene permanent über ihren Job klagen und deutlich machen, dass sie nur zum Geldverdienen arbeiten, führt das bei Berufssuchern zu der Reaktion: Das will ich nicht. Umfragen von Gallup und Innofact zeigen, dass viele Erwachsene mit ihrer Berufswahl unzufrieden sind: 17 Prozent der Arbeitnehmer haben innerlich gekündigt, jeder Vierte würde seine Wahl gern korrigieren und einen Job wählen, der stärker den eigenen Neigungen entspricht und damit auch mehr Spaß macht.
Ein Ziel, das möglichst jeder bei der Berufswahl haben sollte. Gleichzeitig gilt es, nicht gerade jene Jobs anzusteuern, die im Wandel der Zeit besonders unsicher geworden sind. Konnten etwa Geisteswissenschaftler vor 20 Jahren auf eine Tätigkeit im großen Auffangbecken „Medien“ hoffen, gilt gerade der klassische Print-Journalismus heute als Problembranche.
„Viele sind von der Komplexität der heutigen Berufswelt überfordert“, weiß Soziologe Peter Westebbe, der schon viele junge Menschen beraten hat. Eine typische Reaktion auf die Frage „Was willst du werden?“ sei die Antwort: „Rentner“, berichtet er. Das zeige die Unsicherheit der Jugendlichen, wenn sie aus inzwischen 9500 Erststudiengängen an deutschen Hochschulen und knapp 350 Ausbildungsberufen das Passende wählen sollen.
„Ich habe die Entscheidung immer wieder vor mir hergeschoben“, erzählt auch Lena Schwab. Nach dem Abi wusste die Hamburgerin nicht, was sie tun sollte, und ging für ein Jahr in die USA, um bei Disney World zu arbeiten. Zurück in Deutschland wuchs der Druck, genauso wie die Ratlosigkeit. Von ihren Eltern wollte Lena keine Hilfe. „Für mich war das unglaublich schwierig“, erinnert sich Vater Wolfgang Schwab. „Ich habe immer ein super Verhältnis zu meiner jüngsten Tochter gehabt, aber sobald es um das Thema Berufswahl ging, hat sie dicht gemacht.“
Nicht ungewöhnlich, weiß Soziologe Westebbe: „Der Berufswahlprozess wird zu dem Zeitpunkt wichtig, wo sich Kinder von den Eltern naturgemäß trennen. Versuchen Sie, sich wenig einzumischen, und vertrauen Sie darauf, dass das, was Sie gesät haben, nun Früchte trägt.“ Die wichtigsten Berufsberater seien Eltern schon in der Teenager-Phase ihrer Kinder. „Das ist die Zeit, um das Thema anzusprechen und zu Praktika und dem Sammeln von Erfahrungen zu ermutigen.“ Später kämen gute Ratschlägen von allen Seiten, was nur zu Unsicherheit führe.
So machen Eltern einen guten Job
Profi-Tipps von Berufsberaterin Nele von Bargen
Zeigen Sie Interesse für den Berufswahlprozess, ohne dabei vorzugeben, was aus Ihrer Sicht das Wichtigste ist.
Bleiben Sie neutral. Hören Sie zu, und antworten Sie ehrlich auf die Fragen Ihres Kindes.
Bestärken Sie Ihr Kind darin, Praktika und Ferienjobs anzunehmen und auf Jobmessen zu gehen. Fördern Sie Gesprächskontakte zu Bekannten oder Verwandten, die Berufe ausüben, die Ihr Kind interessieren.
Seien Sie sich bewusst, dass der Berufswahl-prozess bereits viele Jahre vor Schulende beginnt. Das Umfeld des Jugendlichen prägt seine Vorstellung von sinnvoller, befriedigender Arbeit.
Helfen Sie Ihrem Kind, seine Stärken zu erkennen. Sehr hilfreich: die Selbstbild-Fremdbild-Analyse.
Professionelle Berufsberatung war schließlich die Idee von Lenas Vater. Dieses Modell hatte bereits bei Sohn Frank geholfen. Der brach sein Jurastudium nach dem dritten Semester ab, um eine Ausbildung zum Industriekaufmann zu beginnen. Zuvor hatte er eine Berufsberatung besucht: „Ich wollte eine Bestätigung, dass ich das Richtige tue.“ In einem zweitägigen Seminar machte Frank Tests, die seine Studierfähigkeit, sein Konzentrationsvermögen und seine Stärken zeigten – begleitet von vielen Gesprächen. „Es war einfach gut, den Rat einer dritten, unbeteiligten Person zu hören. Ich hätte nie gedacht, später in einem technischen Betrieb zu arbeiten. Aber ich fühle mich wohl“, resümiert der 25-Jährige, der nun ein berufsbegleitendes Studium aufnehmen will. „Mit meiner abgeschlossenen Ausbildung habe ich etwas in der Hand und kann ganz entspannt meinen weiteren Berufsweg planen.“
Doch Lena wollte keinen professionellen Rat. Ein Gespräch mit ihrer älteren Schwester Christina verhalf ihr zu mehr Klarheit. „Ich habe Christina erzählt, was ich alles nicht machen möchte: einen Bürojob, der mit Mathe zu tun hat, der unkreativ ist und wo am Ende kein Ergebnis steht“, erzählt Lena.
Ungewöhnlich, meint Westebbe, eigentlich laufe es anders herum. „Der Schwerpunkt bei der Berufsfindung liegt darauf: Was kannst du, was macht dich aus und unterscheidet dich von anderen?“ Es geht darum, Potenziale und Stärken zu erkennen. Das hebt das Selbstbewusstsein.
Eine Selbstbild-Fremdbild-Analyse kann hier sehr hilfreich sein. Dafür notiert der Berufssucher seine Fähigkeiten: Talente, erfolgreiche Schulfächer, Hobbys, Ehrenämter – alles, was ihn auszeichnet. Dasselbe tun seine Eltern oder Personen, die ihn gut kennen. Das kann zu erstaunlichen Schnittmengen führen.
Als zweite Maxime gilt: Denk nach, wobei es dir richtig gut geht. Kuchen backen, zeichnen, Geschichten schreiben? Welche verwandten Berufe kommen hier infrage? Ein Talent an der Nähmaschine muss dabei nicht automatisch im Designberuf enden. „Eine Kompetenz, die sich hier beispielsweise zeigt, ist das Lesen komplexer Schnittmuster – also Pläne“, sagt Westebbe. Eine Gabe, die auch Schreiner oder Architekten mitbringen sollten.
Lena Schwab hat ihre Stärke im Kreativen gefunden und ihren weiteren Weg durch Gespräche mit Freundinnen: Sie studiert nun Medienmanagement mit den Schwerpunkten Sport und Events.
Stärken ergründen
Eine erste Orientierung für die Berufswahl können Online-Tests geben. Die Auswahl ist groß. Die Stiftung Warentest bewertete den kostenlosen Test „Mein Berufsweg“ der Ruhr-Universität Bochum und den kostenpflichtigen „Eignungstest Berufswahl“ vom Münchner geva-Institut als „sehr gut“. Auch die Arbeitgeberverbände bieten Tests an. Bekannt und mit monatlich 300 000 Abrufen beliebt ist zudem der Test der Arbeitsagentur auf dem Portal „Planet Beruf“.
Praktika und Gespräche mit anderen Studenten oder Azubis auf Ausbildungs-, Abi- und sogar Jugendmessen helfen, realistische Einblicke in die Berufswelt zu bekommen. Wer einen Ausbildungsplatz sucht, erhält Unterstützung von der Arbeitsagentur, bei der viele Firmen ihre Stellen melden, oder bei den Kammern, die Lehrstellenbörsen anbieten. Ausbildungsexpertin Sabine Bleumortier empfiehlt zudem die Internet-Plattform „azubiyo“: „Dort kann man einen Eignungstest machen und bekommt Adressen von Betrieben angezeigt, zu denen man passt.“ Einen guten Ausbildungsbetrieb erkenne man an den Inhalten auf der Homepage und daran, dass es einen Ausbildungsplan und einen zuständigen Ausbilder gebe: „Häufig werden zudem Zusatzangebote wie ein Englisch-Zertifikat oder Workshops angeboten.“
Wer studieren möchte, sollte sich vorher ehrlich befragen: Passen die Strukturen zu mir? Kann ich mich selbst organisieren? Bei der Wahl der richtigen Hochschule geben Uni-Rankings einen Anhaltspunkt. Viel wichtiger ist aber die Frage: Möchte ich an einer großen Fakultät mit Renommee studieren oder sind mir andere Faktoren, wie die Lage oder ein bestimmter Schwerpunkt, wichtiger? Falsche Vorstellungen von einem Studium können nämlich ebenso wie soziale Faktoren schnell zum Abbruch führen – laut einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) betrifft das 28 Prozent aller Bachelor-Studenten.